Umkehr schenkt Freiheit 1. Lesung: Jes 43,16-21|2. Lesung: Phil 3,8-14|Evangelium: Joh 8,1-11
Jesus war mit seinen Anhängern zum Laubhüttenfest nach Jerusalem gepilgert. Am letzten Tag des Festes kam es zu einer Spaltung unter den Juden. Sie hörten die Worte Jesu. Einige waren sehr davon angetan und sahen in ihm den Messias. Die Pharisäer aber – die Hüter des Gesetzes – warfen ihm einen Bruch der Tora vor. Sie wollten Jesus festnehmen lassen. Nikodemus versuchte, zu vermitteln: „Verurteilt etwa unser Gesetz einen Menschen, bevor man ihn verhört und festgestellt hat, was er tut?“ (Joh 7, 51). Am nächsten Tag wollten also nun die Pharisäer und Schriftgelehrten Jesus herausfordern, und zwar mit einem vermeintlich klaren Fall. Eine Frau war beim Ehebruch ertappt worden und „Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?“ (Joh 8,5). Nur, ganz so eindeutig wie die Pharisäer vorgaukelten, war die Rechtslage nicht.
In den zehn Geboten wurde Ehebruch verboten. Allerdings gab es bei der Auslegung von männlichem und weiblichem Ehebruch grobe Unterschiede. Während bei einer Frau jede Form außerehelichen Geschlechtsverkehrs als Ehebruch geahndet wurde, war die Auslegung bei Männern weit flexibler. Das Verbot hatte einen praktischen Nutzen. Es sollte verhindern, dass sich die Nachkommen eines anderen Mannes in die Erblinie einreihen. Dies konnte nur durch sexuelle Treue der Frau gewährleistet werden. Bereits Mose erkannte, dass der Geist willig, aber das Fleisch schwach ist (vgl Mt 26,41) und er ermöglichte „wegen der Herzenshärte des Volkes“ Lockerungen. Nach dem Buch Deuteronomium (Dtn 24,1) durfte ein Mann nun seine Frau entlassen, wenn er etwas „Anstößiges” an ihr fand – womit wohl auch Ehebruch gemeint war. Dies war wesentlich einfacher und humaner, als eine Ehebrecherin vor Gericht zu bringen und damit der Steinigung auszuliefern.
Auf Ehebruch stand im Alten Testament die Todesstrafe, allerdings nur, wenn beide inflagranti erwischt wurden. Es gab weitere Regelungen für den Fall, dass ein Ehebruch (z.B. Unterschiede des Ortes – ob in der Stadt oder am Land) oder möglicherweise eine Vergewaltigung erfolgt ist. Es war also alles andere als einfach, einen Ehebruch festzustellen und im Anschluss gab es noch Möglichkeiten gegenüber der Frau Gnade vor Recht walten zu lassen – wie z.B. mit der Entlassung aus der Ehe oder durch Ersatzleistungen. Es ist fraglich, ob die Todesstrafe bei Ehebruch gemäß den alttestamentlichen Regelungen auch tatsächlich jemals praktiziert wurde.
Der Evangelist Johannes beschreibt uns im heutigen Evangelium das Verhalten Jesu sehr detailgetreu. Zweimal weist er darauf hin, dass Jesus sich bückte und mit dem Finger auf die Erde schrieb. Warum war ihm dieser Hinweis so wichtig? Ich meine, dass es zwei Stellen im Ersten Testament gibt, die uns bei der Auflösung dieser Frage behilflich sein können. Der Staub hatte offensichtlich die Fähigkeit der Schuldauflösung. Nachdem die Israeliten das Goldene Kalb gegossen hatten, verbrannte Mose dieses nach seiner Rückkehr vom Berg Horeb „im Feuer und zerstampfte es zu Staub. Den Staub streute er in Wasser und gab es den Israeliten zu trinken“ (Ex 32,20). Im Buch Numeri (Num 5,11) wiederum findet sich ein Ritual zu einem „Gottesurteil bei Eifersuchtsklage“. Wenn ein Mann den Verdacht hegte, dass seine Frau ihm untreu geworden sei, konnte er vom Priester eine Art Gottesurteil vollziehen lassen. Der Priester gab der Frau ein mit Staub verunreinigtes Wasser zu trinken. War die Frau schuldig, so sollte das „Staubwasser“ sie krank machen. War sie unschuldig, sollte es wirkungslos bleiben. Bei den damaligen hygienischen Bedingungen und köperlichen Widerstandsfähigkeiten ist es auszuschließen, dass je eine Frau auf diese Art des Ehebruchs überführt worden ist.
Die Schriftgelehrten und die Pharisäer brachten also eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, zu Jesus und sagten: „Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? (Joh 8,5). Die Pharisäer pflegten eine sehr strenge Auslegung des Gesetzes und wollten Jesus provozieren. Auf Grund der bisherigen Gespräche mit ihm durften sie davon ausgehen, dass er ihrer strikten – menschenunfreundlichen – Auslegung der Tora wenig abgewinnen konnte.
Mit der Geste mit den Fingern in den Staub zu schreiben, wollte er ihnen einen Hinweis geben, dass auch die Tora barmherzige Auslegungen ermögliche. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Fingerzeig. Ihr Herz war aber vermutlich so verhärtet bzw. sie waren so rechtsverbissen, dass sie die juristischen Winkelzüge der Tora zu Gunsten der Menschen gar nicht erkennen konnten. Sie ließen nicht locker und wollten, dass Jesus sich mit Worten zu einer Toraauslegung deklariert. Jesus gab eine spitzfindige Antwort: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie“ (Joh 8, 7). Er konnte vermuten, dass diese Ehrenmänner ab und an schon außerehelichen Verkehr hatten und obwohl die Rechtsauslegung bei Ehebruch bei Männern sehr großzügig war, wussten sie, dass die strenge Auslegung des Gesetzes in jedem Fall einen außerehelichen Verkehr als Verstoß gegen die zehn Gebote sah. Diese Repräsentanten des Gesetzes nahmen also für sich eine weit freizügigere Auslegung in Anspruch, als jene die sie dieser Frau angedeihen ließen. Wenn sie also noch einen Funken an Anstand und Selbstreflexion verspürten, blieb ihnen nichts anderes übrig. „Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand“ (Joh 8,9).
Jesus sieht einmal mehr den Menschen und nicht die Tat. Jesus greift hier die Vergebungshaltung des höchsten jüdischen Feiertages Yom Kippur auf. Es geht zuallererst darum, sich seiner eigenen Verfehlungen gegenüber den Menschen bewusst zu werden. Wir müssen unsere Schuld nicht ewig mit uns herumtragen. Es geht darum uns zu vergegenwärtigen, dass wir gefehlt haben und nicht uns oder andere zu verurteilen, uns zum Richter aufzuspielen, gar von Sakramenten und Gemeinschaften auszugrenzen. Es geht darum, den Mut zusammenzufassen, umzukehren und der Aufforderung zu folgen: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“. Wir müssen nicht in Schutt und Asche gehen. Paulus beschreibt im heutigen Brief an die Philipper wunderschön: „Eines aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus“ (Phil 3,13-14). Umkehren zu dürfen, schenkt uns Freiheit, vergangene Fehler hinter uns lassen zu können, aus ihnen zu lernen. Gott lässt dann unsere Schuld in Staub aufgehen.
„Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“. Wir wissen in solchen Momenten vielleicht noch nicht genau, wie uns das gelingen möge, aber es ist die Grundlage dafür, dass neues Verhalten keimen kann, um das Sprossen des „Neuen Weges“ wie es der Prophet Jesaja beschreibt: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht? Ja, ich lege einen Weg an durch die Wüste und Flüsse durchs Ödland“ (Jes 43,18-19).
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Philíppi anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten: