Wandern in Galiäa Mit Wilhelm Bruners von Nazareth nach Kafarnaum
Jesus von Nazareth – so hat er sich in die Geschichte eingetragen.
Ausgangspunkt unserer Tageswanderung von Nazareth nach Kafarnaum ist der Gabriels-Brunnen. Ein intimer Ort. Wir sitzen früh in der mittelalterlichen Brunnenstube und lauschen dem ewigen Singen der Quelle. Der Ortstradition nach hat hier, Frauensache, Maria für die Familie täglich Wasser geschöpft. Und, uralte Brunnen-Überlieferung, hier hat der Engel ihr den kommenden Messias angekündigt.
Ob sie später manchmal den heranwachsenden Jesus gebeten hat, Wasser zu holen? Seine Bildwelt ist jedenfalls vom Wasser geprägt: „Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt“ (Joh 7,37f). Wir füllen unsere Flaschen mit frischem Quellwasser und steigen dann auf kleinen Seitengassen hinauf. So erreichen wir die Wegroute am alten Sephoris vorbei in Richtung des biblischen Kana (das heutige Kana ist für Buspilger leichter erreichbar). Sephoris, heute Zippori, ist für den jungen Jesus wichtig, weil die Stadt in seiner frühesten Kindheit zerstört und anschließend wieder aufgebaut wurde. Er hat dort als junger Bauschreiner Arbeit finden können und in seinem Beruf als Zimmermann und Steinmetz Erfahrungen mit Fremden gesammelt. Denn dieser Ort war und wurde ein römisches Verwaltungszentrum, in dem Griechisch die Amtssprache war und hellenistische Gottheiten verehrt wurden.
Der Weingott Dionysos fand in dieser Weingegend Verehrung. Wenig erstaunlich, dass, verbunden mit dem Ort Kana, das Weinwunder erzählt wird: Jesus als menschlich-göttlicher Dionysos. Aber in der christlichen Dogmatik hat der Licht-Gott Apoll über den Wein- und Ekstase-Gott Dionysos gesiegt. Ekstatische „Ausfälle“ gehören nicht in das Bild eines selbstbeherrschten Gottes. So ist Jesus als Dionysos wenig in Erinnerung geblieben. Die Kirche feiert ihn ausschließlich als unbesiegten Sonnengott.
Die Sonne über der fruchtbaren Ebene unterhalb von Zippori steigt höher. Es gibt kaum Schatten. Die Vorstellung, am Nachmittag den See von Tiberias zu erreichen, stärkt. Wir stellen uns mit dem Evangelium vor, wie die ganze Familie mit Jesus nach der Feier in Kana hinunter in das am Ufer des Sees gelegene Kafarnaum zog, um seine zukünftige Heimstatt zu besichtigen.
In der Mittagszeit queren wir die modern ausgebaute Autostraße und steigen durch das Taubental hinunter an den See. Vor uns liegt der Arbel, ein Fels, der in den See zu stürzen scheint. An seinem Fuß, 200 m unter dem Meeresspiegel, finden sich Reste des antiken Magdala, unmittelbar am See. Die römischen Besatzer nennen den Ort Tarichea.
Die entscheidende Frau für die Osterbotschaft mit dem Bild vom leeren Grab stammt von hier. Die Magdalenerin war eine der treuesten Nachfolgerinnen des Wandercharismatikers aus Nazareth. Ob er ihr in der Synagoge durch seine Schriftauslegung aufgefallen ist? Ob sie ihn anschließend auf der „Meeresstraße“, der wir später in etwa folgen, begleitet hat? Archäologen haben die Synagoge von Magdala inzwischen ausgegraben.
Die Bibel gibt uns über diese Liebes- und Nachfolge-Geschichte keine Auskunft. Wir sind eingeladen, selbst eine Freundschaftsgeschichte aus unserer Jesusbeziehung zu machen.
Am Abend erreichen wir erschöpft Tabgha, am Ortsrand des alten Kafarnaum gelegen. Unser Quartier im kirchlichen Gästehaus ist fast zu luxuriös für das Evangelium, das Matthäus, der Evangelist, in der Bergpredigt ausgelegt. Der „Berg der Seligpreisungen“, der sich oberhalb hinter Tabgha erhebt, wird ein weiteres Ziel unserer Wanderung vom Ursprung in „seine Stadt“ sein. Hier hat er einfachen Menschen, nicht nur Fischern, die wichtigsten Elemente seiner Reich-Gottes-Vision ausgelegt. Eine Hoffnung, die bis heute kaum realisiert ist – auch in der Kirche nicht. Aber sie zieht immer noch Menschen an. Und hat nichts an Aktualität verloren.
Wilhelm Bruners, Priester, Bibliodramaleiter und Geistlicher Begleiter, Mönchengladbach
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/18 publiziert worden.