Eine bunte Jüngerschaft 1. Lesung: Gen 3,9-16| 2. Lesung: 2 Kor 4,13-5,1| Evangelium: Mt 3,20-35
Wir haben das Bedürfnis, in Gemeinschaften mit Menschen, die mit uns Interessen und Anliegen teilen, Zeit zu verbringen. Vielleicht kennen wir dieses Erlebnis aus dem Bereich des Ehrenamtes. Als leidenschaftliches Mitglied der Feuerwehr oder des Roten Kreuzes treffe ich in meiner Freizeit auf Gleichgesinnte. Menschen, mit denen man was bewegen mag und kann. Großes geschieht durch solche ehrenamtlichen Vereine oder durch NGOs. Es sind bunt zusammengewürfelte Menschen, die sich im Alltag vielleicht kaum begegnen würden, weil sie aus ganz unterschiedlichen Milieus stammen, andere Berufe ausüben, unterschiedlichen Hobbies und Freizeitaktivitäten frönen oder andere Arbeitszeiten haben.
Noch vor wenigen Jahren zählten auch die Pfarren zu solch bunten Treffpunkten. Wenn wir um uns blicken, erkennen wir, dass nun aber ganz viele Menschen fehlen, z.B. Menschen im Schicht- und Wechseldienst. Die Pfarren sind auf das Milieu der bürgerlichen Mitte zusammengeschrumpft. Vielfalt ging verloren. Vielleicht mag es daran liegen, dass die Pfarrstruktur wie wir sie heute kennen, genau dem Familienbegriff Jesu zuwiderläuft.
Als Pfarre werden meist rechtlich und geografisch abgegrenzte Gemeinschaft von Gläubigen mit Leitung durch einen Pfarrer bezeichnet. Die organisatorischen Belange im Amtsbezirk eines Pfarrers werden von einem Pfarramt ausgeführt. Unsere heutigen Strukturen gehen nicht unwesentlich auf Josef II. zurück. Damals wurden die Pfarrgrenzen neu gezogen. Jede Ortskirche sollte über eine Wegstrecke von höchstens einer Stunde für jedes Gemeindeglied erreichbar sein; für rund 500 Gläubige sollte eine Kirche zur Verfügung stehen. 1939 schuf das Hitler-Regime das Kirchenbeitragsgesetz. Nach dem Ende des Krieges wurde es beibehalten.
Von einer als Verwaltungsbezirk, als Territorialpfarre oder als steuereintreibende Behörde verstandenen Kirche fühlen sich immer weniger Menschen angesprochen.
Gemeinden, die sich um Sprachminderheiten oder Katholiken aus Diasporagemeinden formieren, finden dagegen regen Zulauf. Dort treffen Menschen aufeinander, die sich freuen, die gemeinsame Muttersprache pflegen, Rituale und Bräuche üben zu können.
Auch sogenannte Personalpfarreien gewinnen an Boden. Die Zugehörigkeit ist nicht vom Wohnsitz abhängig, vielmehr finden sich dort Menschen ein, die freiere Formen von Gottesdiensten gestalten wollen und experimentell auf die Sorgen und Nöte von Menschen reagieren möchten.
Dann gibt es noch die kategoriale Seelsorge. Wir kennen sie meistens als Krankenhaus- oder Militärseelsorge. Auch hier gibt es eine steigende bis kontinuierliche Nachfrage.
Man kann also nicht sagen, dass Gemeinschaften von Gläubigen per se an Bedeutung verlieren würden. Dort, wo Menschen in den Blick genommen werden und sie sich mit Gleichgesinnten auf dem Weg wissen, wird Gemeinschaft im Glauben gelebt. Man könnte auch sagen: Wo wie von Gott dem Andren die besorgte Frage gestellt wird: Wo bist du? – da fühlen sich Menschen dankbar angesprochen. Wenn man sich dort niederlässt, wo Orte, Zeiten und Feierformen zu den Bedürfnissen der Menschen passen, kreiert sich Gemeinde.
Unsere Gesellschaft ist vielfältig an Interessen und Bedürfnissen geworden. Das Bedürfnis nach zugesprochener Freiheit ist groß. Derzeit ist die kirchliche Antwort die gleiche wie vor mehreren hundert Jahren: die Einordnung in eine Verwaltungsstruktur und Formalismen.
Für Kleinkinder gibt es sogenannte Steckkästen. Sie sind angehalten, Dreiecke in den Steckplatz für Dreiecke einzufügen, Quadrate in den quadratischen Steckplatz usw. Damit soll ihr Verständnis für Raum und Form, ebenso das logische Denken geschult werden. Bei der Kirche habe ich derzeit den Eindruck, dass man nicht zu Kenntnis nehmen will, dass Dreiecke eben nicht in die ausgestanzte Form von Quadraten passen.
Jesus wählte für seine Jüngerschaft einen bunten Haufen aus. Vielfalt ermöglicht Diskurs und Weiterentwicklung, alles andere führt zu einer Verengung. Jesus lädt zu einer freien Suche von Gleichgesinnten auf. Das ist keine Absage an die eigene Familie, aber neben der Familie darf es auch eine selbstgewählte Gemeinschaft von Gleichgesinnten geben, die sich nicht an der Abstammung, der Herkunft oder an einer Sprengelkultur orientieren muss. Der tschechische Theologe Tomáš Halík meint, dass das Ziel von Mission nicht sei, „neue Kirchenmitglieder zu rekrutieren, um sie in die bestehenden mentalen und institutionellen Grenzen unserer Kirche zu pressen, sondern über diese Grenzen hinauszugehen und mit ihnen in gegenseitigem Respekt und in einem gegenseitig bereichernden Dialog den nächsten Schritt auf dem Weg zu Christus zu machen, der größer ist als unsere Vorstellungen von ihm“.
Wie es Gott ein Anliegen war, aus dem Sklavenhaus in die Freiheit zu führen, so verweist auch Jesus auf die Freiheit der eigenen Entscheidung. Der Heilige Geist ist dabei die diskursive (begründende) Rückbindung an das Gesetz, sie dient nicht einer sturen Auslegung nach dem Motto: so wurde es schon immer gemacht, sondern sie ruft zu einer Verheutigung auf.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Génesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korínth anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.