Ein Leben für die Schafe 1. Lesung: Apg 4,8-12|2. Lesung: 1 Joh 3,1-2|Evangelium: Joh 10,11-18
Es ist ein vertrautes Evangelium: Jesus als der gute Hirte. Es ist ein Auszug aus einem längeren Gespräch mit den Pharisäern in Folge der Blindenheilung. Die Pharisäer können nicht glauben, dass die Heilung durch Jesus rechtens ist. Sie halten Jesus wie auch den Blindgeborenen für einen Sünder. Es ist zugleich ein Gespräch am Übergang zur Passion, zum Leiden Jesu. Wir finden hier das Verständnis, in welcher Weise Jesus seinen weiteren Weg geht und worauf es ihm letztlich ankommt.
Ich konzentriere mich dabei auf zwei Verse: „Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10,17f).
Im Wissen um die Liebe des Vaters gibt Jesus sein Leben hin. Er lässt sich von dieser Liebe tragen und diese Liebe soll in allem, was er denkt, redet und tut, bis zuletzt durchscheinen. Soweit mag es für uns gut nachvollziehbar sein, aber dann kommt die Zufügung: Um das Leben wieder zu nehmen. Jesus gibt das Leben hin aber er nimmt es auch wieder.
Es kommen hier mehrere Aspekte zum Tragen: Ein erster: Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Wer nichts gibt, erhält auch nichts zurück. Wenn Menschen sich keine Zeit für Mitmenschen – Partner, Kinder, Eltern, Freunde … – nehmen, kein Mitgefühl entwickeln oder auch das eine oder andere materiell nicht teilen, deren Leben verliert. Es ist ein Geheimnis (Gesetz) des Lebens: Was ein Mensch auf irgendeine Weise gibt oder teilt, kommt früher oder später auch wieder zurück.
Ein anderer Aspekt: Jesus gibt sein Leben hin, aber er schlüpft nicht in eine Opferrolle. Er lässt mit sich nicht alles machen. Er nimmt nicht alles schicksalhaft an, was auf ihn zukommt. Er gestaltet weiter seinen Weg, sein Leben. So geht er bewusst wieder nach Jerusalem, obwohl die Jünger vor den zu erwartenden Gefahr warnen (Joh 11,7). Er weiß um den Verrat des Judas und dennoch gibt es von ihm keinen Versuch, Judas daran zu hindern. Er wünscht ihm auch nichts Böses (Joh 13,21-30). Er sagt dem Petrus voraus, dass er ihn verleugnen wird, ohne beleidigt zu wirken oder mit ihm zu brechen (Joh 13,38).
Dann wehrt sich Jesus, als er von einem Soldaten geschlagen wird: Für welches Unrecht schlägst du mich? (Joh 18,22). Vor Pilatus stehend stellt er verschiedene Dinge klar, etwa: Du handelst nicht aus eigener Macht, sondern weil sie dir von oben gegeben ist (Joh 19,11). Du urteilst, ohne die Wahrheit zu kennen (Joh 18,37f).
Jesus gibt sein Leben nicht aus der Hand. Er gestaltet das Leben bis zuletzt – diese Liebe des Vaters bezeugend. Das lässt er sich nicht nehmen.
Wir hören sogar, dass er neues Leben ermöglicht, bzw. sich um die Zukunft von Menschen sorgt, die unter dem Kreuz stehen, seine Mutter und jener Jünger, den er liebte. Zu ihnen sagt er: „Frau, siehe dein Sohn! … Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26f).
Das Leben zu geben und das Leben zu nehmen ist jenen geschenkt, die in der Liebe bleiben. Selbst in dieser schwierigen Situation lässt sich Jesus davon leiten. Es gibt immer wieder Menschen, die einen solchen Weg gehen oder gegangen sind. Ich bin an Menschen erinnert, wie: Madeleine Debrél, Anne Frank, Etty Hilesum, Provikar Carl Lampert, Maximilian Kolbe oder Dietrich Bonhoeffer. Es zeichnet sie aus, dass sie selbst in schwierigsten Situationen an der Liebe festgehalten haben.
Nochmals: Jesus befindet sich in einem Gespräch mit den Pharisäern. Sie werfen ihm vor, ein Sünder zu sein, weil er sich nicht so an die Thora – das Gesetz – hält, wie sie es verstehen. Er hatte am Sabbat geheilt. In ihren Augen ist er ungehorsam.
Der Gehorsam an sich muss noch keineswegs gut sein. Das Markusevangelium thematisiert das Phänomen eines dämonischen Gehorsams (Mk 5,21-43). Der Gehorsam Jesu ist an die Menschlichkeit oder auch Menschenwürde rückgebunden. Das Heil der Menschen steht über dem Gesetz.
Wir stehen in einem gesellschaftlichen und kirchlichen Umbruch. Es gibt personelle Veränderungen – weniger Theologinnen und Theologen, ebenso weniger Priester. Der Religionsunterricht wird ausgedünnt und immer mehr an den Rand gedrängt. Es gibt die Konkurrenz von Sinnanbietern. In manchen Fragen kämpfen wir in der Kirche mit der Glaubwürdigkeit: im Umgang mit den Frauen, in der Frage der Nachhaltigkeit.
Wenn wir da nochmals auf die eingangs erwähnte Bibelstelle zurückkommen: Ich habe Macht, das Leben hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Jesus sieht für sich Verantwortung. Er übernimmt Verantwortung. Er tut das, was in seiner Macht steht. Das Heil der Menschen steht ihm über dem Gesetz. Das Heil der Menschen steht auch über den Gesetzen der Kirche.
Was beim Gehorsamsverständnis Jesu zu bedenken ist: Es geht ihm nicht um seinen Vorteil, oder um Zugewinn von Macht. Er gibt sein Leben für die Schafe; für jene, die selbst wehrlos und der Willkür der Gesetzeslosen ausgeliefert sind. Für sie gibt er sein Leben, auch wenn ihm Ungehorsam vorgeworfen wird.
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