Rebekka: Die Frau ihrer Träume (Gen 24) Susanne Gillmayr-Bucher zeichnet ein Porträt
Der große Erzählzyklus im Buch Genesis, der mit Abraham und Sara beginnt und bis hin zu Josef reicht, berichtet in exemplarischer Weise vom Leben einer Familie im Land, das Gott ihnen verheißen hat. Dabei ist weder das Bleiben im Land noch der Fortbestand der Familie gesichert, beides ist vielmehr immer wieder gefährdet. Deshalb wird die Bewahrung der Kontinuität für jede Generation neu als eine herausfordernde Aufgabe dargestellt. Vor allem in persisch-hellenistischer Zeit, als weder das Leben im Land Israel eine Selbstverständlichkeit, noch die Frage, was einen Israeliten/eine Israelitin ausmacht, einfach zu beantworten war, versuchen diese Erzählungen am Beispiel der Erzeltern Antworten auf diese Situation zu formulieren.
Von einer solchen Übergangssituation wird in Gen 24 erzählt. Abraham und Sara sind alt geworden, sie leben immer noch als Fremde im Land, aber sie haben einen Sohn: Isaak, den Sohn ihres Lachens, auf dem ihre ganze Hoffnung ruht. Doch wie kann die Zukunft der Familie mit ihm weitergehen, wo soll er eine Frau finden, die in die Familie passt und deren Zukunft gestalten kann? Aus dieser Frage nach einer „idealen Frau“ entwickelt Gen 24 eine lange Erzählung, die keine eindeutige Antwort gibt, sondern die erhoffte Frau aus unterschiedlichen Perspektiven schildert.
Eine Frau
Das erste Bild der Frau entwirft Abraham, als er seinen Verwalter damit beauftragt, eine Frau für Isaak zu finden. Dabei legt er genau fest, welchen Anforderungen die künftige Frau Isaaks entsprechen soll. Zwei Aspekte sind besonders wichtig: diese Frau soll aus der Familie Abrahams stammen und sie muss bereit sein, in das Abraham von Gott verheißene Land zu kommen. Abraham erwartet damit von dieser Frau, dass sie genauso wie er selbst bereit ist, ihre Familie und ihr Land zu verlassen und in ein ihr unbekanntes Land und eine nicht absehbare Zukunft aufzubrechen.
Eine junge Frau
Als der Verwalter in der Gegend ankommt, wo Abrahams Verwandte wohnen, präsentiert uns die Erzählung seine Vorstellung von der richtigen Frau für Isaak. Anstatt direkt zu Abrahams Familie zu gehen und dort nach einer jungen Frau Ausschau zu halten, hofft er darauf, dass Gott die passende Frau bereits erwählt hat und er sie deshalb nur noch erkennen muss. Deshalb entwirft er in Gedanken eine Begegnung, die ihm Gewissheit geben soll. Er stellt sich vor, dass diese ideale Frau ihm am Brunnen entgegenkommt, ihm zu trinken gibt und freiwillig anbieten, auch seine zehn Kamele zu tränken. Er erwartet nicht weniger, als dass diese junge Frau ihm seinen Wunsch von den Augen abliest und selbstverständlich zu dieser großen Anstrengung bereit ist.
Rebekka
Die erste Erwähnung Rebekkas in dieser Erzählung stellt sie als schöne junge Frau aus der Familie Abrahams vor, d. h. nach den Kriterien Abrahams wird sie bereits als eine mögliche Braut vorgestellt, doch diese Information erhalten vorerst nur die Leser/innen. Bei der Begegnung mit dem Verwalter erwarten die Leser/innen dann mit Spannung, ob Rebekka auch seine Kriterien erfüllt und ob er sie als mögliche Braut erkennt. Während Rebekka – fast wie im Märchen – den vom Verwalter ausgedachten Test besteht, und die Leser/innen sie bereits als die zukünftige Frau Isaaks sehen, muss der Verwalter selbst noch etwas warten, bis er erfährt, ob diese junge Frau aus der Familie Abrahams stammt. Als auch das geklärt ist, sieht der Verwalter den schwierigsten Teil seiner Aufgabe erfüllt, in seinen Augen hat er die richtige Frau bereits gefunden.
Im Anschluss an diese Begegnung wird der Verwalter in das Haus der Familie Rebekkas eingeladen, er erzählt von seinem Auftrag und bringt sein Anliegen vor. Mit seiner geschickten Erzählung, in der er nicht nur den Reichtum Abrahams betont, sondern auch seine Begegnung mit Rebekka am Brunnen als göttliche Fügung darstellt, kann er die Familie rasch überzeugen, dem Wunsch Abrahams zuzustimmen und Rebekka als Frau für Isaak ziehen zu lassen.
Damit ist nun nur noch eine Frage offen: Ist Rebekka selbst auch bereit zu gehen? Ähnlich wie bereits im Gespräch Abrahams mit seinem Verwalter ist auch hier keine Rede davon, dass die Familie darüber bestimmt, ob Rebekka Isaaks Frau werden will. Es muss ihr eigener, freiwilliger Entschluss sein. Als Rebekka gefragt wird, willigt sie sofort ein und wird von ihrer Familie mit einem Segen verabschiedet, der ihr eine große Zukunft verheißt.
Isaak gewann sie lieb
Von der Ankunft Rebekkas bei Isaak wird zwar nur mehr kurz berichtet, aber es wird noch eine Perspektive eingeführt, nämlich die Isaaks. Er stand in der Erzählung bislang ganz im Hintergrund, nun erfahren wir von ihm etwas, was sonst nur selten berichtet wird, Isaak gewann Rebekka lieb. Sie entspricht also nicht nur den Vorstellungen Abrahams und seines Verwalters, sondern auch Isaak findet in ihr mehr, als er vielleicht zu hoffen wagte.
Die Frau ihrer Träume
Aus der Perspektive der männlichen Protagonisten dieser Erzählung erweist sich Rebekka als „Traumfrau“: Sie ist ein Spiegelbild Abrahams, sie stammt aus seiner Verwandtschaft und zeigt denselben Mut, sich auf Neues einzulassen; für den Verwalter ist sie die ideale junge Frau, fleißig und hilfsbereit, die jeden Wunsch ohne zu zögern erfüllt; für ihre eigene Familie ist sie die Hoffnung auf eine große Zukunft; und für Isaak wird sie zu seiner geliebten Frau.
Von Rebekka selber erfahren wir hingegen wenig, was sie denkt, hofft und fühlt, bleibt den Leser/inne/n verborgen. Im weiteren Verlauf der Erzählungen wird jedoch deutlich, dass Rebekka die ihr zugedachte Rolle initiativ und mit viel Geschick ausfüllt. Ihre Tatkraft, ihr Weitblick, aber ebenso ihr Mut, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen, zeigen, dass Rebekka die ihr zugedachte Rolle als „Traumfrau“ ausfüllt. Sie erweist sich als die erhoffte Nachfolgerin Abrahams, die das Schicksal der Familie prägt und ihre Zukunft sichert.
Susanne Gillmayr-Bucher, Professorin für Altes Testament, Katholische Privatuniversität Linz
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.