Provozierende Wahrheit 1. Lesung: Dan 7,2a.13b-14| 2. Lesung: Off 1,5b-8| Evangelium: Joh 18, 33b-37
„Was ist Wahrheit“ (Joh 18,38)? Fragt Pilatus am Ende seines Dialogs mit Jesus. Er, der drauf und dran ist, ein Todesurteil zu fällen, stellt die Frage: Was ist Wahrheit? Pilatus fragt wohl, aber er bleibt nicht wirklich an ihr dran. Er ist getrieben und will den Prozess zu Ende bringen.
Was ist Wahrheit? Pilatus, Stadthalter des römischen Kaisers, dem mächtigsten Mann der damaligen Welt, der über Leben und Tod entscheidet, weiß nicht was Wahrheit ist. Man lese und höre die Provokation des Evangelisten Johannes, der den Zynismus eines Rechtssystems entlarvt, das vorgibt, dem Frieden und Wohl des Volkes und seiner Sicherheit zu dienen. Es ist heute auch eine Frage an ein demokratisches, humanes Europa, welcher Wahrheit will gedient sein, wenn im Mittelmeer seit dem Jahr Zweitausend bereits 35 000 Menschen auf ihrer Flucht ertrunken sind? Es sind die offiziellen Zahlen. Es ist der größte Zentralfriedhof Europas.
Aber Vorsicht: die Frage richtet sich an alle Hörer und Leser, ja an die gesamte Menschheit. Willst DU die Wahrheit kennen? Willst DU ihr wirklich auf den Grund gehen?
Wir wissen, wie leicht und schnell über Themen geredet, wie leicht und schnell Menschen be- und verurteilt werden. Gerade auch vermeintliche Glaubenssätze können dazu beitragen, Menschen ins Aus zu treiben: Menschen, die Lebensbrüche erlitten haben, die als ungläubig bezeichnet werden, die vielleicht in moralischen Fragen nicht der Norm entsprechen. Von Jesus hören wir es zweimal im Johannesevangelium: Ich bin nicht in die Welt gekommen, zu richten sondern zu retten (Joh 3,17; 12,47).
Mit dem Wort „Wahrheit“ verbindet die Bibel ein besonderes Verständnis, das nicht mit unserem alltäglichen verwechselt werden darf, in dem davon ausgegangen wird: wahr ist, wenn es mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Im Hebräischen meint das entsprechende Wort „eh‘-meth“ eine Eigenschaft, die nicht nur eine Sache, sondern vor allem einem Menschen zukommt. Sie meint soviel wie Treue, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit. Wir kennen ein solches Verständnis von „Wahrheit“. Wir sprechen zum Beispiel von einem/einer „wahren“ Freund/Freundin; wir meinen jemanden, der sich tatsächlich als Freund/Freundin gezeigt hat, dem/der man vertrauen kann, weil man weiß, dass er/sie zuverlässig ist. Die Bibel kann in diesem Sinn auch von der „Wahrheit“ Gottes sprechen. So heißt es im Psalm 40: „Du, Herr, verschließ mir nicht dein Erbarmen, deine Huld und Wahrheit mögen mich immer behüten!“ (Ps 40,12). „Wahrheit“ meint hier nicht, dass es Gott gibt, sondern dass er für den Beter da ist, dass er zu seinem Wort steht und dass auf ihn Verlass gleich einem wahren Freund ist.
Mit vielen Bildern und Redewendungen versucht Johannes diese „Wahrheit“ zugänglich zu machen und sie gipfelt in der Aussage: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16).
Der Evangelist Johannes erläutert zudem: Es gibt keine andere Möglichkeit, dieser Wahrheit der Liebe Gottes Geltung zu verschaffen als die, dass Jesus für sie steht und einsteht. Es ist unmöglich, sie gewaltsam durchzusetzen, sie einzubläuen oder zu erzwingen. Es gibt auch nicht die Möglichkeit, sie argumentativ zu beweisen. Es ist für Jesus die einzige Möglichkeit, sie mit seiner ganzen Person und letztlich mit seinem Leben zu bezeugen.
Es soll und darf uns als Christen bewusst bleiben, wir können weder den Glauben eines Menschen noch die Kirche machen. Wir können allein IHN – Gott – bezeugen mit unserer Treue und Verlässlichkeit, mit unserer Wahrhaftigkeit, Versöhnungsbereitschaft und Liebe. Es bleibt in Gottes Hand, was aus dem Zeugnis wird und wächst.
Jesus als König einer Welt der Wahrheit, für die er lebt und Zeugnis ablegt. Vielleicht haben manche mit der Vorstellung Jesus als König Mühe. Sie ist wahrlich nicht ganz unbedenklich, gerade wenn man den Ursprung des Festes bedenkt. Es wurde von Papst Pius XI. 1925 eingeführt. Nach dem ersten Weltkrieg gab es einen großen politischen Umbruch. In Europa gingen viele Monarchien zu Ende oder wurden bedeutungslos. Es entstanden Demokratien. Sie waren Ausdruck einer veränderten Gesellschaft. Nicht mehr die Stände mit ihren eigenen Privilegien, sondern alle Bürger, die gleich waren mit Rechten und Pflichten, sollten nun das Leben bestimmen. Nicht mehr Kaiser oder Könige von Gottes Gnaden regierten die Länder, sondern gewählte Volksvertreter. Es entstand der säkulare, weltliche Staat, der nicht mehr an die Kirche gebunden war.
Die Einführung des Festes richtete sich gegen die moderne Entwicklung. Der Papst bezeichnete das Christkönigsfest als ein Heilmittel gegen die Irrtümer der Zeit. Dazu zählte auch die Entwicklung der Demokratien. Es sollte daran erinnern, dass Christus in allen Bereichen der Welt herrschen soll, so auch im Staatsaufbau.
Das II. Vatikanische Konzil hat dem Fest eine völlig neue Ausrichtung verliehen. Nicht mehr gegen die Welt leben der Glaube und die Kirche, sondern mit und in der Welt. Das Fest Christus als König birgt die Botschaft. Unser Herz gehört keiner menschlichen Autorität und keiner politischen oder gesellschaftlichen Einrichtung. Die Seele gehört Gott und nicht dem Kaiser, auch nicht dem Papst.
Wir sind gerufen Zeugen einer Wahrheit zu sein, die die Menschenwürde und Ebenbildlichkeit Gottes für Jede und Jeden anerkennt. Wir sind Zeugen einer Wahrheit, die nicht verurteilt, sondern das Leben teilt, oder wie es Paulus als Schiffbrüchiger formuliert: Wir werden nur gerettet, wenn alle gerettet werden (Apg 27f). Das Königtum Jesu kennt keine Grenzen, weder von Ländern, Rassen, noch der Geschlechter oder des Soseins.