Freude an Gott 1.Lesung: Neh 8,2-4a.5-6.8-19| 2.Lesung: 1 Kor 12, 12-31a| Evangelium: Lk 1,1-4;4,14-21
Die erste Lesung versetzt uns ungefähr in das Ende des 6. Jhd. v. Chr. zurück, an das Ende der babylonischen Gefangenschaft. Die Perser, die die babylonische Herrschaft ablösten, erlaubten den unterworfenen Völkern große Eigenständigkeit mit eigenen Gesetzen. Sie erlaubten den Israeliten die Rückkehr in ihr Land und trugen ihnen den Wiederaufbau der Stadt Jerusalem auf.
Doch die Heimkehr und der Wiederaufbau war schwieriger als erwartet. Viele der Israeliten hatten sich inzwischen in Babylon etabliert und wollten nicht mehr zurück. Für das Projekt fehlten somit die Leute und das Geld. Es traten dann zwei Propheten – Nehemia und Esra – auf, die das Vorhaben mit gewichtiger Stimme vorantrieben. Es waren zwei unterschiedliche Themen, die sie jeweils verfolgten: Esra kümmerte sich um den geistig-geistlichen und Nehemia um den politisch-wirtschaftlichen Aufbau des Landes und der Städte.
In der Lesung hörten wir, dass sich das Volk vor dem Wassertor versammelt und der Schriftgelehrte Esra beginnt aus dem Buch der Weisungen vorzulesen. Es fällt dabei auf, dass wir hier nichts über die Inhalte erfahren, was vorgelesen wird. Viel wichtiger ist die Lesung selbst und die Auseinandersetzung mit dem Gehörten. Entscheidend ist, dass die Lesung der Inhalte öffentlich, vor dem ganzen Volk geschieht, das Gelesene verstanden wird und damit Wirkung entfaltet.
Wir haben also eine alte Tradition, dass die Schrift dem Volk, wie wir das in unseren Gottesdiensten kennen, abschnittsweise vorgelesen, erklärt, interpretiert und gedeutet wird. Vielleicht ist diese Rückbindung, ob die Schrift mit den Erklärungen und Deutungen verstanden wird, in unserer gottesdienstlichen Praxis unterbelichtet. Man darf, ja soll sogar rückmelden, wenn die Predigten unverständlich sind. Es ist dem Propheten Nehemia ein Anliegen, dass das Volk das Vorgelesene verstehen kann.
Die Weisungen Gottes sollen Wirkung haben. Ein Element, das uns Nehemia dazu angibt, ist, dass dem Wort besondere Bedeutung zukommt. Es wird von einem erhöhten Platz gelesen. Als Esra das Buch aufschlägt, stehen alle auf und sie rufen mit erhobenen Händen: Amen! Amen! Anschließend verneigten sie sich, mit dem Gesicht bis zur Erde, so heißt es.
Mit den äußeren Gesten sollen innere Haltungen gefördert werden, wie zum Beispiel die Offenheit zum Hören und die Achtung vor dem Wort. Es ist die Bereitschaft sich ansprechen zu lassen. Wobei dieses Ansprechen Fragen, Zweifel, Widerspruch und Ablehnung beinhalten kann. Das ernsthafte Ringen ermöglicht erst Wirkung.
Die Lesung spricht dann davon, dass das Wort Wirkung hat; die Menschen beginnen zu weinen. Es wird wieder nicht gesagt, was für Tränen es sind. Sind es Tränen der Freude über die wiedererlangte, neue Freiheit, oder Tränen, weil der Glaube wieder miteinander gelebt und gefeiert wird? Man kann diese Tränen möglicherweise in den Tränen freigelassener Geiseln und ihrer Angehörigen finden.
Oder sind es Tränen, die zu rinnen beginnen und nun öffentlich gezeigt werden können über das vergangene Leid und Elend, den Verlust von Menschen, Verstümmelungen und Verwundungen, die das Leben immer noch schwermachen. Tränen, die eine Folge von Traumata sind.
Oder sind es Tränen die ausbrechen, weil die Worte der Schrift ihnen aufzeigen, dass die Zustände bei ihnen und unter ihnen alles andere als gerecht sind, dass es Reiche und Privilegierte gibt, daneben Arme und Ärmste. Das Buch Nehemia schreibt von Spannungen das Thema betreffend (Neh 5). Auch der Bau der Stadtmauer war umstritten (Vgl. Neh 2 – 6) und schließlich berichtet Nehemia von der Diffamierung und Ausgrenzung der Fremden (Neh 13,23ff).
Es sind unterschiedliche Tränen angedeutet. Sie weisen darauf hin, dass das Wort Wirkung hat, weil es ankommt, zur Auseinandersetzung beiträgt, sie stärkt oder korrigiert, vielleicht auch hinterfragt, auf alle Fälle aber beiträgt, zum Aufbau einer neuen Gesellschaft.
Ein derartiges Treffen kostet Kraft und Substanz. Es muss nicht verwundern, dass danach zu einem gemeinsamen Essen eingeladen wird. Süßer Wein soll kredenzt werden. Nicht zu übersehen seien die Armen. Ladet sie ein und lasst sie mitfeiern. Es ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn.
Wir können das Bild, beziehungsweise die Idee unserer Eucharistiefeier erkennen. Vielleicht hilft es die Bedeutung zu erahnen, die in dieser Feier liegt. Es kann sein, dass unsere Feiern an Attraktivität verloren haben, weil wir die Feier zu sehr ritualisiert haben und das alltägliche Leben zu wenig einbezogen ist.
Den letzten Satz der Lesung werte ich als Merksatz: Die Freude an Gott ist eure Stärke. Oder: Die Freude an Gott ist unsere Kraft.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Nehemia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.