Die eigenen Fähigkeiten wertschätzen 1. Lesung: Jes 61,1-2a.10-11| 2. Lesung: 1 Thess 5,16-24| Evangelium: Joh 1,6-8.19-28
Das heutige Evangelium erzählt uns von EINEM Menschen. Man könnte meinen, dass am Beginn des Johannes Evangelium ein Exempel statuiert werden soll. In einer Person zusammengefasst wird erzählt, was Nachfolge bedeutet. Es geht um die Gestaltung einer Brückenzeit.
Für Vertreter aus den Hierarchien ist es immer wichtig, dass sie Menschen einteilen können: als Kritiker, als Gefolgsleute, oder als „Fähnchen im Wind“. Haben sie sich einmal eine Meinung gebildet, stecken sie die Menschen in Schubladen und wir alle wissen, dass es manchmal fast chancenlos ist, da wieder herauszukommen. Sie erfüllen damit aber auch manchmal einen Dienst für das „Fußvolk“, das sich gerne an „starken Männern“ orientiert und ausrichtet. Es erspart eine eigene Auseinandersetzung mit einer Person oder Thematik und man geht auf Nummer sicher, dass man am Establishment nicht aneckt.
Die Juden aus Jerusalem, die von Johannes schon gehört hatten, weil ganze Pilgerströme zu ihm in die Wüste unterwegs waren, wollten auf Nummer sicher gehen und schickten Priester und Leviten zu Johannes. Die Juden wollten quasi eine lehramtliche Entscheidung erwirken, ob Johannes salopp gesagt „koscher“ sei. Offensichtlich war Johannes nicht so einfach zu schubladisieren und so wurde er direkt gefragt: Wer bist du? Er gab Antwort nach dem Ausschlussverfahren. Er war weder Christus noch Elija. Das war den Priestern und Leviten zu wenig, sie wollten nicht wissen, wer oder was er nicht ist, sondern ganz konkret eine Antwort auf die Frage: Wer bist du?
Nachdem offensichtlich keine ihrer angebotenen Schubladen zu ihm passten, sollte er sich selbst definieren: „Er sagte: Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste: Ebnet den Weg für den Herrn!“ (1,23) Wenn er nun aber „lediglich“ ein Rufer in der Wüste sei, warum taufe er dann, fragten die strengen Ausleger der Tora – die Pharisäer. Für sie ergab das offensichtlich keinen Sinn. Es fehlte ihnen die passende Schublade für die Zuordnung. „Johannes antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt, der nach mir kommt; ich bin nicht würdig, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen“ (1,26-27). Die Antwort ist eindrücklich und zeugt von einer Person, die in sich ruht, weder arrogant, überheblich oder eingebildet ist, aber über eine gesunde Selbsteinschätzung und einen Selbstwert verfügt. Er sagt: „ich taufe mit Wasser“ er sagt nicht „ich taufe NUR mit Wasser“. Er weiß, dass er Teil eines größeren Ganzen ist, er ist „Mitarbeiter im Weinberg Gottes“, er ist nicht der Höchste, auch wenn er viele Menschen anzuziehen weiß. Deshalb ist er nicht weniger wert. Er tut, was er kann. Er kann nicht mit dem Heiligen Geist taufen, wie es später Jesus tut, aber das, was er kann, das tut er. Er tauft mit Wasser, also mit dem, was er zur Verfügung hat.
Wir alle kennen das Gleichnis mit dem verreisenden Chef, der seinen Mitarbeitern eine unterschiedliche Anzahl an Talenten überlässt. Wir haben es vor wenigen Sonntagen gehört. Die einen machen etwas daraus, ein anderer vergräbt sein Talent. Genau das tut Johannes nicht. Er hat in der Wüste nicht mehr zur Verfügung als Sand und das Wasser des Jordan. Die Menschen, die zu ihm kommen, sind in den üblichen Sackgassen des Lebens gelandet und wollen Klärung. Johannes bietet an, was die Natur – die Schöpfung – ihm dort zur Verfügung stellt: Wasser. Wir kennen das alle: Nach einer Bergtour oder auch nur nach der Arbeit am Balkon – einer Form der körperlichen Anstrengung – das wohltuende „unter der Dusche stehen“. Man hat alles mal wieder rausgeschwitzt und kann nun das Rausgeschwitzte abwaschen. Nicht umsonst beschreibt man den Zustand dann gerne mit „ich fühl mich wie neu geboren“.
Johannes kann keine Wunder wirken, aber den Menschen ein Gefühl von „neu geboren“ schenken. Er ist deshalb nicht gram, weil er nicht mehr kann oder mehr geworden ist. Er kann an der Reaktion der Menschen erkennen, dass er für sie einen wesentlichen Beitrag leistet und dafür muss der nicht „der Christus sein“ und diesem auch nicht neidvoll begegnen.
„Ein Mensch trat auf, von Gott gesandt; sein Name war Johannes“ so beginnt das heutige Evangelium. Es könnte auch unser eigener Name dort stehen, denn durch die Taufe sind wir alle zu ProphetInnen, KönigInnen und PriesterInnen gesalbt.
In diesem Kontext kann man auch den Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Thessalonich lesen. Es ist eine sehr junge Gemeinde von Heidenchristen. Paulus hört nur gute Nachrichten von der Gemeinde, allerdings gibt es auch Verunsicherung. Die Menschen erleben erste Repressionen auf Grund ihres Glaubens und die Apostel werden verleumdet. Der heutige Textausschnitt steht am Ende des Briefes. Auch Paulus ist es wichtig, dass es keine Schubladisierungen gibt, sondern dass das große Ganze gesehen wird: „Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute!“ (5,17-19).
Auch wir stehen wie Johannes in Zeiten des Übergangs. Es gilt, sich von Altem zu verabschieden, und das Neue kennen wir noch nicht. Wir spüren unsere eigene Verunsicherung, aber auch die unseres Umfeldes. Wir können keine Wunder wirken und dennoch sind wir nicht zum Zusehen verdammt, auch wenn wir vermeintlich nur Sand und Wasser zur Verfügung haben und uns selbst in einer Wüste der Rat- und Aussichtslosigkeit wähnen. Was könnten wir zur Antwort geben, wenn wir gefragt werden: Wer bist du? Wahrscheinlich wissen wir auch eher, wer wir nicht sind, vielleicht schält sich aber dadurch auch heraus, wer wir sind: Anton, Martha, Chiara, Samuel …….
Auf Martin Buber geht der Satz zurück: „Alles, was deine Hand zu tun findet, tue in deiner Kraft“. Das ist keine schlechte Zusammenfassung für die biblischen Texte des Sonntags.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessalónich anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.