Durch verschlossene Türen gehen 1. Lesung: Apg 4,32-35| 2. Lesung: 1 Joh 5,1-6| Evangelium: Joh 20,19-31
Im heutigen Evangelientext lassen sich viele lebensnahe Anknüpfungspunkte finden. Der Apostel Thomas, der Didymus – Zwilling – genannt wird, macht nachdenklich und lässt Fragen offen. Wieso trägt er den Namen Zwilling? Vielleicht um uns die Person des Apostels schon mit dem Namen näher zu bringen. Die Namenserläuterung Zwilling kann auch als „gepaart“ übersetzt werden. Zwei Menschen oder Dinge, die aus einer Wurzel stammen, sich sehr ähnlich sind, aber doch nicht gleich – wie zwei Seiten einer Medaille. Vielleicht soll uns damit eine Eigenschaft des Thomas beschrieben werden, die wir alle in uns tragen. Dieses Hin- und Hergerissen sein im Glauben, die Höhen- und Talfahrten eines Glaubenslebens. Einerseits die Gewissheit, an den EINEN Gott zu glauben, der Ursprung allen Seins, der uns mit Jesus ein Zeugnis seiner Barmherzigkeit und Liebe gesandt hat, und andererseits aber Glaubenszweifel. Gibt es Gott wirklich? Ist nicht alles nur Absicht einer Weltflucht, einfach um das Leben besser aushalten zu können? Ist alles nur Lug und Trug? Diese Zwiegespaltenheit im Glauben und im Leben dafür kann der Name Thomas – der Didymus – Zwilling stehen.
Eine zweite Parallele zu unserem Leben können wir im heutigen Evangelium finden. Es ist, als würden die Erzähler im Apostel Thomas die unterschiedlichen Glaubensphasen eines Lebens bündeln wollen – Nähe und Distanz zur Gemeinschaft der Gläubigen. Wir wissen nicht, wieso Thomas beim ersten Jüngertreffen nicht dabei war. Vielleicht brauchte er Abstand und Distanz – mit der Folge, dass er bei einem entscheidenden Ereignis nicht zugegen war. Auch wir fühlen uns manchmal in der Gemeinschaft einer Pfarre nicht wohl, brauchen unseren Abstand, da spricht an sich auch nichts dagegen, allerdings sind manche Erlebnisse und Ereignisse nur in Gemeinschaft – dort wo wir zusammenbleiben –möglich. Die anwesenden Jünger erhalten den heiligen Geist. Dieser bleibt zumindest vorerst Thomas vorenthalten.
Thomas reagiert auf die Erzählung seiner Freunde etwas trotzig. Es sind die Wenn/Dann-Bedingungen, die wir in unserer Glaubensbiografie auch kennen. Wir glauben Gott auf unsere Vorstellungen und Erwartungen hin verpflichten zu können, als gäbe es Garantieerklärungen im Glauben. Wenn Gott dies oder jenes tut, dann gehe ich wieder mehr in die Kirche, spende usw. – wissend, dass Wenn/Dann-Beziehungen selten fruchtbar sind oder sein können.
Thomas will den Dingen auf den Grund gehen. Bereits im Kapitel 14 des Johannesevangeliums gibt es eine Erzählung über Thomas. Dort erzählt Jesus von den vielen Wohnungen Gottes und der Absicht, dort für die Jünger einen Platz vorzubereiten. „Dann werde ich euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. Ihr kennt ja den Weg zu dem Ort, wo ich hingehe. Thomas sagte zu ihm: ‚Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst. Wie können wir dann den Weg dorthin kennen?‘“ (Joh 14, 3-5). Auch die Erzählungen seiner Freunde über ihre Begegnung mit dem Auferstandenen genügen ihm nicht. Er braucht Handfestes.
Schlussendlich kommt es zum Zusammentreffen des Thomas mit dem Auferstandenen – zum alles entscheidenden Erlebnis, zur persönlichen Erfahrung und es kommt zu einer Gewissheit. Sein Wunsch, Jesu berühren zu können, verblasst, als Thomas Jesus wahrnimmt. Er gibt ein tiefgehendes und berührendes Glaubenszeugnis: „Mein Herr und mein Gott“.
Der Apostel Thomas steht für einen Menschen, der kopflastig ist, den Beweis sucht, der nur an etwas glauben kann, was er sehen und anfassen kann. Etwas wofür es einen Beweis gibt. Vielleicht steht er damit für unsere geschichtliche Epoche, in der wir uns befinden. Viele ZeitgenossInnen brauchen auch viele Belege, wissenschaftliche Evidenzen, Tatsachenberichte damit wir sie glauben können. Glaube steht aber immer wieder auf dem Prüfstand. Der „Abergeist“, der nicht glauben kann – der Zwilling in uns, der immer nach Beweisen sucht, regt sich immer wieder. Durch die Erzählung über den Apostel Thomas lernen wir, dass wir Zweifel nicht verdrängen oder unter den Tisch kehren müssen – Zweifel dürfen ausgesprochen werden. Um Antworten darf gerungen werden.
In der Apostelgeschichte wird erzählt: „Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Wenn ich an unsere pfarrlichen Streitigkeiten denke, die Spaltungen der christlichen Kirchen, die Zerwürfnisse z.B. über die Erklärung des Glaubensdikasteriums zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, kommen bei mir auch Glaubenszweifel in Bezug auf die geschilderte Erzählung der Apostelgeschichte auf. Da tut sich das Bedürfnis auf, so traute Gemeinschaft erst einmal zu sehen, um daran glauben zu können.
Der erste Johannesbrief der zweiten Lesung ist bereits in einer Zeit entstanden, als die praktischen Probleme in den Gemeinden aufkamen, mit vielen Herausforderungen, die wir bis heute kennen. Vielleicht kann uns die Antwort aus dem Brief auch heute Mut und Zuversicht zusprechen, manche Unbegreiflichkeiten der Kirche auszuhalten. „Denn jeder der Gott zum Vater hat, besiegt die Welt. Und es ist unser Glaube, der diese Welt besiegt hat. Aber wer kann diese Welt besiegen? Nur der, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist“ (1 Joh 5,4-5). Wir dürfen daran glauben, dass Jesus auch heute durch verschlossene Türen kommt bzw. sich von ihnen nicht aufhalten lässt – weder von Türen in Pfarren und Diözesen noch von jenen im Vatikan.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem ersten Johannesbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
2 Kommentare zu “Durch verschlossene Türen gehen 1. Lesung: Apg 4,32-35| 2. Lesung: 1 Joh 5,1-6| Evangelium: Joh 20,19-31”
Vielen Dank für die Auslegung zum heutigen Evangelium.
Die Bedeutung des Zwillings , der inneren Ambivalenzen habe ich bisher so nicht verstanden.
Deshalb: vielen Dank!
Herzliche Grüße Franz Lummer
Vielen Dank für die sehr lebensnahe
Auslegung des Evangeliums.