Der Hirt der Schafe 1. Lesung: Apg 4,8-12| 2. Lesung: 1 Joh 3,1-2| Evangelium: Joh 10,11-18
Bei Bischofsweihen wird gerne zum Evangelium ein Text aus dem Johannesevangelium gelesen – jene Stelle, in der Jesus Petrus mehrmals fragt, ob er von ihm geliebt werde. Die mehrmalige Frage- und Antworterzählung endet folgendermaßen: „Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer!“ (Joh 21,15). In Verbindung mit dem heute gelesenen Text – ebenfalls aus dem Johannesevangelium lediglich einige Kapitel früher – wird daraus das Hirtenamt von Bischöfen und in weiterer Folge von Priestern abgeleitet.
Liest man die beiden Johannesstellen genauer, kann man zum Ergebnis kommen, dass da vielleicht ein Missverständnis aufgekommen sei. Jesus spricht von sich eindeutig vom Hirten der Schafe. Petrus erteilt er lediglich den Auftrag seine Lämmer zu weiden. Jesus ist und bleibt der Hirt der Schafe. Petrus, dem Diener und Knecht werden ausschließlich die Jungtiere überlassen.
Wer hat heute schon einen Hirten gesehen, wer kennt noch die Details seiner Aufgaben? Schafe gelten als ausgezeichnete Muttertiere und ziehen in aller Regel ihre Lämmer selbst groß. In ganz wenigen Fällen sind sie überfordert, z.B. als Erstgebärende. Sie müssen dann zur Milchabgabe an die jungen Lämmer gezwungen werden. Sind Menschen anwesend, dulden sie ihre Lämmer häufiger. Manchmal können Lämmer nach der Geburt verloren gehen, wenn sich das Mutterschaft zu weit entfernt. Sollte dies passieren oder die Mutter bei der Geburt sterben, muss es mit der Flasche aufgezogen werden. Dies ist zeitintensiv und sollte immer durch dieselbe Bezugsperson erfolgen. Später ist wichtig, dass die so aufgezogenen Lämmer in Kontakt mit der Herde kommen, da sie sonst nicht mehr integriert werden können. Nach einer bestimmten Zeit muss das Lamm von der Mutter getrennt werden.
Der Knecht ist Hilfe und Unterstützung für die jungen Lämmer und hat die Verantwortung sie auf ihren Weg in die Selbstständigkeit zu führen bzw. einzuspringen, wenn Not entsteht. Es ist seine Aufgabe, die Lämmer in die Gemeinschaft zu integrieren und auf die Eigenverantwortung vorzubereiten. Es geht um menschliche Wärme und Zuwendung.
Der Hirte der ausgewachsenen Schafe entscheidet, in welchen Situationen und wie weit sich ein Schaf von der Herde entfernen darf. Das Schaf wählt sich seine Teilgruppe selbst. Der Hirte lässt die Schafe ihre Weide suchen und folgt ihnen in Aufmerksamkeit. Es ist zu achten, dass nicht durch ein Schaf die Herde vor einen Abgrund getrieben wird. Ein bloßes Gewährenlassen der Schafe ist zu wenig. Den verlorenen Schafen geht er nach. Er lässt die Schafe ihren Weg gehen, allerdings immer in der Sorge, dass keines verloren geht. Nur in schwierigen Wegsituationen geht er voran und gibt den Weg vor. Er entscheidet, wann ein Stall aufgesucht wird, oder verteidigt die Schafe gegen Wildtiere. Es ist eine sehr aufopfernde Aufgabe mit Weitsicht.
Im Rahmen einer biblischen Fortbildung hat einmal eine junge Studentin gesagt, dass sie das priesterliche Bild von Hirten und Schafen nicht leiden könne. Sie wolle nicht einfach nur ein Schaf sein und sich auch nicht als solches bezeichnen lassen. Im Johannesevangelium wird uns vor Augen geführt, dass es nur einen Hirten für die Schafe gibt, und dieser Hirt ist Jesus. Es gilt also lediglich zu akzeptieren, dass es einen Hirten gibt, der größer ist, als ich selbst bin.
Offensichtlich haben sich schon früh Missinterpretationen in das biblische Bild des Hirten eingeschlichen. So wird bereits im Petrusbrief hervorgehoben: „Weidet die euch anvertraute Herde Gottes, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern mit Hingabe“ (1Petr 5,2) oder „seid nicht Beherrscher der Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde!“ (1Petr 5,3). Auch Matthäus war es am Beginn wichtig klarzustellen, wer der Hirte ist: „Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel“ (Mt 2,6).
Die Treue Jesu, die bedingungslose Liebe, die die Seinen nicht im Stich lässt und nicht flieht, nur weil es brenzlig wird, seine umfängliche Fürsorge bedarf keines Gegenwertes. Er ist ein Hirt, der sein Leben gibt für das Überleben der Herde. Er kennt seine Schafe und nimmt sie bedingungslos an. Schlussendlich führt er unterschiedlichste Herden zusammen, weil auf seine fürsorgliche Stimme gehört wird und seine Haltungen überzeugen. Er steht für jenen Gott, der schon die Hebräer aus dem Sklavenhaus geführt und ihnen Freiheit geschenkt hat. Nicht umsonst folgt der heutige Text auf die Heilung des Blindgeborenen – der als Blinder und als Geheilter von der Gemeinschaft ausgeschlossen wurde.
Wenn Lämmer überantwortet werden, dann sind es eben keine ausgewachsenen Schafe. Die Lämmer sind durch die Hirten auf die Freiheit vorzubereiten und darauf, dass sie später dem fürsorglichen Ruf des Hirten folgen können, der alle Schafe kennt und der das eigene Leben vor das Leben der Schafe stellt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Johannesbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Der Hirt der Schafe 1. Lesung: Apg 4,8-12| 2. Lesung: 1 Joh 3,1-2| Evangelium: Joh 10,11-18”
Liebe Katharina,
vielen Dank für Dein schönes Hirten- und Bischofswort.
Unser deutsches Wort “Bischof” kommt vom griechischen Wort “episkopoi”. Das bedeutet wörtlich: “auf etwas schauen”, “auf etwas sehen”. Mit dem Teleskop schauen wir in die Ferne und wer schon eine Koloskopie mit dem Endoskop beim Arzt erlebt hat, kann nachvollziehen, dass “skop” mit schauen zu tun hat.
Ein Bischof, Episkopoi, ist demnach einer, der auf sein Volk schaut, also einer der – wie ein Verliebter – ein “Auge auf sein Volk wirft”, einer der sein Volk liebt und versteht. (Manch Bischof hat sich schon mehr als Aufseher eines Gefängnisses gesehen).
Doch: Egal ob Bischöf*In, Priester*In, Mesner*In, Pfarrsekretärin, Religionslehrer*In, Ministrant*In, oder schlichtweg Hausfrau, Mutter, Vater, Lehrer*In, Lehrlingsausbildner etc.: “Wer liebevoll auf sein Volk, seine Herde schaut, ist “Episkopoi”, Bischof und Hirte”.
Lasst uns aufeinander schauen! Werden wir alle zu Bischöfen und Bischöfinnen!