Auslegung im Alltag 1. Lesung: Dtn 4,1-2.6-8| 2. Lesung: Jak 1,17-18.21b-22.27| Evangelium: Mk 7,1-8.14-15.21-23
Alle drei Textstellen des heutigen Sonntags haben eine Gemeinsamkeit. Es geht um die rechte Auslegung der Tora. Wir Christen übersetzen „Tora“ gerne mit Gesetz und verstehen darunter zuerst einmal die zehn Gebote.
Im Judentum wird Tora als Weisung verstanden und es ist überdies strittig, was denn genau alles zur Tora zählt. Im engen Sinn sind es die zehn Worte. Eigentlich umfasst die schriftliche Tora aber die ganzen Bücher Mose und damit eine bunte Vielfalt an unterschiedlichen Perspektiven – auch vermeintlichen Widersprüchlichkeiten. Neben der schriftlichen Tora kennt man im Judentum auch die mündliche. Salopp formuliert ist sie die aktualisierte Auslegung und auf die verschiedenen Lebenssituationen angepasste Interpretation der biblischen Texte.
Die Bücher Mose schildern unterschiedlichste Lebensgeschichten von Menschen, die ihren Lebensweg mit Gott zu gehen bereit sind. Sie erzählen vom Weg des Volkes Israel durch die Wüste und versuchen ein Regelwerk zu kreieren, das für ein gutes Leben im gelobten Land Fürsorge trägt. Die Tora würdigt, dass Umstände unterschiedlich sein können, dass ein Verhalten in einer bestimmten Situation das einzig richtige sein kann, bei anderen Umständen aber völlig falsch. Manche Gesetzesübertretungen werden geduldet, andere bestraft.
Aus diesem Grund ist das Judentum von allem Anfang an auf Diskurs ausgerichtet. Es ist üblich, dass Rabbinen in ihren Auslegungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, die durchaus auch widersprüchlich sein können. Wie der einzelne dann vorgeht, muss er für sich selbst entscheiden. Berühmt sind die beiden Rabbinen Schammai und Hillel. Sie lebten zur Zeit Jesu und beeinflussten sicher auch die Autoren der Evangelien und waren nicht zuletzt auch von Jesus inspiriert worden. Sie waren Vertreter zweier unterschiedlicher Auslegungsrichtungen. Schammai war dabei der strengere. Er hatte eine erschwerende und konservative Auslegung, während Hillel der liberalere war. Die beiden Schulen führten heftige Debatten über Fragen der rituellen Praxis, Ethik und Theologie,
Zudem ist es beim Lesen in der Synagoge üblich, dass alle um die Torarolle stehen, die das Zentrum bildet und die Tora gemeinsam ausgelegt wird – im Sinne von Rede und Gegenrede. Die Form einer sonntäglichen Predigt nach dem Motto: „wenn alles schweigt und einer spricht, dann nennt der Mensch das Unterricht“, kennt das Judentum und kannte Jesus nicht.
Wenn in den Evangelien geschrieben steht, dass Jesus in der Synagoge das Schriftwort auslegte, dann tat er es in Rahmen von konkreten Anfragen oder im gemeinsamen Diskurs. So sind auch die Debatten mit den Pharisäern zu verstehen. Das Judentum kennt die Engführung mit angewiesenen Dogmen oder Verlautbarungen nicht. Das Judentum ist seit jeher eine plurale Glaubensgemeinschaft mit unterschiedlichen Strömungen. Genauso war es auch zur Zeit Jesu und die Evangelien zeugen von diesen Diskursen und berichten von unterschiedlichen Gruppierungen wie den Sadduzäern, Pharisäern oder Zeloten.
Jesus versucht im heutigen Evangelium in einer dieser Auseinandersetzungen die Dinge auseinanderzuhalten. So wird von „Überlieferung der Alten“ gesprochen, von „überlieferten Vorschriften“ und von Satzungen von Menschen. Jesus ist die Unterscheidung wichtig: Welches sind wirklich Gebote Gottes und was sind „vermeintliche“ Auslegungshilfen von Menschen? Er prangert an, dass sich die Ausleger von der Tora entfernt haben und Vorschriften der Vorschrift willen entstanden sind, die keinerlei Rückbindung haben. Schlussendlich findet sich der Gläubige in der Situation wieder, dass er „den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht“. Jesus findet deutliche Worte: „Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen“ (Mk 7,8). Schon im Buch Deuteronomium wird vor der Gefahr der Selbstermächtigung gewarnt: „Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt die Gebote des Herrn, eures Gottes, bewahren, auf die ich euch verpflichte. Ihr sollt sie bewahren und sollt sie halten“ (Dtn 4,5-6).
Jesus bringt uns in seinem Leben und Wirken nahe, dass es nicht um eine Gesetzesverbissenheit geht, nicht um ein Korsett, dass je enger geschnürt, desto besser sitzt. Nein, es geht um die rechte Auslegung im Alltag des Lebens. Und dazu ist jeder berufen. Hinzu kommt, dass es nicht um blinden Gehorsam geht. Nein. Damit ein rechter Umgang mit dem Gesetz möglich ist, braucht es zwei Eigenschaften: Weisheit und Bildung. Der Verfasser des Jakobusbriefes wendet sich an eine judenchristliche Gemeinde und führt vor diesem Hintergrund auf die Bedeutung und den Stellenwert der jüdischen Wurzel hin: Die Anwendung der Tora im Leben ist Zeichen von Weisheit und Bildung, die andere zu überzeugen vermag. Das Lebensbeispiel, dass Jesus gab, fasst Jakobus so zusammen: „Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, sonst betrügt ihr euch selbst! (Jak 1,22).
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Deuteronómium anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Jakobusbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Auslegung im Alltag 1. Lesung: Dtn 4,1-2.6-8| 2. Lesung: Jak 1,17-18.21b-22.27| Evangelium: Mk 7,1-8.14-15.21-23”
Meiner Meinung habe ich im Leben immer die Chance , die jeweilige Situation abzuwägen. Es kommt für mich auf den Aspekt an, ob mein Tun dem Leben dient. Ich höre dabei auf meine innere Stimme, ich versuche dabei die Nachricht des Herrn zu erkennen der mir in der Gegenwart begegnet. Natürlich erfordert das Aushalten manchmal viel Geduld. Diese Zeit bewirkt bei mir, dass das Vertrauen zu Gott wächst und die Lebenserfahrung zunimmt. So bleib ich in Bewegung.
Gesegnete Grüße