Gott stellt ins Licht Gedanken zur Schöpfungserzählung von Erich Baldauf
„Der Fall des Menschen“ oder „Sündenfall“ ist die Überschrift über der kunstvollen Erzählung aus dem Buch Genesis, drittes Kapitel. Allerdings kommt der Begriff „Sünde“ dann gar nicht vor. Die Geschichte hat zwei Erzählstränge. Der erste geht der Frage nach: Wie kommt das Böse in die Welt und welche Folgen zeigen sich? Der zweite thematisiert: Wie reagiert Gott auf den schuldig gewordenen Menschen? In der Erzähltradition kommt m. E. der zweite zu kurz. Deshalb wird er in diesem Beitrag besonders ins Zentrum gerückt.
ER sucht und geht nach
Nachdem Adam und Eva vom Baum gegessen hatten, entdecken beide ihre Nacktheit. Sie schämen und verstecken sich. Die Scham führt sie in die Einsamkeit und Isolation. Es ist Gott, der ihnen nachgeht. In der neuen Einheitsübersetzung heißt es, dass Gott nach dem Menschen ruft und zu ihm sagt: „Wo bist du?“ (v9) Als ER die Menschen gefunden hat, folgt kein Wort der Schelte oder Strafe, sondern ER stellt eine offene Frage: „Wo bist du?“, oder frei formuliert: „In welche Situation habt ihr euch gebracht?“ Gott beginnt die Beziehung zu den Menschen zu erneuern und bietet ihnen die Chance, sich zu erklären.
Der anschließende Dialog spiegelt klassisch die Mechanismen wider, in die Schuldiggewordene gerne einsteigen. Die Schuld wird abgeschoben bzw. es werden Schuldige gesucht. Adam sagt, es sei die Frau gewesen (v12), und die Frau erklärt, die Schlange habe sie verführt (v13).
Die Macht des Bösen ist begrenzt
Die Erzählung zeigt auf, dass die Folgen der Untaten (Sünde) massiv das Leben, die Arbeit und die Beziehungen bei Mann und Frau erschweren. Sie fordern Schweiß, Tränen, Angst, Unterdrückung, Krankheit und letztlich den Tod.
Beachtenswert ist zugleich, dass von vornherein die Macht des Bösen beschnitten wird. Zur Schlange sagt der Herr: „Du [Nachkommenschaft der Schlange] wirst am Kopf getroffen und du triffst ihn [Nachkommenschaft der Frau] an der Ferse.“ (v15)
Die Zusage lautet, dass das Böse am Kopf getroffen wird, das heißt, dass es keine wirkliche Zukunft hat. Das Böse verletzt Menschen, doch es gleicht einer Verletzung an der Ferse, die wieder heilen kann und wird. Christen sehen vor allem im Tod Jesu am Kreuz und in der Auferstehung diese Verheißung erfüllt und vollzogen.
Eva – Mutter aller Lebendigen
Im Weiteren wird die Frau von Adam „Eva“ genannt: „die Mutter aller Lebendigen“ (v20). Sie, die für viel Mühsames Ursache sein mag, ist zugleich Ursprung und Grund für das Lebendig-Sein. Vielleicht können wir uns in dieser Rolle wiederfinden. Wir bereiten mit unseren Fehlern, unserem Versagen und unseren Unzulänglichkeiten anderen Sorgen und Mühen – und sind zugleich auch jene, die zur Lebendigkeit beitragen (können).
Felle als Gewänder
Die Frau und der Mann heften Feigenblätter (Ausreden, Entschuldigungen …) zusammen, um sich zu bedecken. Es sind keine tauglichen Mittel, in der „Kälte der Beziehungslosigkeit“, der Urteilenden und Verurteilenden zu bestehen. Der Herr bekleidet sie mit Röcken aus Fellen (v21). Der Herr schützt die schuldig gewordenen Menschen. Er will, dass niemand in der Kälte einer Gesellschaft erfriert, auch nicht in der Kälte kirchlicher Moralisten. Es ist Teil der Versöhnungsarbeit, Menschen vor übler Nachrede, Spott, Verhöhnung, Abkanzelungen u. a. zu schützen.
Östlich von Eden
Die Menschen sind vom Garten Eden Vertriebene, doch Gott lässt sie „östlich“ davon wohnen. Sie sind in die Sonne, ins Licht gestellt, nicht in die Dunkelheit. Es sind die Kerubim und das Flammenschwert aufgestellt, damit die Menschen nicht vom Baum des Lebens nehmen, damit das Vertrieben-Sein zu keinem endlosen Schicksal werde (v24).
Gott nimmt sich eindrücklich des schuldig gewordenen Menschen an. Er zeigt seine Leidenschaft für das Leben. Genesis 3 enthält wertvolle Impulse für das Bemühen um Versöhnung und Versöhnungsarbeit. Wir sind eingeladen, von Gott zu lernen. Das Bemühen um Versöhnung ist gut aufgehoben, wenn es im Lichte Gottes angegangen wird.
Erich Baldauf, Pfarrer in Hard, Bibelreferent der Diözese Feldkirch
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 4/19 publiziert worden.
2 Kommentare zu “Gott stellt ins Licht Gedanken zur Schöpfungserzählung von Erich Baldauf”
Lieber Erich,
vielen Dank für diese Gedanken, welche bewegen und auch gleichweg berühren. Sie machen mich nachdenklich und schenken Trost. Sie geben Hoffnung und Zuversicht und lassen unzulängliches im (östlichen) Licht neu erscheinen.
Lieber Erich,
es ist genau wie Du schreibst und erklärst, Gott lässt uns alle „östlich“ vom Garten Eden wohnen. Wir sind in die Sonne und ins Licht gestellt. Nur wenn man uns, so wie Du es tust, die heilige Schrift erklärt, können wir verstehen, daraus lernen, danach leben und umsetzten. Vielen Dank.