Feier des Lebens 1.Lesung: Offb 7,2-4.9-14| 2.Lesung: 1 Joh 3,1-3| Evangelium: Mt 5,1-12a
Mit dem Buch der Offenbarung des Johannes können manche wenig bis gar nichts anfangen. Die Sprache und die Bilder sind ihnen zu verstörend. Zugleich ist sie eine außergewöhnliche Schrift. Der Autor sitzt auf Patmos im Gefängnis. Ihm wird über die Schultern geschaut und dennoch vermag er mit dem Buch den Adressaten Mut zuzusprechen und Widerstand gegen das unmenschliche Treiben in der „Pax Romana“ zu organisieren. Sein Rezept dazu: Er verwendet praktisch kein wörtliches Zitat, aber es gibt kaum einen Vers, der nicht Bezüge zum Ersten Testament hat.
Die Offenbarung zählt zur apokalyptischen Literatur wie sie in vielen großen Religionen vorkommt. Dabei bedeutet „apokalyptein“ im Griechischen gerade „den Schleier“ – der sich über normalerweise nicht einsehbare Dinge breitet – „lüften“. Die apokalyptische Literatur setzt sich mit den realen Gegebenheiten der Zeit auseinander, vor allem setzt sie sich mit jenen katastrophalen und furchterregenden Ereignissen auseinander, in denen sich Menschen ohnmächtig, hilflos, entwürdigt und in ihrer Existenz gefährdet erleben. Der Schleier wird gelüftet, die verborgenen Zusammenhänge aufgedeckt. Historischer Hintergrund des Buches dürfte die Christenverfolgung unter Kaiser Nero (um 70 n. Chr.) und Kaiser Domitian (um 90 n. Chr.) sein.
Den Abschnitt, den wir als Lesung gehört haben, ist eingebettet in die Erzählung, in der die Siegel des Buches geöffnet werden. Keinem ist es möglich die Siegel zu öffnen, keinem der Ältesten nur dem Lamm kommt es zu (Vgl. Offb 5,8). Welcher Mensch durchschaut wirklich die Geschichte und ihren Verlauf? Wer kann sie ergründen? Warum Gewalt, Krieg, Zerstörung, Menschenverachtung?
Im Buch wird gesagt, dass das Lamm, das geschlachtet ist, würdig ist, die Siegel des Buches zu öffnen. Es ist Bild für den Auferstandenen. Es ist würdig Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Lob und Herrlichkeit (Offb 5,12b). Es ist das Deuten der Geschichte vom Auferstandenen und von der Auferstehung her. Das Leben hat gesiegt. Das Leben wird siegen.
Dieses Lamm ist würdig Macht zu empfangen. Ihm dürfen wir Macht zugestehen, weil es Leben in Fülle will, nicht Unterdrückte, Mägde und Sklaven. Es ist würdig Reichtum zu empfangen, weil sein Reichtum Liebe, Menschlichkeit, Friede und Gerechtigkeit ist. Es ist würdig Weisheit zu empfangen. Paulus schreibt an die Korinther: „Wir verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1Kor 1,23). Das Leid in Folge von Katastrophen der Gewalt und Natur lassen uns oft ratlos zurück. Es fehlen uns schlicht die Antworten. Wir können vielleicht das eine oder andere im Licht der Osterbotschaft erahnen oder vielleicht auch Glauben.
Das Lamm ist würdig Kraft und Ehre, Lob und Herrlichkeit zu empfangen. Diese Gedanken zielen zunächst gegen den Kaiserkult. Der römische Kaiser sah sich als jene Person an, dem Kraft und Ehre, Lob und Herrlichkeit zuzugestehen war. Er forderte das vom Volk auch dementsprechend ein. Das Buch der Offenbarung hält dagegen an: Dem Lamm, das sich selbst erniedrigte, sich zutiefst in den Dienst der Menschlichkeit stellte und das durch den schändlichen Tod am Kreuz weiter erniedrigt wurde, gebührt Kraft und Ehre, Lob und Herrlichkeit.
Allerdings geht es natürlich über den Kaiserkult hinaus. Es wird damit jede menschliche Autorität, sei sie gesellschaftlicher, politischer oder religiöser Natur relativiert. Sie mögen noch so starke Muskeln zeigen, noch so laute Schreier sein, noch so schön gekleidet sein oder noch große Versprechungen machen, Kraft und Ehre, Lob und Herrlichkeit gebühren dem Lamm, das für das Leben steht. In der frühen Kirche prägte dieser Gedanke wesentlich das Selbstverständnis. In vielen ihrer Kirchen war das Lamm in der Apsis als das dominierende Motiv dargestellt, nämlich an dem Ort, wo früher das Bildnis einer Gottheit oder des Kaisers war.
Wenn wir heute Allerheiligen feiern, dann ist es eine Feier des Lebens. Unter den Heiligen sind viele Opfer der Gewalt, der Ausgrenzung, der Verachtung und Erniedrigung. Sie tragen das Siegel des Lebens. Es gibt viele mit einem großen Namen. Es gibt aber noch mehr die vielen, deren Namen nirgends aufscheint. Sie sind Jesus gefolgt, haben sich von seiner Botschaft inspirieren und leiten lassen. Die Lesung hat von hundertvierundvierzigtausend gesprochen, zwölf Mal zwölftausend, die gerettet werden. Mit der Zahl zwölf ist immer schon das ganze Volk gemeint. Es ist also eine unzählbar große Zahl, die gerettet sind.
Sie verehren Gott und beten ihn an, nicht den Kaiser. Sie ruften mit lauter Stimme und sprachen: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf den Thron sitzt, und von dem Lamm. Es ist die Stimme jener, denen das Reden verboten wird, deren Stimme in der Marktschreierei kein Gehör findet. Es ist die Stimme jener, die über kein Megaphon, kein Radio oder Sozialmedium verfügen.
Allerheiligen ist eine Feier des Lebens. Es nimmt besonders jene in den Blick, die um ihr Leben betrogen wurden und werden, die nichts gelten und keine Beachtung finden. Auch sie tragen das Siegel des Lebens.
Sie tragen weiße Gewänder, Festkleider, die aus der Bedrängnis kommen, die im Blut ihre Gewänder weiß gemacht haben; die Opfer von Gewalten der Natur oder menschlicher Machenschaften wurden. Diese Hoffnung begründet jener, der auf dem Thron sitzt und das Lamm. Sie sind das Leben. Sie sind für das Leben.