Auf die Heimat hinleben 1. Lesung: Weish 18,6-9| 2. Lesung: Hebr 11,1-2.8-19| Evangelium: Lk 12,32-48
Der Hebräerbrief dürfte gegen Ende des 1. Jahrhunderts entstanden sein. Der Druck auf die jungen Gemeinden wächst. Mit den Juden sind auch sie – viele der Christen – aus Jerusalem vertrieben. Der Glaube an die Naherwartung des wiederkommenden Christus und damit die Vollendung der Welt zieht sich dahin beziehungsweise bleibt aus. Der Verfasser hat offensichtlich eine Situation vor Augen, in der die Begeisterung des Anfangs schon etwas verblasst ist und sich der Glaube im Alltag und in der Normalität des Lebens bewähren muss. Es ist eine Situation des Übergangs. Es bedarf eines geistlichen Aufbruchs, so sieht es der Autor des Briefes. Er gibt Orientierungen dazu. Zunächst wird da festgehalten: „Glaube … ist: Grundlage dessen, was man erhofft, ein Zutage Treten von Tatsachen, die man nicht sieht. Aufgrund dieses Glaubens haben die Alten ein ruhmvolles Zeugnis erhalten“. Als Beispiel wird dann Abraham, der Vater des Glaubens angeführt. Darauf ist noch einzugehen.
Zunächst sei festgehalten, was dieser Brief nicht unter Glauben versteht, nämlich er habe zu tun mit Dingen, die man nicht weiß. Glaube ist vielmehr Grundlage dessen, was man erhofft. Da gilt es sich in die Situation der jungen Gemeinden hinein zu denken. Viele von ihnen leben am Existenzminimum. Viele müssen um ihr Leben fürchten und fristen im Untergrund ihr Dasein. Sie sind oft verhasste Außenseiter. Glaube ist Grundlage dessen, was sie erhoffen. Sie hoffen, dass die Situation nicht so bleiben wird, wie sich ihr Alltag darstellt. Sie hoffen, dass der Spott, die Verfolgung, der gesellschaftliche und wirtschaftliche Druck überwunden werden.
Sie sind davon überzeugt, obwohl sie es noch nicht sehen können, dass sich etwas ändert oder ändern wird. Glaube ist Grundlage dessen, was man erhofft, ein zu Tage treten von Tatsachen, die man nicht sieht.
Man kann natürlich fragen: Ist das ein geerdeter Glaube? Worin bestehen die Quellen? Der Autor führt den Zeugen des Glaubens an, nämlich Abraham selbst, der auf das Wort Gottes hin in jenes Land aufgebrochen ist, das ER ihm zeigen wird. Eine weitere Zeugin ist Sara, die gegen alle Vernunft noch Mutter wurde.
Die Quelle dieses Glaubens entspringt der Erfahrung oder dem Bild Gottes, dass er leidenschaftlich für das Leben ist, dass er Anwalt von Recht und Gerechtigkeit ist, dass Liebe den längeren Atem als Gewalt und Hass haben, dass sich im freien und aufrechten Menschen seine Herrlichkeit zeigt.
Der Verfasser des Hebräerbriefes knüpft an die Erfahrungen von Abraham und Sara an, die lange unterwegs waren, ohne zu wissen, ob sich die Verheißungen erfüllen – ob wahr wird, was sie glauben. Der Glaube hat ihre Existenz in all den Jahren bestimmt. Sie wurden belächelt. Sie hatten dann und wann selbst Zweifel und doch ist gerade das Festhalten an den Hoffnungen zum Segen für die Menschheit geworden.
In meinen Augen ist dieser Glaube, wie er im Hebräerbrief beschrieben ist, in verschiedenen Persönlichkeiten der jüngeren Geschichte zum Tragen gekommen: Robert Schumann, der Politiker und Christ, der wesentliche Schritte zur Versöhnung von Frankreich und Deutschland gesetzt hat und zum Mitbegründer der EU wurde. Nelson Mandela, Vaclav Havel, Martin Luther King- auch sie haben Anfeindungen, Verleumdungen und Jahre im Gefängnis auf sich genommen, weil sie an eine andere Zukunft in ihrem Land geglaubt haben. Sie haben auf eine andere Welt hin zu leben begonnen, ohne abschätzen zu können, wie die Wirkung sein wird. Der Fall der Berliner-Mauer hat mit kleinen Nachtgebeten begonnen. Am Beginn konnte niemand erahnen, was daraus werden wird.
„Fridays for Future“ – hat das Potential für Großes. Es ist vor allem dann gegeben, wenn es spirituell von diesem Glauben mitgetragen ist, nicht Eigennutz oder andere fragliche Ziele oder Zwecke die Oberhand gewinnen.
Auf zwei weitere Aspekte des Briefes darf ich hinweisen:
Wir haben gehört (gelesen): „Voll Glauben sind diese alle gestorben, ohne dass Verheißene erlangt zu haben; nur von fern haben sie es geschaut und gegrüßt und haben bekannt, dass sie Fremde und Gäste auf Erden sind. … sie streben nach einer besseren Heimat, nämlich der Himmlischen“.
Der Hebräerbrief beschreibt den Glauben Abrahams und Saras als einen Glauben, der sie heimatlos gemacht hat. Sie sind Fremde und Gäste auf Erden. Sie haben die Erde, das Land nicht als ihren Besitz. Sie sind nicht angepasst, vor allem nicht an die todbringenden Strukturen. Wenn der Autor von Fremden und Gästen in seine Zeit schreibt, dann richtet es sich an eine Gesellschaft, die mit Brot und Spielen ruhig gehalten wird, in der viele der Korruption und Angst verfallen sind. Das ist den Mitgliedern der jungen Gemeinde fremd, da sind sie Außenseiter und Gäste.
Vielleicht sind wir da als Christen in Zukunft ganz neu gefordert, nämlich Fremde und Gäste in unserer Gesellschaft zu sein, weil uns der Glaube zu einem alternativen Leben ruft. Es mag Bereiche geben, da sind wir schon in dieser Rolle, zumindest teilweise in der Migrantenfrage oder im Lebensschutz vom Beginn bis zum Ende.
Wir streben nach der besseren Heimat, nämlich der himmlischen. Der Autor redet nicht einer Weltflucht ins Wort, im Gegenteil: Dieses Streben nach der himmlischen Heimat gibt die Kraft an dieser Welt nicht irre zu werden oder zu resignieren. In Gott beheimatet sein macht frei und unabhängig von den Versuchungen der Hoffnungslosigkeit, die große Veränderungen mit sich bringen. Es ist das Leben auf jene Heimat hin, wie Gott die Welt gedacht hat.
Ein Kommentar zu “Auf die Heimat hinleben 1. Lesung: Weish 18,6-9| 2. Lesung: Hebr 11,1-2.8-19| Evangelium: Lk 12,32-48”
Lieber Erich!
Vielen Dank für Deine tiefen Worte zum Hebräerbrief und zur Heimat. Anfügen möchte ich, dass unser Wort “Pfarre” vom griechischen “para oikos” kommt, das “neben dem Haus” bedeutet. Neben dem Haus lebten früher die Fremden, die Gäste.
Die ersten Christ*Innen erlebten sich als nicht zu dieser Welt gehörend: “Mein Reich ist nicht von dieser Welt.” “Pfarr”-Angehörige erleben sich als nicht von dieser Welt (gemeint als die skrupellose Wirtschaftswelt). Wir glauben, hoffen und suchen eine andere Welt. Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll wurde einmal gefragt, warum er an Gott glaube. Er antwortete: “Weil wir auf dieser Welt niemals zu Hause sind!” Und der Philosoph Ernst Bloch meine: „… so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.”
Als Pfarrangehörige waren wir noch nie ganz daheim, doch haben wir begonnen – wie Du so schön schreibst – auf eine andere Welt, eine andere Zukunft, ein anderes Miteinander hin zu hoffen und zu leben.