Unterscheidung der Geister 1.Lesung: Jer 38,4-6.7a.8a-10| 2.Lesung: Hebr 12,1-4| Evangelium: Lk 12,49-53
Der heutigen Evangelientext verunsichert. Er liest sich Furcht einflößend und vermittelt einen ungewohnten Blick auf Jesus. Andere biblische Texte zeichnen eine weiche Seite Jesu. Wie passt das zusammen? Jesus lebt zu einer Zeit, in der die meisten Menschen gerade das Nötigste zum Überleben hatten. Sie wurden steuerlich ausgebeutet und lebten unter römischer Besatzung. Als das Evangelium verfasst wurde, war es keinesfalls besser geworden. Die Juden und Judenchristen wurden in die Diaspora gedrängt. Zwietracht meint in seiner Ursprungsbedeutung, „uneinig sein“. Gegeneinanderstehen meint, unterschiedliche Meinungen und Überzeugungen zu vertreten, aber miteinander um den rechten und guten Weg zu ringen. Feuer wiederum hat eine widersprüchliche Bedeutung, es steht sowohl für Schöpfung als auch für Zerstörung, für Leidenschaft, aber auch für Gefahr. Feuer steht weiters auch für Veränderung. Als brennender Dornbusch steht es für die Gegenwart Gottes. Jenes Feuer, von dem Jesus spricht, soll keine Zerstörung bringen, sondern Läuterung.
Ignatius von Loyola fand dafür hunderte Jahre später die Bezeichnung: Unterscheidung der Geister. Es ist ein Prozess der Klärung, der hilft, Entscheidungen zu treffen, die im Einklang mit Gottes Willen stehen. Ignatius ging davon aus, dass jeder Mensch selbst um den richtigen Weg ringen muss. Jeden Tag gilt es, sich mit den anbietenden Alternativen auseinanderzusetzen und sich aufs Neue zu entscheiden. Doch selbst in uns selbst existieren viele Stimmen: die der Ungeduld, des Neides, des Misstrauens, der Zweifel usw. Wir kennen die innere Zwietracht und das Gegeneinanderstehen unterschiedlicher Absichten und Gefühle.
Der heutige Evangelientext steht am Ende einer langen Darstellung von Beispiel- und Gleichniserzählungen Jesu. Eingeflochten sind dabei zwei Kritikpunkte, die sich einerseits an die religiösen Autoritäten richten und andererseits an die Gläubigen. Den Gesetzeslehrern hält er vor, dass sie selbst nicht reflektiert denken. Durch ihre Vormachtstellung verwehren sie den Gläubigen die gedankliche Eigenständigkeit und versperren ihnen dadurch den Weg zur Erkenntnis. „Wehe euch ihr Gesetzeslehrer! Ihr habt den Schlüssel weggenommen, der die Tür zur Erkenntnis aufschließt. Ihr seid selbst nicht hineingegangen und habt alle abgehalten, die hineingehen wollten“ (LK 11, 52). Bei den Gläubigen spricht er die mangelnde Bereitschaft an, sich den Gegebenheiten zu stellen, Dinge kritisch wahrzunehmen und zu handeln. „Ihr Scheinheiligen! Das Aussehen von Erde und Himmel könnt ihr einschätzen. Wieso könnt ihr die Ereignisse dieser Zeit nicht genauso gut einschätzen? Könnt ihr denn nicht von selbst erkennen, was Gott jetzt von euch will?“ (Lk 12,56-57).
Jesus fordert also zu einer Unterscheidung der Geister auf, zu einer Lebensänderung, zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Er will keine Duckmäuser, die sich des lieben Friedens willens unter- und einordnen. Nein, Missstände gehören angesprochen und es soll gehandelt werden.
Das Beispiel der Familie ist dazu ein guter Einstieg. Hier werden Meinungsverschiedenheiten zuerst sichtbar und hier entstehen die ersten Auseinandersetzungen. Gegeneinanderstehen beginnt spätestens, wenn Kinder in die Pubertät gelangen und sich ihr eigenes Meinungsprofil bilden wollen, unabhängig von oder oftmals auch im Gegensatz zu den elterlichen Ansichten. Jesus weiß allerdings auch, dass in Familien alles dafür getan wird, dass trotz aller Meinungsverschiedenheiten die Familie nicht auseinanderbricht. Man soll nicht auseinanderlaufen, sondern im Austausch bleiben. Wie schwierig das sein kann, hat uns Corona gelehrt.
Wir erleben derzeit an unterschiedlichen Orten der Welt, dass Frieden nicht vorgeschrieben werden kann. Um Frieden muss gerungen werden. Friede muss gerecht sein, dh. jeder muss zu Wort kommen können – mit seinen Erniedrigungen und Verletzungen. Es geht zunächst um die Wahrnehmung der gegebenen Realitäten. Er kann also auch nicht schnell hergestellt werden, wenn es ein langfristiger Friede bleiben soll. „Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen?“ (Lk 12,51).
Wir erleben derzeit, dass uns als Gesellschaft die Diskursfähigkeit abhandenkommt. Der Publizist Jakob Schirrmacher beschrieb kürzlich in einem Interview in der Wirtschaftskammer-Zeitschrift „Thema Vorarlberg“, dass Unerwünschtes nicht mehr durch Argumente verschwindet, „sondern durch Ausgrenzung“. Hinter dem heutigen Evangelium steht die Frage nach der Wahrheit und das Ringen darum. Jesus vertritt hier einen sehr antiautoritären Ansatz. Jesus will Wahrheit nicht verordnen, sondern zeigt, dass es ein mühsames – ja manchmal qualvolles – Ringen ist. Schirrmacher meint, dass eine Wahrheit auch nicht ewig gültig sein könne oder müsse: „Wer versucht, sie zu fixieren, macht sie schlussendlich zur Ideologie“. Gerade das will Jesus offensichtlich nicht. Es verweist darauf, dass die Frage nach der Wahrheit ausdiskutiert werden muss und nicht verordnet werden kann. Es bedeutet auch nicht Andersdenkende auszugrenzen. Schirrmacher hält fest: „Die Geschichte lehrt uns, dass die Berufung auf Wahrheit immer auch ein Machtinstrument war“. Ein „Schiedsrichter würde zu einer Instanz, die entscheidet, was wahr ist, er würde damit nicht Wahrheit, sondern Macht organisieren“. Genau das wollte Jesus nicht. Die religiösen Autoritäten rief er auf, gedankliche Eigenständigkeit zuzulassen und die Gläubigen zu mutigem Einsatz. Ganz Realist wusste er, dass dies zu harten Diskursen führen kann – zu Uneinigkeit und Gegeneinanderstehen. Umgangsformen für solch verzwickte Situationen versucht Jesus in seinen Beispiel- und Gleichniserzählungen uns mit auf den Weg zu geben. Die Herausforderung zur Unterscheidung der Geister bleibt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremía anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.