Ein spiritueller Weg 1. Lesung: Ex 16,2-4.12-15|2. Lesung: Eph 4,17.20-24|Evangelium: Joh 6,24-35
Die sonntäglichen Schriftstellen sind kurze Ausschnitte aus langen Geschichten oder Erzählungen. Viele dieser kurzen Episoden, Fragmente – oft unvollständig aus längeren Zusammenhängen herausgerissen – haben bereits tiefe Lebensweisheiten zum Inhalt. Was durch das Lesen der kurzen Abschnitte aber verborgen bleibt ist der große Erzählzusammenhang, den generationsübergreifenden Erfahrungsschatz, die ein einzelner Mensch in einem kurzen Leben nie erfassen kann, beziehungsweise die über Jahrhunderte andauernde Wirkungsgeschichten von Einzelereignissen.
So sagt Gott dem Abraham zu, dass er Vater eines großen Volkes werden wird. Er selbst erlebt nur die Geburt zweier Söhne, des Ismael und des Isaak. Ein anderer Aspekt des Abraham: Der zugesagte Segen Gottes wirkt bis auf den heutigen Tag nach.
Die Bibel hat wichtigen Anteil daran, dass der Mensch aus der Steinzeit in die Moderne gekommen ist. Es ist ein langer Weg. Es ist ein spiritueller Weg. Ohne geerdete Spiritualität fällt der Mensch in eine Steinzeit zurück.
Ich möchte am Beginn hervorheben, dass ich die Lebenskunst der frühen Menschen hochachte. Ich weiß nicht, ob viele der heutigen Menschen das Überleben schaffen würden, müssten sie mit den Voraussetzungen von damals zurechtkommen. Ein Leben mit wilden Tieren, ohne Strom, ohne Krankenhäuser u.a.m. Ich für mich hätte große Sorge. Kriege, Bürgerkriege oder Katastrophen können Menschen sehr rasch in solche Zeiten zurückführen.
Die Bibel beschreibt den langen Weg aus Ägypten – aus der Knechtschaft und Sklaverei, der Unfreiheit und des Todes – ins gelobte Land. Jenes Land, in dem Milch und Honig fließen. Moses ist vierzig Jahre mit seinem Volk auf dem Weg – ein Leben lang. Vom Berg Nebo blickt er auf das gelobte Land (Dt 34,1-9) und stirbt dann. Er erlebt es nicht mehr.
Die Bibel beschreibt diesen langen Weg als einen Weg durch die Wüste. Es ist manchmal ein äußerst mühsamer Weg. Durst, Hunger, Schlangenbisse plagten sie. Dann kamen sie in Gegenden, in denen die Bewohner Israel das Durchziehen verweigerten und sie zu Umwegen gezwungen waren. Es gab auch Zwist und Streit innerhalb des Volkes, die das Weitergehen beschwerlich machten. Das Volk klagte Mose und seinen Bruder Aaron an: Wären wir doch in Ägypten geblieben, wo wir genug zu essen hatten. Dass es den sicheren Tod bedeutet hätte, vergessen sie. Bei Israel wurde nämlich jede männliche Geburt getötet (Ex 1,16).
Der Weg ins gelobte Land hat mit Spiritualität zu tun, einer Spiritualität, die z.B. in der Exoduserzählung aufleuchtet. Jeder Weg aus Knechtschaft, Sklaverei oder Tod gelingt nie als unmittelbaren Schritt ins gelobte Land, sondern es ist zunächst ein Weg durch die Wüste, mit Hitze am Tag, Kälte in der Nacht, mit Durst und Hunger, kurz: ein Weg mit Entbehrungen, Rückschlägen, Enttäuschungen und Verzicht.
Es wird auch den Weg aus der Klimakrise betreffen. Dieser Weg ist als ein Weg durch die Wüste anzudenken. Wenn sich Dinge wie Lebensgewohnheiten, eingespielte Abläufe und Annehmlichkeiten ändern oder gar ändern müssen, weil sie tödlich sind, wird es dennoch Stimmen des Protestes und Widerstandes geben. Viele werden Verlust und Rückschritt bejammern. Es wird Kämpfe um Fragen geben: Wer muss, soll oder kann mehr oder weniger zum Vorwärtskommen beitragen? Wer ansagt, es gehe ohne Verlust, der macht die Herzen hart. Harte Herzen – Steinzeit!
Der Weg aus Knechtschaft und Tod ins gelobte Land ist ein Weg durch die Wüste. Es ist eine Generationen übergreifende Erfahrung. Mose und Aaron bekommen die Widerstände und die Not der Menschen zu spüren. Sie werden mit Vorwürfen und Forderungen konfrontiert.
In der Schriftstelle sind es nicht Mose und Aaron, die eine wirkliche Antwort auf die Not der Menschen hätten. Es ist schließlich Gott, der am Abend die Wachteln und über Nacht das Manna schenkte und damit für das Weiterkommen und Überleben sorgte. Nicht zu übersehen ist der Hinweis, dass die Menschen selbst die Wachteln und das Manna zu sammeln haben. Es ist kein Zurücklehnen und Abwarten des Volkes. Das Mühen und die Beteiligung eines jeden, einer jeden ist gefragt.
Der Weg durch die Wüste stellt sich in der Bibel als ein Zusammenspiel dar:
Mose und Aaron: als Vorausgehende und doch oft Ohnmächtige.
Das Volk: dem Leidensdruck nachgebend, oft depressiv, resignierend; den Frust an Mose und Aaron abladend.
Gott, der Lebendige: der letztlich der Garant ist, dass das Volk auf dem Weg bleibt – allem Versagen von Mose und Aaron zum Trotz und allen Widerständen und rückwärtsgewandten Tendenzen des Volkes zum Trotz. Es ist ein spiritueller Weg.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Exodus anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Ephesus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
3 Kommentare zu “Ein spiritueller Weg 1. Lesung: Ex 16,2-4.12-15|2. Lesung: Eph 4,17.20-24|Evangelium: Joh 6,24-35”
Lieber Erich,
vielen Dank für Deine Gedanken. Mir fällt dazu ein Wort des Dichters Rainer Maria Rilke ein: “Du bist das Wunder in der Wüste, das Ausgezogenen geschieht. ”
Von der bequemen Wohnzimmercouch aus, wo ich alles per Mausklick im Internet bestellen kann, ist Gottesbegegnung kaum möglich. Dort mache ich Amazon zu meinem Götzen!
Erst im Verzicht, erst in der Besinnung auf das Wesentliche, also der Wüste, begegne ich dem “Lebendigen”.
Ohne Verzicht, ohne Hunger und ohne Sehnsucht ist keine Begegnung möglich. Verzicht führt nicht in die Steinzeit, wie der junge Kanzler Kurz meint, sondern ins wahre Leben und in das Wesentliche.
“Wer ansagt, es gehe ohne Verlust, der macht die Herzen hart. Harte Herzen – Steinzeit!” oder “…kurz: ein Weg mit Entbehrungen, Rückschlägen, Enttäuschungen und Verzicht” – für solche Worte, Gedanken, Sätze bin ich dankbar. Sie kommen mir – im besten Sinn des Wortes – richtungsweisend vor: Nicht nur, weil sie deutlich Stellung beziehen und ‘kurz’-sichtige, politisch motivierte Stimmenfängerei, ordentlich gegen den Strich bürsten; sondern – vor allem – weil sie Menschen, ganz unabhängig von ihrer Weltanschauung, an ihre tiefste Bestimmung erinnern: Die Wahrheit zu sagen und sie zu tun! Oder, mit anderen Worten: Menschen WAHR- und ERNST zu nehmen. Der Verzicht auf Gewalt und und ineins mit ihr, auf die Lüge, eröffnet gute Wege – in eine Zukunft, an deren Schwelle wir tagtäglich stehen …
Lieber Erich,
deine Gedanken bewegen. Der Mensch der Gegenwart lässt sich, so scheint es, nur noch beeindrucken, wenn er “in die Wüste” gezwungen wird. Seien es die Viren in ihren unterschiedlichsten Formen, oder die Schlammmassen, hervorgerufen durch unkontrollierbare Regenfälle, oder durch Waldbrände, jetzt noch in südlichen Regionen und dem damit verbundenen Klimawechsel. Oder auch durch die Erkenntnis, dass der Mensch, dessen Grundbedürfnisse nicht mehr gedeckt sind, sich auf den Weg machen muss, um diese (lebenserhaltend) zu bekommen. Wenn sich der Blickwinkel des (wohlhabenden) Menschen erst auf Druck ändert, laufen wir Gefahr, alle in der Wüste “stecken zu bleiben”.