Die Bibel als gegenwärtige Kraft 1. Lesung: Jes 58,7-10| 2. Lesung: 1 Kor 2,1-5| Evangelium: Mt 5,13-16
Der heutige Textabschnitt folgt auf die sogenannten Seligpreisungen. Jesus weilt auf einer Anhöhe über dem See Genezareth und versucht, die Ausführungen der Tora in die damalige Zeit zu übersetzen. Wie oft geht es uns selbst so, dass wir Texte aus der Bibel hören und spüren, dass wir den Inhalt dieser alten Texte nicht so richtig zuordnen können, uns die damaligen Rahmenbedingungen und Formulierungen unzugänglich bleiben. So ging es auch den Juden der damaligen Zeit. Damals wie heute gilt es, die biblischen Texte in die Gegenwart zu übertragen. Und die Fragen aller Fragen lauten: Was bedeuten diese Texte heute? Wie können sie interpretiert werden? Was wollen sie mir für mein Leben sagen?
Jesus sagt in der Bergpredigt das Alte noch einmal neu. Wir können dies z.B. am Text der ersten Lesung aus dem Buch Jesája erkennen. Es sind Formulierungen, die Jesus in den Seligpreisungen aufgreift. Das Anliegen Jesu ist, dass die Tora als gegenwärtige Kraft für die Menschen wieder spürbar wird und bleibt. Angestaubtes beginnt erneut zu glänzen wie das Licht auf dem Leuchter. Abgestandenes wird wieder kraftvoll, wie das Salz, das den Speisen Würze verleiht.
Die Juden der damaligen Zeit waren hin und her gerissen. Es gab unterschiedliche Strömungen und jede versuchte sich an einer eigenen Auslegung der Tora. So stöhnten viele Juden unter der Gesetzesobservanz der Pharisäer. Diese begannen, jedes Detail des Lebens unter das Joch des Gesetzes zu stellen. Ein Zugang, der auch manchen Strömungen in der katholischen Kirche nicht fremd war oder immer noch ist. Solch einer reinen Gesetzesfrömmigkeit will Jesus entgegentreten. Für ihn steht die Haltung, nicht das Gesetz im Mittelpunkt.
Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide (1922 – 1997) formulierte dies so: „Was Anstoß gibt, ist nicht etwas Neues und Unbekanntes, das Anstößige ist vielmehr die ungeheure Sprengkraft des doch eigentlich längst Bekannten“. Es ist auch ein Zuruf an uns: Kehrt um, prüft nochmals was ihr meint, bereits zu kennen und vielleicht für überholt haltet. Jesus selbst macht in den Seligpreisungen genau das, was er von anderen fordert: Er greift auf die Bibel zurück, hinterfragt sie auf das Leben hin und zeigt neu die Kraft, die in ihr steckt.
Beim Frieden schaffen im Großen und im Kleinen – in der Politik wie in der Familie oder im Freundeskreis – geht es um Aushalten, Zureden, um Zugeständnisse, Verzicht, Rücksichtnahme, um gegenseitiges Aufeinanderzugehen, feinfühliges Zueinanderbringen, im Gespräch bleiben, um das Aufspüren subtiler Kompromisschancen, um das Schlagen von Brücken. All dies führt uns die Bergpredigt vor Augen. Solche Verhaltensweisen ermöglichen Gottesgegenwart und sind Prophetie im Alltag. Manchmal gilt es der Liebe wegen auch etwas auszuhalten. Langjährige Ehepaare können davon wohl ein Lied singen. Pinchas Lapide formuliert dies wunderschön: „Die jüdische Bibel (…) ist der Überzeugung, dass jeder Mensch es in sich hat, dem anderen ein Stück vom Himmelreich zu geben“. Nächstenliebe meint nicht nur, den anderen auszuhalten, sondern einen Beitrag zu seinem Glück, zu seiner Zufriedenheit leisten zu wollen. Alle Seligpreisungen appellieren an unsere innere Freiwilligkeit, an den Großmut des Herzens und an die persönliche Verantwortungsbereitschaft.
Noch heute liegen bei den Juden bei der wöchentlichen Schabbat-Feier auf dem Festtisch zwei Schabbatbrote. Beim Brotsegen wird Salz auf die gebrochenen Chala-Brote gestreut und das Brot in Salz getaucht. Salz ist ein Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und seinem Volk, wie es im Buch Levitikus beschrieben wird: „Jedes Speiseopfer sollst du salzen und deinem Speiseopfer sollst du das Salz des Bundes deines Gottes nicht fehlen lassen; jede deiner Opfergaben sollst du mit Salz darbringen“ (Lev 2,13). Salz ist unbestechlich, man kann es nicht versüßen, es bleibt immer Salz. Es hat eine reinigende Wirkung. Es konserviert und bewahrt. So ist das Salz im Judentum auch Sinnbild für die Tora. Salz als Zeichen für einen Bund, der niemals fahl werden kann. Auch wenn das, was gesalzen wurde, längst verdunstet ist, bleibt pures Salz übrig. Es kann weder durch Feuer noch durch Zeit zerstört werden. Auch wenn wir Menschen uns aus der Beziehung zu Gott zurückziehen, das Salz, das Gott zur Beziehung beisteuert, bleibt bestehen.
Das Licht steht für den siebenarmigen Leuchter im Tempel – das Symbol für die Schechina, die Anwesenheit Gottes. Wir sollen unser Licht, unser Bekenntnis nicht unter den Scheffel stellen. Wir sollen das Licht nicht in uns konservieren, sondern es hinaustragen, denn bereits eine kleine Flamme kann die Finsternis vertreiben. Salz hat Geschmack. Geschmack bedeutet in der jüdischen Überlieferung gute Taten. Die NachfolgerInnen Jesu sind Licht und Salz, Konservierungsmittel für die frohe Botschaft. Ohne Salz kann man nicht leben, ohne Licht auch nicht. Sie sollen beides bewahren und weitergeben.
Die Gemeinschaftsgottesdienste in den Kirchen werden zurückgehen. Sowohl das Licht als auch das Salz stehen im Judentum für den Tempel in den eigenen vier Wänden. Das Schabbatlicht, mit der die Feier im eigenen Haus beginnt und das Salz, in das die Schabbatbrote getaucht werden. Als Karl Barth gegen den Nationalsozialismus auftrat, nannte er das „politischen Gottesdienst“. Vielleich gilt es auch heute neue Gottesdienstformen zu entwickeln – zu Hause und auf der Straße.
Die Tora ist das Geländer, das uns hilft, den Alltag auszuhalten bzw. bestmöglich bestreiten zu können. Sie hilft, ein gedeihliches Miteinander leben zu können. Weltenleben hängt eng mit unseren Haltungen zusammen, wir erkennen dies gerade in den kriegerischen Handlungen in der Ukraine und den Diskussionen rund um den Klimaschutz. Jesus sagt bei Matthäus im 24. Kapitel: „Und weil die Gesetzlosigkeit überhandnimmt, wird die Liebe bei vielen erkalten“ (Mt 24,12). Wir sind eingeladen in den biblischen Texten zu lesen, zu fragen und zu prüfen, wie und was wir davon in unserem Leben umsetzen wollen, welche Botschaften diese Texte für unser heutiges Leben bereithalten. Die Bibel ist eine große Schatzkiste, in der zu kramen und zu suchen sich lohnt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jessája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostel Paulus an die Gemeine in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: