Aufbrüche im Zeichen des Reiches Gottes Sabine Bieberstein über Frauen in der Nachfolge Jesu
Wer die Evangelien aufmerksam liest, stellt bald fest: Zur Jesusbewegung gehörten nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Einige von ihnen werden mit Namen genannt: Maria aus Magdala, Johanna, Susanna oder auch Salome. Andere bleiben namenlos, doch wird an verschiedenen Stellen deutlich, dass es »viele« sind (z. B. Mk 15,41). Das ist zunächst ein bemerkenswerter Befund: Viele Frauen folgten Jesus als Jüngerinnen nach.
Sprachlich ist dies in den Texten allerdings nur teilweise oder indirekt sichtbar. Denn wie das Deutsche funktioniert auch das Griechische so, dass Gruppen, die aus Männern und Frauen bestehen, mit einem männlich konstruierten Wort im Plural bezeichnet werden. Der Plural Ioudaioi (Juden bzw. Judäer) kann selbstverständlich auch Jüdinnen bzw. Judäerinnen mitmeinen, und ebenso können in dem Plural mathetai (Jünger) auch Jüngerinnen eingeschlossen sein. Auf der sprachlichen Oberfläche sind Frauen also in vielen Fällen nicht sichtbar, obwohl sie »selbstverständlich« mitgemeint sind. Die weibliche Form »Jüngerin« wird im Neuen Testament überhaupt nur ein einziges Mal verwendet, und zwar für Tabita in der Apostelgeschichte (Apg 9,36).
Frauen als Zeuginnen an Karfreitag und Ostern
Es gibt aber auch Texte, die Frauen in der Nachfolge Jesu explizit sichtbar machen. Aufschlussreich ist eine Stelle gegen Ende des Markusevangeliums: Nach der erschütternden Szene des Todes Jesu am Kreuz wird die erzählerische Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Frauen gelenkt, die dem furchtbaren Geschehen von weitem zusehen. Über diese Frauen wird gesagt, dass sie Jesus, »als er in Galiläa war, nachgefolgt waren und ihm gedient hatten … und mit ihm nach Jerusalem heraufgekommen waren« (Mk 15,41). Die Verben »nachfolgen (akolouthein)« und »dienen (diakonein)« sind im Markusevangelium geprägte Begriffe für die Jüngernachfolge. Hier lassen sich also Jüngerinnen Jesu erkennen, die von Anfang an, seit der Zeit in Galiläa, zur Jesusgruppe gehören und gemeinsam mit Jesus den Weg von Galiläa nach Jerusalem gegangen sind – und die auch jetzt noch da sind und hinsehen und auf diese Weise zu Zeuginnen des Geschehens werden. Nach dem Tod Jesu sind sie es, die beobachten, wo er begraben wird (Mk 15,47) und die dann am Ostermorgen die umwerfende Botschaft erhalten, dass er auferweckt wurde (Mk 16,1–8).
Besonders bedeutend: Maria aus Magdala
Der größte Teil dieser Jüngerinnen bleibt anonym. Einige hingegen werden mit Namen genannt. Die Bekannteste von ihnen ist sicher Maria aus Magdala, die in (fast) allen Aufzählungen von Frauen in der Nachfolge Jesu an erster Stelle steht. In ihr wird eine historische Jesusjüngerin greifbar, die aus dem Fischerstädtchen Magdala am See Gennesaret stammte. Wahrscheinlich war sie nicht verheiratet und auch sonst nicht fest in eine Familie eingebunden; sonst hätte man sie nicht über ihren Herkunftsort identifiziert, sondern über einen männlichen Verwandten. Sie hat einen festen Platz vor allem in den Passions- und Ostertraditionen der Evangelien. Nach dem Matthäusevangelium ist sie eine der beiden Frauen, denen der Auferstandene als erster erscheint (Mt 28,9–10), und das Johannesevangelium erzählt die berührende Geschichte ihrer Begegnung mit dem Auferweckten im Garten beim Grab (Joh 20,11–18). Nach Johannes ist sie es, die der Jüngergruppe die Osterbotschaft verkündet: »Ich habe den Herrn gesehen!« (Joh 20,18).
Diese Erzählung legte den Grundstein dafür, dass Maria aus Magdala im Mittelalter den Ehrentitel »Apostola Apostolorum« (Apostelin der Apostel) erhielt. Auch darüber hinaus war sie im frühen Christentum von enormer Bedeutung. Einige frühchristliche Gemeinden führten sogar ihre besonderen Christustraditionen auf sie zurück. Davon gibt das »Evangelium der Maria« aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Zeugnis, das allerdings nicht in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen wurde, sondern apokryph geworden ist.
Die verändernde Kraft des Reiches Gottes
Das Lukasevangelium zeigt die Jesusjüngerinnen bereits während der öffentlichen Wirksamkeit Jesu. In Lk 8,2–3 werden sie in direkter Parallele mit den Zwölfen genannt, und wie diese sind sie mit Jesus unterwegs, teilen sein Leben und lernen von ihm. Zu diesen Frauen gehören neben Maria aus Magdala auch Johanna und Susanna, über die ansonsten nichts weiter bekannt ist, sowie viele weitere Frauen, die ohne Namen bleiben. Lukas zeichnet sie so, dass sie das verwirklichen, was er für einen idealen Umgang mit dem Besitz hält: Sie unterstützen die Gruppe um Jesus mit dem, was sie haben (Lk 8,3), setzen ihren Besitz also so ein, dass es lebensförderlich für viele ist. Ähnlich werden auch Maria und Marta gezeichnet, die Jesus Gastfreundschaft gewähren (Lk 10,38–42).
Nach Lk 8,2–3 kommen die Frauen zur Jesusnachfolge, nachdem sie von Jesus geheilt wurden, oder, wie im Fall der Maria aus Magdala, nachdem Jesus sie von Dämonen befreit hatte. Sie haben also am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, dass das Reich Gottes sich unaufhaltsam ausbreitet und die Welt verändert.
Wenn sich das Reich Gottes überall ausbreitet, dann muss offensichtlich nichts bleiben, wie es war. Frauen müssen nicht auf ihren angestammten Plätzen im Haus bleiben, sondern können sich Jesu Reich-Gottes-Bewegung anschließen – sei es allein, sei es gemeinsam mit ihren Männern und Kindern. Die Jesusbewegung ist offen für alle, die sich von der Botschaft und Praxis Jesu ansprechen lassen und ihr Leben angesichts des anbrechenden Reiches Gottes neu ausrichten.
Sabine Bieberstein
Prof. für Neues Testament und Biblische Didaktik, Kath. Universität Eichstätt
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 4/18 publiziert worden.