Draußen zu Hause 1. Lesung: Gen 3,9-15| 2. Lesung: 2 Kor 4,13-5,1| Evangelium: Mk 3,20-35
Es wird nach dem Gottesdienst die anlässlich des Festes 50 Jahre Diözese Feldkirch geschaffene Installation im Kirchenpark eröffnet: 50 Gründe zum Leben. Jeder und jeder ist eingeladen, einen Grund zum Leben aufzuschreiben. Dass Menschen ganz unterschiedlich mit einem solchen Thema umgehen, ist offensichtlich. Manche machen sich ernsthafte Gedanken und schreiben sie nieder, andere machen sich lustig und wieder andere bringen zum Ausdruck, dass sie mit dieser Frage nicht viel anfangen können. Ich meine, es ist die Frage wert: Wofür bin ich bereit zu leben?
Wer sich dieser Frage sehr intensiv gestellt hat, berichtet uns das Evangelium: nämlich Jesus. Oberflächlich wirken die im Evangelium geschilderten Konflikte etwas konfus und schwer nachvollziehbar, beim näheren Hinsehen gehen sie tief und sind bis heute provokant. Welchen Grund, welche Gründe zum Leben sah Jesus?
Es gilt ein wenig auszuholen: An Abram (später mit Namen Abraham) ergeht der Ruf: Zieh weg aus deinem Vaterhaus, aus deiner Verwandtschaft, aus deinem Vaterland in ein Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde deinen Namen groß machen und dich segnen. Ein Segen sollst du sein. (Gen 12,1-5) Der Ruf durchbricht das traditionelle Denken. Die Familie und Sippe war die Lebensversicherung. Ja, es gab keine Versicherung, weder eine Pensions- noch eine andere Versicherung, die in der Not für einen Menschen sorgte. Die Sorge oblag der Familie, bzw. Sippe. Es war der Vater, der die Mitte bildete und der die Entscheidungen für die Familienmitglieder traf. Eine Frau ohne Mann war im wahrsten Sinne des Wortes „Freiwild“ und konnte sich nur mit Betteln oder Prostitution durchs Leben kämpfen.
Abram durchbricht diese Familienbande. Jesus greift den Ruf Abrams auf und führt ihn weiter.
Auch er zieht von der Familie weg. Er verlässt Nazareth und wirkt in Galiläa, vorwiegend am See. Im damaligen Verständnis der Juden ein Missionsgebiet. Er erklärt den Umstehenden, nachdem seine Herkunftsfamilie ihn zurückholen wollte: Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter. Er sieht sich in einer anderen Familie, nämlich in der Familie seines „Vaters“, in der Familie Gottes. Für diese Familie lebt er.
Wer den Willen Gottes tut, ist ihm Bruder, Schwester und Mutter. Man beachte, dass Jesus die Bande der Herkunftsfamilie sehr relativiert. Die Familie mag für die Entwicklung eines Menschen wichtig sein, sie kann aber nie alles leisten. Muss es auch nicht. Die Erwartungen an sie sind heute hoch, zum Teil idealisiert und ideologisch überfrachtet. Zumindest müssen wir als glaubende Christen sagen, Jesus sieht in ihr nicht das Heil.
Gut und heilsam ist eine Familie dann, wann sie sich um Gott weiß, weder Eltern noch Kinder die Funktion eines Gottes einnehmen, Eltern alles zu leisten haben oder Kinder als „Herrgöttle“ gehalten werden.
Jesus lebt für eine Familie, die Gott als Mitte hat. Er bricht damit auch jedes Stammes- und Volksdenken auf. Wenn Jesus davon redet, dass ihm jene Schwester oder Bruder sind, die den Willen Gottes tun, dann ist zu bedenken, dass man Bruder und Schwester nicht wie einen Freund/eine Freundin aussucht. Es ist gerade keine Freundelwirtschaft. Es läuft ferner einem Denken mit dem Anspruch zuwider, ich oder wir zuerst. Unsere Nation zuerst. Übrigens: solches Denken ist in der Vergangenheit am Beginn des Weges zu Kriegen gestanden.
Jesus lebt für eine Familie, die Gott und seinen Willen als Mitte hat. Nicht einmal die Religionszugehörigkeit ist für ihn entscheidend. Wer den Willen Gottes tut, ist ihm Bruder und Schwester. Allein sein Jüngerkreis ist ein Beispiel einer Gemeinschaft, in der sich die gegensätzlichsten Personen trafen: Zöllner, Zeloten, Schriftgelehrte, Fischer … es war alles andere als eine fromme, homogene Gruppe. Er hob den barmherzigen Samariter hervor, in den damaligen Augen ein Häretiker. Er lobt den Glauben des römischen Hauptmanns, dessen Knecht er geheilt hatte, in den Augen der Anderen ein ungläubiger Römer. Wer den Willen Gottes tut, ist ihm Bruder und Schwester. Das kann heute ein Muslim, ein Atheist, Agnostiker, Esoterikerin, natürlich auch Christ sein.
Wer den Willen Gottes tut, ist ihm Bruder und Schwester. Das ist für ihn auch wichtiger als jede Konfessions- oder Pfarrgrenze. Wir machen uns als Christen vor der Welt lächerlich, wenn wir in diesen kleinlichen Denkstrukturen verhaftet bleiben, so sehr sie in Manchem hilfreich sein können.
Was Jesus als neue Gemeinschaft ansah führte dazu, dass sie sagten, er ist von einem Dämon, von einem unreinen Geist besessen. Die Verwandten meinten, er ist von Sinnen – zu Deutsch: er spinnt. Jesus hat keine Wohlfühlgemeinde gegründet, keine Gemeinde von Gleichgesinnten, sondern eine Gemeinschaft, die Gottes Wille als Mitte hat, die in jedem Menschen ein Abbild Gottes sah und sieht, die gerade auch den Bruder und die Schwester in jenen sieht, die krank, arm, hinfällig, bettelnd und bittend unterwegs sind.
Man kann sich vorstellen, in welchem Lebensgefühl Jesus lebte. Ich denke, es trifft den Gedanken, mit der die Frohbotinnen ihre Regel überschrieben haben: „Draußen zuhause“. Der Christ der Zukunft wird nicht damit rechnen können, dass er eine große Gemeinschaft erlebt, die ihn trägt. Es werden vielleicht kleinere Gemeinschaften sein, aber selbst das ist nicht sicher. Ferner wird Christen das Gefühl begleiten, meine Lebensweise ist den Menschen fremd. Ich werde wie eine Fremde/ein Fremder behandelt. Draußen zuhause.
„Wofür bin ich bereit zu leben?“ In eine solche Gemeinschaft werden wir gerufen. Ich weiß nicht, ob es attraktiv wirkt. Es liegt allerdings die Verheißung darauf, dass Gott mit solchen Menschen mitgeht, ihnen nahe ist.