Das Leben in Fülle anstatt unreine Geister 1. Lesung: Dtn 18,15-20 | 2. Lesung: 1 Kor 7, 32-35 | Evangelium: Mk 1,21-28
Wir erleben, dass die Evangelien abschnittsweise gelesen werden. Dadurch geht einiges von den Zusammenhängen und der Dramatik verloren. Ich will zunächst auf solche verweisen:
Nachdem man Johannes d. Täufer ins Gefängnis geworfen hat, beginnt Jesus mit dem Auftritt in Missionsgebiet Galiläa. Er verkündet: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt dieser Botschaft. Dann geht er am See Genesaret entlang und beruft die ersten Jünger als Menschenfischer. Sie sollen da sein für jene, denen das Wasser bis zum Hals steht. Das ist ihre Berufung, die Berufung der Christen.
Er kommt anschließend nach Kafarnaum und am Sabbat hat er darin den ersten Auftritt: das Evangelium dieses Sonntags. Die Botschaft, die er nun mit Vollmacht verkündet, steht im Dienste der Ansage: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Es geht um das Gottesbild. Das ist das erste, das er korrigiert. Es wird deutlich an dem Mann, der als besessen beschrieben wird. Dieser empfängt Jesus mit Geschrei und der Frage: Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Und er fügt hinzu: Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.
Jesus bringt diese Stimme zum Schweigen und befiehlt, dieser Geist möge den Mann verlassen. Es treffen da zwei völlig entgegengesetzte Vorstellungen aufeinander. Jesus, dessen Name besagt: „Gott hilft“. Gott rettet.“, trifft auf einen Mann, der das Gegenteil glaubt. Er bringt Gott in Verbindung mit: Gott und Verderben; Gott, der über uns Verderben bringt; oder: Gott, der ins Verderben stürzt. Das Evangelium berichtet uns, dass der Mann hin und her gerissen wird und das Verlassen des unreinen Geistes geschieht unter lautem Geschrei.
Was wir da vor uns haben ist nichts anderes als eine heftige Auseinandersetzung zwischen Jesus und diesem Mann – nochmals – über das Gottesverständnis/Gottesbild: Jesus kommt mit der Botschaft, nicht dass Gott das Verderben will, sondern nahe ist, sein Reich nahe ist und für uns das Leben will, Leben in Fülle. Es gab unter den verschiedenen Gruppen Streit: Pharisäer, Sadduzäer, Zeloten u.a. Sie machten sich gegenseitig Vorwürfe, auch gegenseitig verantwortlich für das bestehende Elend des Volkes. Sie waren auch unterschiedlicher Auffassung, wie Gott dazu steht.
Jesus konfrontiert: Es ist unreiner Geist, wenn Gott mit Verderben in Zusammenhang gebracht wird, wenn anderen oder gar Kindern mit Gott gedroht wird, bzw. ER wäre ihnen nicht gut gesinnt. Es ist übrigens ein wichtiger Schlüssel zum Bibelverständnis: Wir sollen die Bibel nicht deshalb lesen oder meditieren, damit das Leben eingeschränkt, bitter und kühl wird, sondern wir dürfen und sollen sie lesen, um vermehrt Freude am Leben zu finden. Unter diesem Aspekt sind gerade auch jene Stellen zu meditieren, zu denen wir vorerst noch keinen Zugang haben oder die uns als schwierig erscheinen mögen.
Ein Thema das Jesus hier tangiert: In der damaligen Zeit galten Armut, Aussatz, Krankheiten u.ä. generell als Strafe Gottes. Es sei die Folge der Sünde der Betroffenen selbst oder der Ahnen. Jesus entkoppelt diese Vorstellungen. Wenn Menschen vom Schicksal getroffen sind, ist es nicht als unmittelbare Strafe Gottes zu verstehen. Vielmehr schließt sich Jesus der prophetischen Tradition an, dass Gottes Zuwendung gerade diesen Menschen gelten möge. Ihr seid als Menschenfischer gerufen, diesen Menschen zu Diensten zu sein, ihnen Gottes Zuwendung zu bezeugen.
Jesus fordert diesen Mann heraus, anders von Gott zu denken, anders von Menschen zu denken und natürlich auch sich anders gegenüber Menschen zu verhalten. Sein Gottesbild hat es ihm bisher bequem gemacht. Er ist da, um Gott zu loben und ihm zu danken. Die Not der Mitmenschen berührt ihn nicht. Sie sind ja selber Schuld für ihre Lage und Situation. Für jene da zu sein, denen das Wasser bis zum Hals steht, bringt Verderben, so die Überzeugung des Mannes mit dem unreinen Geist. Er wehrt sich schreiend dagegen, sich im Glauben weiter zu entwickeln.
Bemerkenswert ist, wie Jesus mit diesem Mann umgeht? Von Jesus folgen keine persönlichen Angriffe oder Anwürfe, auch keine Beleidigungen, Untergriffe oder Herabwürdigungen. Er nennt ihn nicht schlecht oder Unmensch oder du sollst gar verschwinden. Jesus geht nicht gegen die Person vor, sondern befiehlt diesem Geist das Schweigen und diesen Menschen zu verlassen. Es ist in massiven Konflikten eine hohe Kunst nicht persönlich, verletzend oder herabwürdigend zu werden.
Es ist ebenso bemerkenswert, dass der Konflikt nicht draußen auf dem Marktplatz stattfindet, sondern in der Synagoge. Jesus scheut nicht die Konfrontation und er führt sie in der Synagoge. Als Menschen, die Jesus nachfolgen, werden wir nicht umhin kommen, in der Kirche Diskussionen zu führen, zu fragen: Wofür ruft uns Gott? Wem folgen wir? Wofür steht heute die Kirche? Wofür stehen wir als Gemeinde? Wie viel Veränderung darf sein oder muss sein, damit wir glaubwürdig sind? Glaubwürdig werden?
Jesus trägt den Konflikt offen in der Synagoge aus. Es gibt bei ihm keine Rede hinten herum, kein Gemausche und Geschwätz. Er tritt dem unreinen Geist offen entgegen. Vermutlich könnten wir als Kirche auch hier eine Scheibe abschneiden. Die Suche des offenen, direkten Wortes und nicht den üblen, verächtlichen Tratsch im Kleinen, in trauter Runde. Es vergiftet das Klima und ist gegen das Evangelium.
Im November 2017 in einer Ansprache von Papst Franziskus an eine Klerikerunion war zu hören: „Es ist sehr traurig, wenn das Geschwätz in einer Diözese die Vorherrschaft hat. Das zerstört das Bistum und die Einheit unter den Priestern. Geliebte Brüder im Priesteramt, ich bitte euch, auch wenn ihr auf das Schlechte in euren Mitbrüdern schaut, so lasst es niemals zum Geschwätz kommen. Wenn euch etwas nicht passt, dann geht hin und spricht direkt mit der betreffenden Person. Bitte, kein Geschwätz!“
Ein Gedanke, den wohl alle Christen sich zu Herzen nehmen dürfen, gerade auch auf dem Hintergrund des heutigen Evangeliums. Jesus geht uns da voraus.
Ein Kommentar zu “Das Leben in Fülle anstatt unreine Geister 1. Lesung: Dtn 18,15-20 | 2. Lesung: 1 Kor 7, 32-35 | Evangelium: Mk 1,21-28”
Jesus war am Sabbat in der Synagoge. Juden pflegen bei der Schriftlesungen in der Synagoge die Bahnlesung d.h. sie Lesen in einem Jahr die ganzen fünf Bücher Mose. Es bleibt ein Rätselraten, welcher Teil der Tora an beschriebenem Sabbat gelesen worden ist. Welche Schriftstellenauslegung veranlasste die Menschen zu „vollem Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten“. Nun noch etwas zur Mauschelei und die offene Austragung des Konflikts in der Synagoge. Der Jude Jesu verstand sich als Teil einer Diskursgemeinschaft – wie es im Judentum üblich ist. Sinn und Zweck der Synagogenbesuche ist das gemeinsame Ringen um die Auslegung der Tora. Eine Predigt im Sinne eines römisch-katholischen Gottesdienstes kannte Jesus gar nicht. Vermutlich hätte er heute weit weniger Spielraum zu einer offenen Auseinandersetzung im liturgischen Raum ;-)))