Du wirst nicht … 1. Lesung: Ex 20,1-17 | 2. Lesung: 1 Kor. 1,22-25 | Evangelium: Joh 2,13-25
Ich werde auf die erste Lesung eingehen und versuchen, deren Bedeutung für uns etwas zu erhellen.
Es sind die einzigen Worte, die dem Mose direkt von Gott diktiert wurden. Er brachte sie vom Berg Mose. Was uns aber vorliegt ist eine Kopie. Die Originale wurden von Mose zerschlagen als er bei der ersten Rückkehr vom Berg erlebte, dass sein Volk um ein “goldenes Kalb” tanzte. Dies ist im Umgang mit der Bibel zu bedenken. Alle Texte der Bibel sind damit Menschenwort, inspiriert vom Geist Gottes. Wir haben keinen Text der Bibel, der eine uneingeschränkte Offenbarung Gottes wäre. Es ist insofern bedeutsam, weil mit diesem Faktum jedem Fundamentalismus – gerade auch gegenüber dem biblischen Wort – eine Absage erteilt ist. Alles was wir von Gott wissen, ist durch Menschen vermittelt. Niemand, ja gar niemand kann absolut für sich in Anspruch nehmen: ich weiß die Wahrheit Gottes.
Israel hat aber diese Kopien von Steintafeln, die Mose in einem zweiten Besuch des Berges erhielt, in der sogenannten “Bundeslade” mitgetragen. Es war eine einfache Holzkiste mit den beiden Steintafeln. Die eine enthielt die ersten drei Gebote – das Verhältnis zu Gott -, die zweite die weiteren sieben – das Verhältnis zu den Menschen und zur Mitwelt betreffend. Dabei ist noch zu erwähnen, dass der schriftliche Umfang dieser ersten drei Gebote größer als die der weiteren sieben Gebote ist. D.h. sie haben auch das entsprechende Gewicht, die entsprechende Bedeutung.
Warum ist das vielleicht wichtig oder erwähnenswert? Es gibt mehrere Gründe: Ein erster Grund: Die Bundeslade hatte eine Größe und ein Gewicht, die Israel auf dem Weg durch die Wüste mittragen konnte. Es ist bei allen Wegen durch die Wüste eine Frage: Was nehmen wir mit? Wir als Kirche erleben unsere Zeit auch als einen Weg durch die Wüste. Vermutlich wird die nahende Zukunft noch stärker als Wüstenweg erlebt. Es wird die Frage zuspitzen: Was tragen wir alles weiterhin mit uns? Wir können nicht den weniger werdenden Menschen – seien es Haupt- oder Ehrenamtliche – alle bisherigen Lasten aufladen. Wir werden uns von verschiedenen Dingen, Initiativen, auch Liebegewordenen und Selbstverständlichem in unseren Gemeinden zu lösen haben. Die Frage stellt sich: Was ist wesentlich für den Glauben?
Ein zweiter Grund: Israel hat die Bundeslade mit den Steintafeln und den Geboten mitgeführt. Es ist ihr Heiligstes. Es birgt eine Erinnerung, die sie zusammenhält, die sie miteinander auf dem Weg sein lässt. Es ist keine Statue, kein Schatz, kein Gold, kein Geld, keine Waffe, die Israel Zukunft, Verbundenheit und Sicherheit geben. Wenn ich von Geboten rede, dann werde ich dieser Bundeslade nicht gerecht. Die Gebote auf den Steintafeln sind zweitrangig. Der erste Satz trängt die viel wichtigere Erinnerung. Gott spricht auf dem Berg Sinai zum Mose und stellt sich mit den Worten vor: Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.
Es ist eine gewisse Tragik, dass früher die 10 Gebote ohne diesen Vorspann gelernt und verstanden wurde. Wegen dieses Kernsatzes wurde die Bundeslade mitgeführt, nicht so sehr wegen der Gebote. Israel soll nicht vergessen, dass Gott sie aus Ägypten, aus der Knechtschaft herausgeführt hat. Die Gebote haben die Funktion, diese gewonne Freiheit zu schützen. Sie stehen im Dienste der gewonnen Freiheit. Sollte ein Gebot nicht mehr der Freiheit dienen, verliert es seine Bedeutung, wird es hinfällig. Viele Konflikte, die Jesus mit Schriftgelehrten und Pharisäern hat, haben mit diesem Thema zu tun.
Auch hier die Frage: Was ist mir im Zusammenhang mit Gott heilig? Was ist in Stein gemeißelt, was ich – was wir – mittragen? Gott, der in die Freiheit führt? Gott, der Anwalt der Freiheit gegen jegliche Versklavung und Verzweckung von Menschen.
Welche Vorstellung trage ich mit? Für manche ist er ein Polizist, einer, der alles zur regeln hat, einer, der sämtliche Katastrophen und Unglücke zu verhindern hätte. Für andere gilt, dass er ein gerechter Richter zwischen gut und bös ist. Wieder für andere ist er ein “alter Mann”, der kein Interesse am Menschen hat. Wenn Eltern z.B. mit ihren Kindern Gott nicht mehr thematisieren, vermitteln sie Kindern diese Vorstellung: ein interesseloser Gott, dem die Welt und der Mensch egal ist. Es sind einzig Zerrformen des sich biblisch offenbarenden Gottes.
Gottes Wort stand für Israel auf Schriftrollen. Das, was sie einzig in Stein gemeißelt mitführten, ist der Kernsatz, nämlich dass ihr Gott sie aus Ägypten, aus dem Skalvenhaus herausgeführt hat. Und die ergänzenden Gebote dienen dem Anliegen, die gewonnene Freiheit zu schützen.
Was tragen wir in Stein gemeißelt mit uns? Was trägt die Regierung in Stein gemeißelt vor sich her? Die Bibel lehrt, es ist Götzendienst, wenn die Freiheit der Menschen oder das Ermöglichen von Freiheit behindert werden, wenn die Ausgrenzung von Gruppen betrieben wird, wenn es in Kauf genommen wird, dass ein bestimmter Teil verarmt.
Es ist Götzendienst, wenn ein Lenker eines der reichsten Länder dieser Welt die Solidarität mit ärmeren Ländern verweigert, nicht bereit ist den Beitrag aufzustocken. Als Christ habe ich dafür keinen Beifall. Verweigerte Solidarität berührt das siebte Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Ein letzter Gedanke in aller Kürze: Er bezieht sich auf das vierte Gebot: Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt. Es ist ein Gebot mit einer Begründung. Es bedeutet, dass das Verständnis dafür nicht eine innere Logik hat, wie z.B. Du sollst nicht stehlen oder töten. Das Elterngebot bedurfte einer Begründung. Es ist zu beachten, dass es nicht lautet, du sollst die Eltern lieben, sondern es geht um das Ehren und Achten. Sie haben das Leben gegeben, mag das Verhältnis auch manchmal schwierig gewesen sein. Auf dem Ehren und Achten liegt Segen.
Ein Kommentar zu “Du wirst nicht … 1. Lesung: Ex 20,1-17 | 2. Lesung: 1 Kor. 1,22-25 | Evangelium: Joh 2,13-25”
Ich tue mir ja immer schwer, wenn ich „du sollst nicht“ lese. Aus dem Hebräischen richtig übersetzt heißt es nicht “du sollst nicht” sondern „du bist kein Mordender“ und natürlich steht auch dieses Verständnis ganz in Bezug zum ersten Satz. Wenn du davon überzeugt bist, dass Gott dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus, dann wirst du nicht töten. Wenn du die Beziehung zwischen dir und Gott spürst und ernst nimmst, dann tust du bestimmte Dinge einfach nicht. Du lebst in einer ganz bestimmten Haltung. Im Judentum wird damit auch ganz konsequent nicht von den 10 Geboten, sondern von den 10 Worten Gottes an die Menschen gesprochen.
Eine Haltung haben wir als Kirche gemeinsam verloren, ja man könnte auch sagen verraten. Sie steht auf der Tafel, mit den Beziehungsworten zwischen Gott und Mensch: Gedenke des Sabbats. Der siebte Tag ist ein Ruhetag. Den siebten Tag als Ruhetag praktizieren wir schon lange nicht mehr, aber auch dem achten Tag haben wir die feierliche Besonderheit genommen. Bei diesem wesentlichen Wort Gottes, das von der Fürsorge für den Menschen geprägt ist, sind wir als Kirche extrem unglaubwürdig. Vielleicht hat die abnehmende Zahl
an Gottesdienstfeiernden am Sonntag auch etwas mit dieser Unglaubwürdigkeit zu tun.