Sich die Augen öffnen lassen 1. Lesung: 1 Sam 16,1b.6-7.10-13| 2. Lesung: Eph 5,8-14| Evangelium: Joh 9,1-41
Wir erleben eine außergewöhnliche Zeit, ausgelöst durch das Virus COVID-19. Durch die Maßnahmen der Regierung ist eine ungewohnte Entschleunigung des Lebens eingetreten. Das Leben scheint beinahe still zu stehen, kaum Flugzeuge, kaum Autos, die Straßen fast menschenleer. Viele Betriebe und Geschäfte geschlossen. Es ist eine Fastenzeit. Eine Zeit der Umkehr, des Umdenkens oder des Neudenkens anderer Art.
Wir haben an diesem Sonntag das Evangelium von der Blindenheilung. Jesus heilt einen – wohlgemerkt – Blindgeborenen. Er spuckt auf die Erde, macht einen Teig und streicht diesen auf die Augen des Blinden. Vielleicht ist das Coronavirus als „Teig“ zu sehen, der heute einer ganzen Gesellschaft auf die Augen gestrichen ist. Ja, er lässt vieles neu sehen. Ein Virus, von der Größe her ein Ding im millionstel Millimeterbereich, der mit keinem gewöhnlichen Mikroskop sichtbar zu machen ist. Es macht uns zu schaffen. Es zeigt uns Grenzen der menschlichen Plan- und Machbarkeit auf. Ja teilweise spüren und fühlen wir große Ohnmacht.
Das Virus öffnet uns allerdings auch die Augen für Dinge, die wir bisher nicht mehr oder noch nicht gesehen haben:
Es hat manchen die Augen geöffnet, dass wir der Herausforderung des Virus nur dann Herr werden, wenn wir solidarisch vorgehen. Es bedarf der Solidarität zwischen Regierung, Sozialpartnern, Zivilgesellschaft, Medien, Experten u.a., damit wir bestmöglich durch die Krise kommen. Was wäre, wenn wir auf diese Strukturen nicht zurückgreifen könnten?
Es öffnet auch die Augen für die Bedeutung mancher Berufe, die keine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießen. Wie wichtig sind z.B. die kaufmännisch angestellten Personen in den Lebensmittelgeschäften, die Reinigungsdienste, die Müllabfuhr, die Menschen, die jetzt für die Notversorgung arbeiten und einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind. Ich hoffe, dass es im Gedächtnis bleibt, wenn nach der Krise Lohnverhandlungen anstehen.
Ja, es hat uns auch die Augen geöffnet für das große Potential an Verantwortung und Solidarität, das in der Gesellschaft vorhanden ist. Wer hätte noch vor wenigen Tagen gedacht, dass sich die gesamte Gesellschaft auf so ein reduziertes Leben einlässt? Natürlich tragen die kompetente und sachliche Kommunikation bzw. Information wesentlich dazu bei, dass die Maßnahmen nachvollziehbar sind, und dennoch ist es beeindruckend, wie breit sie von den verschiedensten Gruppen im Land mitgetragen werden: jung und alt, und hier sei erwähnt – auch die Menschen mit migrantischem Hintergrund. Man möge dieses neue „WIR“ sehen.
Die Krise öffnet die Augen. Es sind erste Aspekte. Es wird noch mehr sichtbar werden. Es wird auch manches in der Wirtschaft neu zu sehen sein: Welche Folgen hat es, wenn man sich zu sehr auf die Produktion in Billiglohnländern verlässt? Oder: Wie verantwortbar ist es, ungelöste Konflikte und Probleme wie sie in Syrien, im Gazastreifen, in Afrika oder Südamerika bestehen, einfach zu dulden? Welches Elend diese Menschen gerade jetzt zu bestehen haben, es schreit schlicht trotz aller eigenen Not zum Himmel.
Jesus sagt zum Blinden nachdem er ihm den Teig auf die Augen gestrichen hatte: Geh und wasch dich im Teich „Shiloah“. Diesem lebendigen Wasser am Fuße Jerusalems wurden damals heilsame Kräfte zugesagt.
Wir stehen am Beginn einer Krise und Entwicklung. Vermutlich brauchen wir auch noch dieses besondere, heilsame Wasser. Kurt Marti (1921-2017), ein ehemaliger Poet und Pastor in der Schweiz, hat einen Text zur Taufe verfasst. Ein Abschnitt daraus:
„Wir möchten nicht
dass unser kind
mit allen wassern gewaschen wird
wir möchten
dass es
mit dem wasser der gerechtigkeit
mit dem wasser der barmherzigkeit
mit dem wasser der liebe und des friedens
reingewaschen wird“
Es kann für Beziehungen und Familien zur Herausforderung werden, längere Zeit so eng aufeinander leben zu müssen. Es hat das Potential zu Konflikten, zu größeren Konflikten. Es wird das Wasser der Barmherzigkeit, der Liebe, des Vergebens, des Neuanfangs brauchen.
Für manche beginnt erst die Krise nach der Krise, weil die berufliche Lebensgrundlage gefährdet ist. Es wird das Wasser der Solidarität, der Rücksicht, der Aufmerksamkeit brauchen, damit niemand auf der Strecke bleibt. Es sind bereits Hilfsmaßnahmen in die Wege geleitet worden. Sie werden nicht alle betroffenen Menschen erreichen. Dies ist zu bedenken.
Vergesst bitte die Sozialeinrichtungen nicht. Sie werden auf Unterstützung angewiesen sein, um weiter ihren wichtigen Dienst leisten zu können.
Es braucht das Wasser der Barmherzigkeit. Es besteht immer die Gefahr, nach Schuldigen zu suchen oder Schuld zuzuschreiben oder zu sagen, du bist selber schuld. Das Evangelium erzählt von solchen Diskussionen, die niemanden helfen, höchstens in die eigene Blindheit hinein führen.
Der Geheilte hat den Tempel aufgesucht. Es ist der Ort der Dankbarkeit, auch der Ort, der uns an den Schöpfer des Himmels und der Erde erinnert, der auch Schöpfer des Virus COVID-19 ist. Er hat den Menschen aufgetragen, die Erde zu hüten und zu bebauen. Wir dürfen mit dem Geist rechnen, der uns helfen wird, die „Erscheinung des Virus“ zu bestehen, aber möglicherweise auch um uns die Augen für ein neues Miteinander und Füreinander zu öffnen? Es ist auch der Ort des Gebetes und der Bitte. Beten wir für jene Menschen, die unter eigener Gefahr sich in den Dienst der Menschen stellen, für jene, die unmittelbar von der Krankheit betroffen sind und jene, die um sie bangen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem ersten Buch Samuel anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser anhören möchten:
Wenn Sie den Text des Evangeliums nach Johannes anhören möchten:
2 Kommentare zu “Sich die Augen öffnen lassen 1. Lesung: 1 Sam 16,1b.6-7.10-13| 2. Lesung: Eph 5,8-14| Evangelium: Joh 9,1-41”
Vielen Dank für die Hörtexte! Eine wunderbare Ergänzung, die die Bibeltexte zu Hause noch lebendiger macht!
Deine Worte und die Schluesse und Anregungen die ich für mich daraus ableite erleichtern meinen derzeitigen Alltag.
Danke
Lg Peter