Zwei heilige Berge – ein Gott 1. Lesung: 2 Kön 5,14-17| 2. Lesung: 2 Tim 2,8-13| Evangelium: Lk 17,11-19
Sowohl in der heutigen ersten Lesung als auch im Evangelium steht die Heilung eines Menschen im Mittelpunkt. Eine weitere Gemeinsamkeit der Texte liegt darin, dass jene Geheilten, die nach ihrer Genesung in Dankbarkeit ein Bekenntnis zum EINEN Gott aussprechen, keine Juden im engeren Sinn sind.
Jesus – der Grenzgänger – zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Einerseits sind damit geografische Grenzen gemeint, andererseits aber auch religiöse bzw. kultische Grenzen. Heute sind diese beiden Glaubensrichtungen der Samaritaner und der Juden streng voneinander getrennt. Zur Zeit Jesu war das noch nicht der Fall. Damals galten die Samaritaner als eine von vielen unterschiedlichen Gruppen im Judentum, neben den in den Evangelien genannten Zeloten, Pharisäern, Sadduzäern, Essenern usw. Die Grenzverläufe waren noch nicht klar und ausdiskutiert, allerdings waren die Unterschiede wahrnehmbar und die Samaritaner waren sicher jene Gruppe, zu der die größte Distanz, insbesondere der Pharisäer, bestand.
Wie die anderen jüdischen Gruppen erwarteten die Samaritaner den Gesalbten Gottes, allerdings nicht aus dem Stamm Juda, sondern aus dem Stamm Josef. Im weiteren Gegensatz erwarteten die Samaritaner keinen König, keinen Messias, sondern einen Propheten ähnlich wie Mose. Er gilt ihnen als Prophet schlechthin. Sie erkennen von den Schriften der Bibel daher nur die Autorität der fünf Bücher Mose an, also keine Propheten- oder Weisheitsbücher der jüdischen Bibel.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass es gerade zehn Aussätzige sind, die Jesus entgegenkamen, denn auch die zehn Gebote sind ein Streitpunkt. Bei den Samaritanern gilt das erste jüdische Gebot „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben“ lediglich als Einleitung, dafür ist die Achtung des Berges Garizim bei Nablus als Zentrum der Anbetung eines ihrer zehn Gebote. Das wichtigste und vermutlich auch älteste Unterscheidungskriterium gegenüber dem Jerusalemer Judentum besteht also in der Kultortfrage. Nicht der Zion, sondern der Garizim wird von den Samaritanern als heiliger Berg verehrt. Nach ihrem Verständnis wollte am Garizim Abraham Isaak opfern und ebendort haben die Israeliten nach dem Exodus auch den ersten Altar gebaut und nicht am Tempelberg in Jerusalem.
Jesus wanderte also in dieses Grenzgebiet und wollte in ein Dorf gehen, in dem sowohl Juden als auch Samaritaner lebten. Auch wir kennen das, dass sich durch Krankheit oder Schicksalsschläge ganz ungewöhnliche Beziehungen entwickeln können. In Wartezimmern von Ärzten oder in Gängen von Spitälern können oft Gespräche und Beziehungen von Menschen entstehen, die sich sonst wohl eher aus dem Weg gehen würden. Auch diese zehn Aussätzigen, die auf Jesus zukommen, verbindet ein gemeinsames Schicksal. Allein schon aus kultischen Gründen wären sie im Alltag niemals miteinander unterwegs gewesen, denn insbesondere rund um die Reinheitsfrage entspannten sich die Streitfragen der rechten Tora-Auslegung. Darum wurden Kontakte gemieden, so gab es z.B. kaum wirtschaftliche Kontakte oder einen Handel von Lebensmitteln zwischen Juden und Samaritanern. In lebenskritischen Phasen verschwimmen Grenzverläufe. Sie werden nebensächlich. Die zehn Aussätzigen rufen Jesus als Meister an. Sie haben gehört, dass von ihm Kräfte ausgehen, aber sie haben unterschiedliche Bilder im Kopf. Für den einen wird er ein Wunderheiler sein, für den nächsten ein Schamane – sie bleiben in der Anrede neutral. Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf einen Mann zugehen wollen, der etwas bewegen kann. Jesus wusste offensichtlich, dass er Menschen unterschiedlicher Glaubenszugänge vor sich hatte, denn er schickte sie nicht zum Priester, sondern zu „den“ Priestern. Ihm war also bewusst, dass die einen zu einem jüdischen Priester nach Jerusalem gehen würden und zumindest einer zum samaritanischen Pendant am Berg Garizim, um sich die zurückgewonnene Reinheit bestätigen zu lassen. Die Priester beider Richtungen bezeugten die Heilung durch Jesus. Ausschließlich der Samaritaner kehrte allerdings um und wollte Jesus danken. Auch hier tut sich eine Gemeinsamkeit von Lesung und Evangelium auf. Dank und Anerkennung werden den Personen zuteil, die Heilsvermittler sind – dem Propheten Elischa und dem Meister Jesus. Der EINE Gott Israels wird gelobt, denn er ist die Wirkkraft – er heilt – er erschafft den gesunden Menschen neu bzw. lässt ihn wieder zu sich selbst finden, wie er ursprünglich war. Heilung ist also keine persönliche Leistung der Propheten auch nicht des Messias, sondern es ist Wirken Gottes.
Alle zehn waren zu ihrem je eigenen Tempel gegangen. Vielleicht brachten die neun ihre Dankbarkeit im Tempel dar, der Samaritaner aber erkannte den Beziehungszusammenhang zwischen Jesus und Gott. Er erfuhr, dass der Ort Gott zu ehren nicht mehr der Tempel war, sondern Jesus sinnbildlich der neue Tempel ist, jener „Ort“, indem die Heiligkeit Gottes verborgen ist. Der heutige Text ist eine Generalabsage an jede Form von Kultort – gleichgültig ob in Jerusalem oder am Berg Garizim.
In den letzten zwei Zeilen der heutigen Erzählung liegt wahre Sprengkraft: „Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden? Und er sagte zu ihm: Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet“. Man könnte meinen mit der Formulierung „Fremder“ für den Samaritaner hätte Jesus die Ansicht des äußersten rechten Eckes bedient. Nein, das tat er nicht. Er wollte damit jene, die die Samaritaner schon jenseits der Zugehörigkeitsgrenze sahen, daran erinnern, dass auch in diesem Fall das Gebot der Nächstenliebe anzuwenden sei. In der jüdischen Tradition bedeutet „Liebe deinen Nächsten“ aus Levitikus 19,18 tatsächlich lediglich, liebe die Mitglieder deiner eigenen Gruppe. Liebe war aber im Sinne der Tora nie auf die jüdischen Mitmenschen beschränkt, denn Levitikus 19,34 fordert: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der HERR, euer Gott“. Es ist eine klare Absage an jede Fremdenfeindlichkeit gegenüber Menschen mit anderem Glauben, anderen Riten und Traditionen.
Ein Fremder erkannte den Gesandten Gottes. Für die betroffenen Juden war die Heilung vielleicht nur der Dienst eines Schamanen, eines Heilmeisters. Der Fremde erkannte darin das Wirken Gottes.
Jesus ermahnte ihn nicht, seine Rituale künftig zu ändern. Ihm ist bewusst, dass der Samaritaner religiöse Feste anders feiert, andere Rituale pflegt. Jesus erklärt seine eigenen Rituale und Feierformen nicht zur ultima ratio (zum letzten Mittel). Er ist gegen jede Engführung. Es darf unterschiedliche Wege zu Gott geben. Das erkennt auch Elischa in der heutigen Lesung, als Naaman ihn bat: „Nur dies möge der HERR deinem Knecht verzeihen: Wenn mein Herr zur Anbetung in den Tempel Rimmons geht, stützt er sich dort auf meinen Arm. Ich muss mich dann im Tempel Rimmons niederwerfen, wenn er sich dort niederwirft. Dann möge das der HERR deinem Knecht verzeihen. Elischa antwortete: Geh in Frieden!“
Der eine braucht Kult, einen bestimmten Tempel und Rituale, der andere weniger oder hat eine andere Tradition, in der er groß geworden ist. Sie schaden nicht, solange es kein Götzendienst ist und der Glaube an den EINEN Gott besteht. Glaube ist das Erkennen des EINEN Gottes – gleichgültig vor welchem Hintergrund. Selbst bei Jesus gab es bereits eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung unterschiedlicher Wege und Formen des Glaubens. Jesus war gegen jede Engführung. Haben lediglich vielleicht wir uns verengt? Es gibt die Einladung Jesu das Verbindende vor das Trennende zu stellen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem zweiten Buch der Könige anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus
an Timótheus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten: