Das Zugehen auf Menschen bringt Frieden 1. Lesung: Jer 23,1-6| 2. Lesung: Eph 2,13-18| Evangelium: Mk 6,30-34
Am vergangenen Sonntag hörten wir, dass Jesus seine Jünger ausgesendet hatte. „Sie trieben viele Dämonen aus, salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie“ (Mk 6,13). Heute lesen wir, dass die Jünger wieder zusammenkamen. Die Leseordnung lässt hier eine markante Stelle aus. Darin wird der Tod von Johannes dem Täufer ausführlich geschildert.
Wir können uns vorstellen, wie aufgewühlt die Jünger von ihrem ersten Missionsausflug zurückkamen. Zuerst wurde erzählt und ausgetauscht. Vielleicht haben sie in ihrer Euphorie übersehen, dass Jesus ihnen etwas sagen wollte, vielleicht auch etwas bedrückter wirkte als sonst, denn der Tod und insbesondere die Umstände des Todes von Johannes mussten Jesus nahe gegangen sein. In so einer aufgewühlten Stimmung kann man keine Todesnachricht überbringen, also schlägt Jesu vor, an einen ruhigen Ort zu gehen, damit er ihnen dort von den schrecklichen Erlebnissen erzählen kann.
So ist es im Leben, besonders als Teil einer Familie oder Gruppe. Kaum trennen sich die Wege für eine Zeit, erlebt man Unterschiedliches. Trifft man erneut aufeinander, werden Erzählungen von Freud und Leid zusammengetragen. Man kann die biblischen Stellen verschieden lesen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten rücken andere Dinge in den Blickwinkel. Eine Sicht auf die aktuellen Textstellen der Sonntage ist, dass uns erzählt werden will, wie involviert Jesus in menschliches Leben war und wie er auf die Lebensrealitäten der Menschen eingehen wollte – ja sogar seine Planungen und Absichten über den Haufen warf.
Jesus fragte die Menschen „was willst du, dass ich dir tue?“. Er hat sie nicht zwangsbeglückt. Er ist nicht mit einem Bauchladen durch das Land gereist und hat seine Möglichkeiten und Fähigkeiten feilgeboten, er hat sich kein Portfolie zurechtgelegt. Nein, er versuchte den Menschen, das zu geben, was sie gerade als reale oder geistige Stärkung brauchten. Er wählte auch nicht gezielt Menschen aus, sondern heilte und wirkte entlang seines Lebensweges. Jesus stellt auch keine prüfenden Fragen, ob auch regelmäßig der Gottesdienst besucht wurde, das Pilgern nach Jerusalem pünktlich erfolgte oder alle Abgaben entrichten worden sind. Alsbald war es für ihn sogar unwesentlich, ob es sich um Juden oder Heiden handelte.
Wie oftmals für uns im Leben kam es auch in der heutigen Erzählung für Jesus anders als geplant. Er wollte mit den Jüngern einen Ort der Ruhe aufsuchen, aber die Menschen folgten und da war es mit der Ruhe geschehen. Jesus erkennt die Not der Menschen, reagiert darauf und wirft seine Pläne über Bord. Wir erfahren nie, ob und wann er mit den Jüngern sich jemals über ihre Erlebnisse und den Tod des Johannes austauschen konnte.
Warum ich heute in meinen Gedanken gerade diesen Zugang wähle? Ich möchte es ihnen nicht vorenthalten. Man kennt einen biblischen Text, hat unterschiedliche Auslegungen dazu gelesen und dann macht man Erlebnisse und Erfahrungen entlang des Lebensweges und plötzlich wird eine Stelle wie durch den Schatten, den das Leben wirft, besonders markiert.
Ich kann mich noch gut an ausführlichste Diskussionen im Seelsorgeraum Dornbirn erinnern. Im Zentrum der Gespräche stand die Frage: Versteht sich die katholische Kirche in Dornbirn für alle StadtbewohnerInnen zuständig oder nur für die Kirchenmitglieder und damit ausschließlich für die Kirchenbeitragszahler? Einigung darüber wurde nie erzielt. Zuletzt kam mir das in Erinnerung als darüber gesprochen wurde, ob man nicht generell intensiveren Kontakt zu den Kirchenmitgliedern pflegen sollte. Es wurde gleich erwidert, dass dies zu umständlich sei, von der Zahl her nicht möglich und man grenzte es in der Sekunde auf jene ein, die sogenannte Kasualien (z.B. Sakramente oder Beerdigungen) in Anspruch nehmen. Mich erschrecken solche Verengungen – wie anders war da der Zugang von Jesus und seinen JüngerInnen.
Was bedeutet es für eine Weltreligion, wenn von vornherein Kontakte auf den engsten Kreis eingegrenzt werden? Jesus schickte seine Jünger in die Dörfer, er machte keine Vorschriften, zu wem sie gehen sollten, lediglich sollten sie nicht an Orten bleiben, wo sie unerwünscht waren.
Der Verfasser des Briefes an die Gemeinde in Éphesus geht sogar noch etwas weiter: „Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile – Juden und Heiden – und riss die trennende Wand der Feindschaft in seinem Fleisch nieder“ (Eph 2,14). Das Zugehen auf Menschen unabhängig von Herkunft und Ansicht bringt Frieden. Offen und einladend für Menschen zu sein, bedeutet auch, dass man ihnen nicht mit einem Vorschriftenkonvolut oder dem Kirchenrecht entgegentritt, sondern sich ihrem Leben und seinen Herausforderungen stellt. Lebenshilfe kann nur bieten, wer sich nicht in einem schwarz-weiß Denken mit klaren Vorschriften einbunkert. Der Brieftext setzt fort: „Er hob das Gesetz mit seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in sich zu einem neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden … Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet. Er kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und Frieden den Nahen (Eph 2,15-17)“. Frieden im Großen und Frieden für den einzelnen zu bringen bedeutet, dass man auch mal fünf gerade sein lassen kann. Die Tora ist keine erbitterte Gesetzeskeule, sondern eine Richtschnur zur Lebenshilfe. Sie soll Menschen stützen und unterstützen, nicht erschlagen.
Jesus konnte auch nicht alle heilen, dennoch heilte er jene, die auf ihn zukamen oder sich am Wege fanden, ohne als Voraussetzung nach ihrer Glaubenspraxis zu fragen. Jesus stellte auch keinen Katalog von Standardprogrammen zusammen, aus denen auszuwählen war, sondern er reagierte situationsbezogen. Er wartete nicht, bis Leute zu ihm kamen, sondern er lehrte dort, wo die Menschen waren. Was bedeutet das für eine Kirche, die Woche für Woche wartet, dass am Sonntag mehr Menschen in den Gottesdienst kommen?
Der Prophet Jeremia spricht im heutigen Lesungstext von Schafen, die keine Hirten hätten. Was bedeutet das für eine Gemeinschaft, die Barrieren pflegt und bald vielleicht mehr Zäune als Schafe haben wird?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Éphesus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
2 Kommentare zu “Das Zugehen auf Menschen bringt Frieden 1. Lesung: Jer 23,1-6| 2. Lesung: Eph 2,13-18| Evangelium: Mk 6,30-34”
In diesem Sinne gibt es von Alfred Delp, Jesuit, der 1945 im Hungerbunker starb, einen Ausspruch:
„Geht hinaus! Hat Christus gesagt,
und nicht:
Bleibt daheim sitzen und wartet, ob jemand kommt.“
Danke, lieber Erich.
Sonntag für Sonntag ist mir das Bibellabor ein guter Begleiter. Heute wieder mal mit besonders ansprechenden Gedanken.
Liebe Grüße
Konrad