In die Mitte stellen 1. Lesung: Weish 2,1a.12-17-20|2. Lesung: Jak 3,16-4,3|Evangelium: Mk 9,30,37
Dem heutigen Text aus dem Markus Evangelium geht die zweite Leidensankündigung Jesu voran. Jesus versucht auf der Wanderschaft durch Galiläa den Jüngern sein anstehendes Schicksal zu beschreiben und sie auf den Glauben an die Auferstehung vorzubereiten. Den Jüngern bleiben seine Ausführungen aber unverständlich. Jesus beschrieb für sie Unvorstellbares und Unfassbares. „Sie verstanden sein Wort nicht, fürchteten sich jedoch, ihn zu fragen.“ Es ist gut nachvollziehbar, dass sie sich auf Grund der Rätselhaftigkeit der Worte Jesu eigenen Gesprächen zugewandt haben, vielleicht nicht zuletzt um sich abzulenken. Sie wollten der unangenehmen Realität ausweichen, sie verdrängen, sie nicht wahrhaben. Wenn die Zukunft ungewiss ist, mag es für eine kleine, junge Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Charakteren nicht unwesentlich sein, wer die Meinungsführerschaft übernimmt. Sie beschäftigten sich also mit der Frage, wer der Größte sei.
Angekommen in Kafarnaum fragte Jesus die Jünger nach dem Inhalt ihrer Gespräche. Sie schwiegen. Er kannte seine Jünger und konnte vermuten, dass der Inhalt eher oberflächlicher Natur und vielleicht allzu menschlich war. Er insistierte nicht, hatte aber offensichtlich eine Vermutung. Er belehrte sie nicht, sondern setzte sich und versuchte dem engeren Kreis von Weggefährten seine Sicht der Dinge in aller Ruhe und Gelassenheit zu erläutern. Dazu beschreibt er ziemlich in der Mitte des Markus-Evangeliums: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“. Seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen soll es also nicht um Themen- und Leitungsführerschaft gehen, sondern um ein Dienstverständnis. Wenn wir nun den Blick auf das Ende des Markus-Evangeliums werfen, wird uns dort so eine Person geschildert, die „die Erste“ sein durfte, weil sie ihr Leben offensichtlich beispielhaft als Dienst an der jungen Glaubensgemeinschaft und der Menschen verstanden hat: Maria Magdalena. Sie war eine der Letzten, die – neben ein paar weiteren Frauen – Jesus treu bis zum Tod am Kreuz geblieben sind. Sie hat sich dem Ende – dem grausamen Tod Jesu – gestellt. Maria Magdalena hat unter dem Kreuz ihre letzten psychischen und physischen Kräfte hingegeben. Alle Jünger Jesus wussten sich vorher zu absentieren. Geblieben sind mehrere (!) Frauen – drei werden namentlich genannt: Maria Magdalena, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome.
Diese drei Frauen werden später am Grab des Auferstandenen die Ersten sein. Sie hören als erste die frohe Botschaft: „Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier“ (Mk 16, 6). Nicht nur die Leidensankündigung Jesu und seine Ankündigung der Auferstehung an seine Jünger hat sich schlussendlich bewahrheitet, sondern auch die Haltung, die gelebt werden soll, wenn man Erste sein möchte. Es ist bezeichnend, dass die einzig „Ersten“, die es im Evangelium gibt, Frauen sind und dennoch über die Jahrhunderte in der Katholischen Kirche mehr Letzte als Erste waren. Man bedenke nur, dass erst im Jänner 2021 (!) durch Papst Franziskus eine lang gepflegte Praxis kirchenrechtlich geregelt wurde. Nun erst dürfen Frauen offiziell das Amt der Lektorin, der Kommunionspenderin, den Altardienst wie zB Ministraninnendienst ständig ausüben. Seit 1972 waren in Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils diese Aufgaben von den Weiheämtern getrennt, aber kirchenrechtlich ein halbes Jahrhundert Männern vorbehalten worden. Gäbe es genügend Männer für diese Dienste, hätte vermutlich manch einer noch gerne zugewartet. Die Herausforderung besteht für die Kirche darin, dass der Großteil der pfarrlichen Arbeit im Haupt- und Ehrenamt von vielen Frauen geleistet wird. Offensichtlich erbringen sie erneut die letzten Dienste einer in vielen Belangen „sterbenden“ Kirche.
Nicht nur zu dieser brennend aktuellen Frage ist das heutige Evangelium ein Fingerzeig. Auch für eine andere aktuelle Herausforderung, gibt uns der heutige Text eine Richtungsweisung. Zur Verdeutlichung des Gesagten – wie Jesus Dienst versteht – stellt er ein Kind in die Mitte. Ein Kind, für damalige Zeiten ein unbedeutender Mensch. Ein Mensch, der leicht von den Großen übersehen wird, oft als lästig angesehen und nicht für voll genommen wird, dessen Wünsche und Einwände nichts gelten und überhört werden. So einen kleinen Menschen stellt er in die Mitte. In der griechisch-römischen Antike waren Kinder rechtlos. Kinder, die der Familienvater nicht aufnahm, wurden ausgesetzt. Jesus stellt dieses Kind nicht nur in Mitte – ins Zentrum seiner Überlegungen – sondern er nimmt es in seine Arme. Es gibt keine andere Schilderung, dass Jesus einem Menschen so körperlich und zärtlich verbunden war. Das Kind wird zum Zentrum seiner Zuwendung und seiner Liebe. Das Geschlecht scheint hier keine Bedeutung zu haben. Ob Junge oder Mädchen – die herzliche Zuwendung Jesu gilt jedem Geschlecht. Es verdeutlicht die Bedeutung der Gotteskindschaft – ein Vater, der alle annimmt und niemanden aussetzt.
Der griechische Begriff „pais“ kann sowohl Kind als auch Sklave/Sklavin bedeuten und ist Sinnbild für Dienerschaft und Niedrigkeit. Die Evangelien waren Untergrundschriften in einer politisch aufgewühlten Zeit. Wenn Jesus ein „pais“ in die Mitte stellt, ist dies nicht nur primär als besondere Würdigung von Menschen in dieser Lebensphase zu verstehen, sondern als Hervorhebung von Menschen die in Rechtlosigkeit, Erniedrigung und Abhängigkeit leben müssen. Diese Menschen nimmt Jesus zärtlich in den Arm.
Jesus fordert seine Jünger nach den Gesprächen über den Rangstreit zu einem radikalen Perspektivenwechsel auf. Jesus lebt in den Alten, Kranken, Migrantinnen, Armen, Behinderten, Abhängigen, Ausgegrenzten usw. Wer bedingungslos die Kleinen aufnimmt, nimmt den Größten – Gott – auf. Jesus schildert an anderer Stelle eine solche Aufnahme: „Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib“ (Mk 14,22). Die Evangelien kennen nicht nur unterschiedliche Formen des Mahlhaltens, sondern offensichtlich auch unterschiedliche Formen, wie Gott sich inkardiniert. Was bedeutet dies, wenn die Feier eucharistischer Mahlgemeinschaften auf Grund einer geringeren Zahl an Priestern seltener stattfinden kann? Was sagen uns die Formulierungen des heutigen Evangeliums, in anderen Formen Jesu in unser Leben und Sein aufzunehmen? Was bedeutet das vor dem Hintergrund politischer und künftig wohl auch ökologischer Flüchtlinge, die wir nicht einmal in geringer Zahl in unserem Land aufnehmen wollen?
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Jakobusbrief anhören möchten:
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