Erleichterung und geteilte Hoffnung 1. Lesung: Mi 5,1-4a|2. Lesung: Hebr 10,5-10|Evangelium: Lk 1,39-45
Der Text aus dem Evagenlium nach Lukas ist uns allen bekannt, vielleicht allzubekannt. Dies birgt die Gefahr, dass wir in unseren Bildern hängen bleiben, nicht mehr genau hinhören und uns dadurch neuen Blickwinkeln verschließen.
Der heutige Textabschnitt schildert uns eine große Erlösungsgeschichte aus tiefer seelischer Not und Verlassenheit. An den Beginn meiner Gedanken möchte ich eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse stellen:
Zacharias und Eliasabet „leben gerecht vor Gott und wandeln untadelig nach allen Geboten“ (Lk 1,6). Auf ihnen lastet aber eine große Schmach, denn diese Priesterehe blieb kinderlos. Ein schlimmes Schicksal zu dieser Zeit, denn man zog verächtliche Blicke auf sich und hatte im Alter keine Absicherung. Zacharias war an der Reihe, seinen Dienst im Tempel zu versehen und verließ dazu für mehrere Tage seine Frau. Während seines Dienstes im Tempel erschien ihm ein Engel und brachte die frohe Botschaft, dass er und seine Frau in schon sehr vorgerücktem Alter noch ein Kind erwarten dürfen – einen Stammhalter. Was für ein Segen! Da er den Worten des Engels nicht glaubt, soll er bis zum Eintreten des Verkündeten stumm sein und nicht mehr reden können. „Als die Tage seines Dienstes zu Ende waren, kehrte er nach Hause zurück. Bald darauf wurde seine Frau Elisabet schwanger“ (Lk 1,23-24).
Veranschaulichen wir uns die Situation von Elisabet: Sie hatte sich vermutlich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden, denn in ihrem Alter war kein Kind mehr zu erwarten. Schmach und Ausgrenzung war sie schon gewohnt. Zacharias kommt nun von seinem regelmäßigen Dienst im Tempel zur völligen Überraschung schweigend zurück. Wir wissen nicht, ob ein Begleiter Elisabet etwas über die Umstände erzählen konnte oder Zacharias schriftlich eine Botschaft formuliert hat. Jedenfalls lesen wir, dass die Zeugung des Johannes völlig „sprach- und lautlos“ erfolgt sein muss, ohne jede verbale Zärtlichkeit. Mir läuft es bei dieser Vorstellung fast etwas kalt über den Rücken. Elisabet konnte kaum erahnen, in welchem Dienst sie stand. Sie muss ihren Mann nach so vielen Jahren immer noch sehr geliebt und ihre gemeinsam durchlittene Schmach muss sie stark verbunden haben, ansonsten gibt man sich einer solchen Situation nicht hin.
Lukas erzählt uns weiter: Elisabeth „lebte fünf Monate lang zurückgezogen. Sie sagte: Der Herr hat mir geholfen; er hat in diesen Tagen gnädig auf mich geschaut und mich von der Schmach befreit, mit der ich unter den Menschen beladen war“ (Lk 1, 24-25). Man darf rätseln, ob es eine Zeit freudiger Erwartung war oder doch nicht eher eine sehr durchwachsene und mühsame Schwangerschaft. Sie lebte alleine und zurückgezogen neben einem stummen Mann. Sie scheint von einem Elend in das nächste zu schlittern.
Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft und Abgeschiedenheit erhält sie überraschenden Besuch. Ihre Verwandte Maria war zu ihr geeilt. Fridolin Stier übersetzt einige wesentllichen Sätze des heutigen Evangeliums folgendermaßen: „Maria trat in das Haus des Zacharias und bot Elisabet den Friedensgruß. Und es geschah: Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib, und Elisabet wurde voll heiligen Geistes. Und sie rief mit gewaltigem Schrei …“ (Lk,1 40-42).
Maria sprach Elisabet Schalom zu. Schalom ist weit mehr, als die Übersetzung Friede beinhaltet. In seiner Urbedeutung meint das hebräische Wort Schalom Vervollständigung. Wo Schalom ist, finden sich nicht nur Sicherheit und Ruhe, sondern auch Gesundheit und Freude. Schalom ist auch eine Frage nach dem Wohlbefinden. Schalom ist mehr als Friede, es ist „Zu-Frieden-heit“. Dieser Zuruf muss wie ein Befreiungsruf für Elisabet gewesen sein. Diese Worte aus dem Mund eines Menschen zu hören, der einem wohlgesonnen ist, muss eine Erlösung gewesen sein. Wir wissen, dass Kinder im Mutterleib vieles aus ihrer Umgebung wahrnehmen, Geräusche des Umfeldes und Gefühle der Mutter. Sehr relaxt dürfte die Schwangerschaft Elisabet’s angesichts aller Probleme wohl nicht verlaufen sein. Der Fötus musste heranwachsen, ohne je die väterliche Stimme vernommen zu haben. Die Zuwendung Maria’s, die seiner Mutter zuteil wurde, wird das Kind gespürt haben und es regt sich, verbunden mit der Gefühlswelt seiner Mutter. Es wird die Erlösung mit-gespürt haben. Nicht umsonst übersetzt Stier den Ruf „mit lauter Stimme“ aus der Einheitsübersetzung als Schrei. Es war ein Schrei der Befreiung.
Welche Seeligkeit muss sich in diesem Moment über die Freundschaft zwischen diesen zwei Frauen gelegt haben? Beide Frauen konnten kaum verstehen, was ihnen da geschieht. Ihre Lebensumstände waren schwierig, herausfordernd und komplex. Auch die verkündeten Heilsbotschaften brachten nicht wirklich spürbare Erleichterung. In diesen krisengebeutelten Haushalt der Elisabet zog allerdings durch den Besuch Maria’s wieder ein Gefühl von Sicherheit, Ruhe und Hoffnung ein. Der ehemalige verstorbene Präsident der Tschechischen Republik Václav Havel meinte: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht“. Ich denke, so ein Hoffnungsgefühl hat Elisabet und Maria stark gemacht.
Dieses Verständnis von Hoffnung kann auch uns in dieser Zeit der Pandemie und gesellschaftlichen Verwerfungen, im Advent – der Zeit der Hoffnung auf die Menschwerdung Gottes – Orientierung sein: wie ein Stern, der uns den Weg durch das Unwegsame zeigt. Wir wissen nicht wann die Pandemie zu Ende gehen wird, welche gesellschaftlichen Veränderungen bis dahin Platz greifen, ob sich unser demokratisches System standhaft zeigen wird, aber wir dürfen die Hoffnung haben, dass es im göttlichen Heilsplan Sinn ergibt und wir Erlösung finden werden.
Die Hoffnung der Maria auf die Zusage des Engels hat sie Elisabet aufsuchen lassen. Ihr Besuch brachte Heil und Erlösung. Auch wir können helfende, erlösende Besucher sein. Auch wir kennen den Dank, den wir verspüren, wenn wir uns zugewandte Verwandte oder Freude haben, die diesen Dienst an uns erfüllen. Wir kennen die Mühsal, dass uns auf letzten Metern die Ausdauer abhanden kommen kann – insbesondere jetzt in der Pandemie. Vielleicht müssen wir noch lange warten, vielleicht haben wir auch schlimme Rahmenbedingungen, aber wir dürfen hoffen, dass uns Schalom zugesagt wird und wir Schalom zusagen dürfen und damit uns und anderen Erlösung und Erleichterung verschaffen können. Erlösung, Erleichterung und geteilte Hoffnung ist vor allem in und durch menschliche Begegnungen möglich.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Micha anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Erleichterung und geteilte Hoffnung 1. Lesung: Mi 5,1-4a|2. Lesung: Hebr 10,5-10|Evangelium: Lk 1,39-45”
Vielen Dank für die Auslegung des Evangeliums. Jeden Sonntag baut mich die Botschaft auf.
Herzliche Grüße Franz Lummer