Die Vollkommenheit Gottes 1. Lesung: Num 11,25-29|2. Lesung: Jak 5,1-6|Evangelium: Mk 9,38-43.45.47-48
Die erste Lesung stammt aus dem vierten Buch Mose. Unser heutiger Text beschreibt in einem Ausschnitt den Zug des Volkes Israel durch die Wüste. Er beginnt damit, dass das Volk darüber zu jammern beginnt, dass es von Gott bisher lediglich Manna erhalten habe. Es beschönigt die Situation ihrer Gefangenschaft und zeichnet ein verklärtes Bild. Mose hält diese Raunzerei nicht mehr aus und droht Gott sogar mit Suizid, weil er diese Belastung nicht mehr aushalten kann und die Last des göttlichen Auftrages zu schwer auf seinen Schultern lastet.
Der HERR fordert daraufhin Mose auf, siebzig der Ältesten Israels – also die erfahrensten und mächtigsten Männer – vor das Offenbarungszelt zu bringen. ER will „etwas von dem Geist“ der auf Mose ruht, auf sie legen: „So können sie mit dir zusammen an der Last des Volkes tragen und du musst sie nicht mehr allein tragen“ (Num 11,17). Zusätzlich verspricht ER Fleisch zu geben und zwar soviel „bis es euch zur Nase herauskommt und ihr euch davor ekelt“ (Num 11,20). In diesem noch weit ausführlicheren Disput scheinen sich Gott und Mose nichts zu schenken.
Nun kommen wir dem heutigen Textausschnitt näher. Mose versammelt die siebzig Ältesten des Volkes vor dem Zelt und wie versprochen legt Gott seinen Geist auf alle und sie beginnen prophetisch zu reden. Eigentlich standen aber nur 68 Älteste vor dem Zelt, denn zwei sind nicht mitgegangen. Sie sind im Lager geblieben und obwohl sie nicht beim Zelt standen, kam offensichtlich trotzdem der Geist auf sie und sie redeten im Lager prophetisch. Wie im realen Leben gab es auch damals schon Petzen, im Dialekt würde man sagen Rätschkacheln. Einer verpetzt die beiden namentlich bei Mose – Eldad und Medad. Mose reagierte – man hört das Seufzen direkt aus den Zeilen – gelassen darauf: „Wenn nur das ganze Volk des HERRN zu Propheten würde, wenn nur der HERR seinen Geist auf sie alle legte! (Num 11,30).
Dazu ein paar Gedanken:
Gott und Mose wirken von dem murrenden Volk genervt. Der HERR möchte von Moses Schultern Last nehmen und schlägt ihm quasi die Nominierung von Mitverantwortlichen vor. Gott teilt etwas von dem Geist, der auf Mose liegt auf die versammelte Gesellschaft auf. Sie beginnen prophetisch zu reden. Man könnte auch sagen, sie sprechen sich gegenseitig Mut zu. Sie bleiben aber unter sich, wenngleich sie die Verantwortung für das gesamte Volk übernehmen.
Die Zahl 70 hat im biblischen Zahlenverständnis eine ganz besondere Bedeutung. Sie steht für die Vollkommenheit. Sie ist die Zahl der Vollständigkeit, umfasst alle Generationen und die ganze Geschichte des Volkes. Was bedeutet es nun, wenn zwei einfach fehlen und gar nicht vor das Zelt kommen. Man könnte nun sagen, diese beide Illoyalen, Ignoranten oder Unzuverlässigen.
Man könnte aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass sie das Volk gut kannten und aus der Erfahrung gelernt haben, dass man dieses Volk nicht aus den Augen lassen sollte. Das letzte Mal – damals am Sinai – als Mose mit den Siebzig vor Gott trat und die Steintafeln mit den zehn Worten erhalten hat ging das gründlich schief. Als Mose zurückkam, war das goldene Kalb gegossen und der HERR musste feststellen: “Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet“ (Ex 32,8).
Eldad und Medad waren von Anfang an treue und verlässliche Berater und Verantwortungsträger für Mose und das Volk. Sie waren offensichtlich schon vor der Gabe der Prophetie tief in das Verständnis Gottes eingedrungen. Und zwar so sehr, dass sie bereits antizipieren konnten, worin ihr Dienst für Mose bestehen könnte. Sie halfen Mose vielleicht mehr damit, dass sie das Volk nicht aus dem Auge ließen. Ihre Namen verdeutlichen ihre Gottesbeziehung. El-dad – den Gott liebt und Me-dad – der Liebling oder die Zuneigung. Sie zogen ihre Schlüsse und wussten, wenn alle erfahrenen und weisen Männer vor das Zelt gingen, könnte sich in ihrer Abwesenheit wiederholen, was am Sinai vorgefallen war. Sie entschieden sich darum beim Volk in den Lagern zu bleiben. Sie vertrauten darauf, dass Gottes Zusage der Geistgabe trotzdem auch für sie gelten würde. Sie zweifelten an der Verlässlichkeit des Volkes, aber nicht an den Zusagen Gottes.
Man kann daraus ableiten, dass Gott keinen Kadaphergehorsam will. Der Mensch ist seit der Schöpfung Partner Gottes und dies meint, verantwortungsvolle Teilhabe wahrzunehmen. Auch ein göttlicher Auftrag bedeutet nicht, dass man das eigene Hirn ausschalten soll – man denke dabei nur an alle möglichen fanatischen Kreise in unterschiedlichen Religionen. Gott schätzt das eigene Urteil der Menschen, ihr Erfahrungswissen, ihr reflektiertes Handeln, wenn es in die verantwortungsvolle Leitung und Führung des Volkes einfließt. ER vertraut sogar darauf. Gott hat dem Menschen Weisheit geschenkt um diese auch zu gebrauchen, aus Erfahrungen zu lernen und kluge Schlüsse zu ziehen.
War also vor dem Zelt gar keine Vollkommenheit gegeben? War Gott so blind, dass er nicht merkte, dass zwei fehlten? Oder meint Vollkommenheit im Sinne Gottes vielleicht etwas anderes? Zur Vollkommenheit zählen offensichtlich auch jene, die nicht im Zentrum des „who is who“ stehen, jene die beim Volk bleiben, um es mit seinen Sorgen und Nöten im Blick zu haben. Sie sorgen dafür, dass sich das Volk nicht von Gott abwendet. Es gehören auch jene zur Vollkommenheit, die sich von Hierarchien nicht beirren, die die Wirklichkeit und die Realitäten sprechen lassen. Ich denke dabei an Menschen wie Leonardo Boff, Hans Küng, Oscar Romero und Erwin Kräutler. Sie haben in ihrem Vordenken für die Anliegen von Unterdrückten, politischen Verfolgten, Indigenen, Minderheiten oder aber in Hinblick auf die Zerstörung der Schöpfung prophetisch gesprochen – selten zur Freude der Amtskirche. Während andere „Älteste des Volkes“ unter sich geblieben sind, sind sie beim Volk geblieben. Zur Vollkommenheit Gottes zählen also auch jene, die sich vielleicht manchmal notgedrungen außerhalb der Hierarchien für das Volk einsetzen. Jene, die sich nicht so einfach einfügen. Aus dem heutigen Text des Ersten Testaments entnehmen wir, dass Gott nach ganz eigenen Maßstäben bestimmt, wem er die Gabe der Prophtie schenkt und wen er zur Vollkommenheit seines Volkes zählt.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Numerische anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Jakobusbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Die Vollkommenheit Gottes 1. Lesung: Num 11,25-29|2. Lesung: Jak 5,1-6|Evangelium: Mk 9,38-43.45.47-48”
Eine faszinierende Logik in der Interpretation der Bibelstelle!
Papst Franziskus betet sicher jeden Tag, „….. wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!“
Auch ein Gebetswunsch für uns!
Die Bedeutung der zwei genannten Namen El-dad und Me-dad ist sehr vielsagend.
Würde mich erdreisten, sie auf Pfarrer Baldauf und Frau Weiss anzuwenden, die auch vor Ort mit den Menschen hautnah auf dem oft steinigen Weg zu Gott unterwegs sind.