Das gute Herz des Vaters 1.Lesung: Ex 32,7-11.13-14| 2.Lesung: 1 Tim 1,12-17| Evangelium: Lk 15,1-32
Man spürt, wie die Schreiber nach Worten und Bildern gerungen haben, um die wechselvolle Beziehung von Gott und seinem Volk im Buch Exodus nachzuzeichnen. Da brennt auch schon mal bei Gott die Hutschnur durch: „Ich habe dieses Volk gesehen und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk. Jetzt lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt! Dich aber will ich zu einem großen Volk machen“ (Ex 32,9-10). Auch wir kennen solche Erfahrungen. Wir wollen für einen Menschen Gutes bewirken, aber er tut eben anders, als wir erwarten und wir können nur zusehen, wie er ins Verderben läuft. Da kann man schon mal nahe in Verzweiflung geraten.
Obwohl Mose gerade eine große Marscherleichterung angeboten wird, schlägt er sie aus. Auf ihn persönlich würde Gott die Verheißung zuschneiden. Er könnte das schwierige und undankbare Volk zurücklassen und mit den Seinen einen gemütlicheren Weg einschlagen. Nein, er spürt, dass Gott verzweifelt ist, dass er seinem Ärger mal Luft machen muss, aber auch dass er im Ursprung seine Verheißung allen zugesagt hat. Beziehungen leben davon, dass Schwäche gezeigt werden darf, dass in schwierigen Situationen der eine vom anderen gestützt wird. In diesem Vertrauen und in dieser Zuversicht lassen sich mühsame und lange Wegstrecken zurücklegen. Im Text aus dem Buch Exodus wird versucht, Gott mit menschlichen Gefühlen zu beschreiben, die ihn wider alle Erfahrung hoffen lassen, dass das Volk einsichtig, auf seinen Weg einschwenken, treu und liebevoll bei seinem Gott bleiben wird. Im Laufe der Geschichte erfährt Gott aber immer wieder, dass der Mensch fehlerhaft ist und bleibt.
Die ausgewählten Stellen des neuen Testamentes für den heutigen Sonntag sollen uns darin bestärken, dass sich Gott unter keinen Umständen von den Menschen abwendet. Egal was geschieht, er verzeiht unendlich oft und grenzenlos.
Im Brief an Timoteus berichtet der Apostel Paulus von dieser Erfahrung. Er hat die Menschen des „neuen Weges“ bitterlich bekämpft, war bei der Ermordung des Stephanus dabei und unter den Christen gefürchtet. Er war ein blinder Eiferer in der Sache. Paulus erfährt, dass Gott nichts übersieht. Auch wenn Talente von Fehlhaltungen überlagert werden, glaubt er unerschütterlich an das „Gut-Sein“ können und wollen eines Menschen – Paulus bezeichnet diese göttliche Eigenschaft als Langmut. Für ihn wird Jesus zum realen Kraftanker seiner Veränderung. „Ich danke dem, der mir Kraft gegeben hat: Christus Jesus, unserem Herrn. Er hat mich für treu gehalten und in seinen Dienst genommen, obwohl ich früher ein Lästerer, Verfolger und Frevler war. Aber ich habe Erbarmen gefunden, denn ich wusste in meinem Unglauben nicht, was ich tat“ (1 Tim 1, 12-13).
Man kann den heutigen Text des Evangelisten Lukas als bildhafte Ausgestaltung nicht zuletzt der Paulus-Erfahrungen lesen. Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste“ (1 Tim 1, 15). Lukas versucht, in Gleichnissen das Wesen Gottes näher zu beschreiben.
Er beginnt mit zwei Alltagserfahrungen, einmal eines Mannes und dann einer Frau, die wir alle teilen können. Es sind sehr lebensnahe und praktische Erzählungen. So sind wir: den materillen Dingen hasten wir nach, wenn sie uns abhandenkommen, ob Schaf oder Drachme – das gehört uns und wir wollen es wieder haben.
Ganz anders unter die Haut, geht die Erzählung vom barmherzigen Vater. Lange wurde sie als Erzählung vom verlorenen Sohn bezeichnet, aber das trifft den Kern der Botschaft nicht. Es geht nicht mehr um ein verlorenes Schaf oder den Verlust einer Drachme, sondern um einen Menschen, der selbst entschieden hat und falsch abgebogen ist. Er fällt unendlich tief. Zuletzt möchte er vom Futter der im Judentum unreinen Schweine essen. Er hat nicht nur sein Geld, sondern auch seine Würde verloren. Er weiß um das gute Herz seines Vaters und glaubt daran. Er wird ihn nicht weiter hungern lassen. Ein Sprichwort sagt: „Selbsterkenntnis ist er erste Weg der Besserung“, und so ist der Sohn bereit, vor sich und seinem Vater seine Fehlleistungen einzugestehen.
Heutzutage brauchen Menschen, die gefehlt haben – manchmal sogar die ganze Familie – eine neue Identität, eine neue Wohnung … damit sie nach begangener und auch verbüßter Schuld wieder neu anfangen können. Ausgrenzungen und Verleumdungen erfahren durch die neuen Medien ganz neu Ausmaße, aber auch die „ewige“ Möglichkeit in der Vergangenheit zu graben. Lange Jahre war Resozialisierung nach verbüßten Straftaten das große Ziel – geht das vor diesem Hintergrund heute überhaupt noch?
Der ältere Sohn will nicht mitfeiern. Auch das gute Zureden des Vaters nützt nichts. Vermutlich hätte er bei einem verlorenen Schaf oder einer Drachme mitgefeiert, denn er führt materielle Gegebenheiten an: „mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet“ (Lk 15,29-30).
Gottes Freude reicht weit über das Materielle hinaus, sie gilt dem immateriellen Kern. Der ältere Sohn hätte vermutlich seinen jüngeren Bruder nicht verhungern lassen, aber ganz sicher kein Fest ausgerichtet. „Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (LK 15, 32). Gott kennt nicht nur die Trauer über den Tod, sondern auch die Freude über das Leben. Er lebt Solidarität in der Not, ebenso wie im Moment der Umkehr. Der allzu menschliche Bruder verweigert die Solidarität in der Freude und des Neubeginns.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Éxodus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an Timótheos anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Lukas anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.