Ein Geschenk 1. Lesung: Dtn 5,12-15| 2. Lesung: 2 Kor 4,6-11| Evangelium: Mk 2,23-3,6
Die Lesung aus dem Buch Deuteronomium ist ein Teil des Dekaloges, der zehn Gebote. Dazu einige Hintergründe und Überlegungen:
Einen Ruhetag in der Woche zu haben – sei es der Sabbat für die Juden, der Sonntag für die Christen, der Freitag für die Muslime – verdanken wir dem Judentum. Es ist in allen Gottesvorstellungen ein einmaliger Gedanke, dass Gott ruht und zur Begründung wird, dass der Mensch ebenso ruhen soll. Es ist zugleich eine besondere Erfahrung, dass das Ruhen einen Menschen keinesfalls ärmer werden lässt gegenüber jenen, die sieben Tage durcharbeiten. Vielmehr dient es ihrer Stärkung, Resilienz und Widerstandskraft.
Das Gebot entstand in der Krisenzeit der babylonischen Gefangenschaft. Israel litt große Not. Sie lebten als Fremde, Unterdrückte und Versklavte. Das Sabbatgebot ist alles andere als eine Frucht einer Zeit des Wohlstandes, der Freiheit, der Sicherheit und des Überflusses. Es gibt immer wieder Stimmen aus Wirtschaftskreisen, die meinen, man könne sich den freien Sonntag nicht (mehr) leisten. Das Gegenteil ist der Fall. Wir dürfen und müssen uns den Sabbat, den Ruhetag leisten, damit der Mensch und die Menschlichkeit nicht auf der Strecke bleiben. Das Sabbatgebot richtet sich zutiefst gegen die Entmenschlichung.
Es hat auch eine enorme soziale und ökologische Komponente. Der Sabbat ist allen Menschen aufgetragen, nicht einfach privilegierten Personen, wie: den Religiösen, den Autoritäten oder den Reichen, die sich einen freien Arbeitstag in der Woche natürlich immer leisten könnten. Im Gebot heißt es: Gewähre das Recht auf den Sabbat deinem Sohn und deiner Tochter, deinem Sklaven und der Sklavin. Im Buch Exodus ist ebenso der Fremde, der im Land wohnt erwähnt (Vgl. Ex 20,10). Das biblische Sabbatgebot ist nicht nur als Recht zu verstehen, dass jemand für sich in Anspruch nehmen darf, sondern ebenso als soziale Verpflichtung, dass den umgebenden Menschen, den Mitlebenden zuzugestehen ist.
Das Sabbatgebot ist umfassend im Sinne von ökologisch und nachhaltig. Es schließt ein, dass die Ruhe auch den Tieren, dem Vieh und der gesamten Schöpfung zukommen soll. Vor mehr als 2 500 Jahren haben sich die Gebote herausgebildet. Über die Aktualität lässt sich nur staunen, wie sehr sie etwa die Achtung, ja Hochachtung gegenüber allem Geschaffenen enthalten. Gewähre den Tieren und der gesamten Schöpfung Ruhe und Erholung. Achte darauf, dass alles zur Ruhe kommen kann.
Es lohnt sich dem Anliegen des Sabbatgebotes ein wenig nachzugehen. Der Begriff „Sabbat“ heißt übersetzt „Unterbrechung“. Man kann es verstehen als Unterbrechen des Alltagtrottes, der Arbeit, des Problemwälzens, der Hektik und des Stresses. Es ist ein in die Mitte kommen, ein Aufschauen, ein Durchatmen, ein Staunen über all die Dinge, die in der Natur und durch der Hände Arbeit geworden sind. Es ist ein Bewusstwerden dessen, was nicht selbstverständlich ist. Ein erholsamer Schlaf ist ein Teil davon, aber das Verschlafen des Ruhetages entspricht nicht dem Anliegen des Sabbatgebotes.
Das Sabbatgebot steht in Verbindung mit einer großen Hoffnung. Wie bereits erwähnt entstand das Gebot während der Krise der babylonischen Gefangenschaft. Es herrschte das pure Chaos. Israel war der Willkür der Eroberer ausgesetzt. Man kann sich vorstellen, dass es ihnen nicht von heute auf morgen gestattet wurde, als Sklavinnen und Sklaven keine Arbeit zu tun und den Sabbat zu halten. Das Gebot leitete einen Prozess des Widerstandes ein. Damit Widerstand Erfolg hat, ist er auf Gemeinschaft, auf geistigen und geistlichen Rückhalt angewiesen.
Zugleich verbirgt sich im Gebot die Hoffnung, dass das gegenwärtige Chaos ein Ende nehmen wird. Das Ziel Gottes mit dem Volk ist ein in die Ruhe kommen. Wir sind Woche für Woche eingeladen uns daran zu erinnern, worauf das Leben abzielt, nämlich einmal ganz in der Ruhe Gottes sein zu dürfen.
Die Schöpfung ist vollendet, wenn sie in die Ruhe kommt. Solange es Krieg, Chaos, Zerrissenheit und Angst gibt, ist sie noch nicht ans Ende gekommen. Der Sabbat – die Ruhe des Sonntags – ist der Ausblick, worauf unser Leben zugeht. Ich bin einmal einer Familie begegnet, die hatte sich vorgenommen den Sonntag möglichst frei von Tadel, Streitgesprächen und Konflikten zu gestalten. Zugleich mühten sie sich das zu sehen, was im Alltag oft untergeht, unbeachtet und unbedankt bleibt. Es war ihre Weise den Sonntag, die Unterbrechung zu leben.
Hören wir nochmals die Begründung des Gebotes: „Gedenke, dass du Sklave warst in Land Ägypten und dass dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen“ (Dt 5,15).
Der Sabbat soll begangen werden, weil er das Grundanliegen hat, die Freiheit der Menschen zu wahren und das Leben selbst zu gestalten. Jede und jeder weiß, wie leicht man zum Sklaven werden kann. Wir leben in einer Welt, in der es eine Unzahl von Möglichkeiten gibt, sich mit Themen, „Banalitäten“ und Ablenkungen zu beschäftigen, aber einer kritisch-lernenden Auseinandersetzung mit sich selbst weicht man aus. Stichwort: Freizeitstress. Manche drohen zu Sklaven der digitalen Technik und der sozialen Medien zu werden und meinen, sie können ohne sie nicht mehr sein. Sie sind hilfreich und erleichtern in vielen Bereichen das Leben, aber der Umgang damit ist wohl noch zu lernen. Ich nehme mich nicht aus. Wir sind ja erst am Beginn einer Entwicklung.
Den Sabbat, den Sonntag begehen, um frei zu bleiben oder frei zu werden. Es ist ein Geschenk.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Deuternonómium anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
3 Kommentare zu “Ein Geschenk 1. Lesung: Dtn 5,12-15| 2. Lesung: 2 Kor 4,6-11| Evangelium: Mk 2,23-3,6”
Wie verhält es sich nun aber mit der Lesung Dt und dem Evangelium Mk?
Danke!
Wie verhält sich die Lesung aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 5,12-15) mit dem Evangelium aus Markus (Mk 2,23 – 3,6)?
Die Gebote werden eingeleitet: “Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus” (Dtn 5,6). Die Präambel der Gebote besagt, dass die folgenden Gebote im Dienste der Freiheit, Gerechtigkeit und Würde des Menschen stehen. Dienen sie nicht der Freiheit und Würde verlieren sie ihre Bedeutung. Die Pharisäer glaubten, würden alle sich an einem Sabbat an die Gebote halten, dann würde der Messias kommen und sie alle von der Knechtschaft (auch politischen) befreien. Für sie war das Einhalten der Gebote wichtiger als der Mensch in seiner Situation. Für Jesus heißt es, dass es den Sabbat nicht entheiligt, wenn Menschen (Jünger) ihren Hunger stillen. Nochmals: Die Gebote stehen im Dienste der Würde und Freiheit der Menschen. Sie sind nicht dazu da die Menschen zu knechten.
Mir scheint, dass weder die Jüdinnen und Juden (unsere “älteren Geschwister” im Glauben), noch wir (die Christinnen und Christen des zweiten Testamentes) die wirkliche und wahrhaftige Bedeutung dieses “Geschenkes Gottes” verstanden haben. Ist nicht die Idee, dass Gottes Kommen in die Welt durch die vollkommene Einhaltung der Gebote geradezu “erzwungen” werden könne, schon ziemlich schräg? Und wenn ich unsere heutige, aktuelle, quasi-christliche und realgesellschaftliche Sonntags(un)kultur betrachte, bleibt von der in der Predigt wunderschön herausgearbeiteten heilsamen, befreienden Radikalität eines der Freiheit und Würde der ganzen Schöpfung zugesprochenen Gottesgeschenkes auch nicht mehr viel übrig … Dennoch: Es ist eine Freude, die Erinnerung an das “Gegenbild” lebendig werden zu lassen. In diesem Sinne: Der nächste Sonntag kommt bestimmt … :-))