Familienbande 1. Lesung: Gen 15,1-6;21,1-3| 2. Lesung: Hebr 11,8.11-12.17-19| Evangelium: Lk 2,20-40
Wir feiern das Fest der Heiligen Familie. Es ist ein junges Fest. Es wurde im 19. Jahrhundert eingeführt mit dem Anliegen, besonderes Augenmerk auf die christliche Familie zu legen. Eine unmittelbare biblische Begründung hat das Fest nicht, denn Maria, Josef und Jesus werden in der Bibel nie Familie genannt. Wir haben zwei Evangelisten – Matthäus und Lukas –, die uns über die Kindheit Jesu erzählen. Es geht dabei weniger um das Familienleben als solches als vielmehr um Jesu Berufung und Sendung von Anfang an. Das heutige Evangelium macht dabei deutlich, dass Maria und Josef nur eingeschränkt von dieser Berufung und Sendung ahnen. Es sind andere, die ihnen Deutendes zu ihrem Kind erzählen: die Hirten, die Waisen aus dem Morgenland und die prophetischen Menschen wie Simeon und Hannah.
Vielleicht wurde das Bild der Heiligen Familie in der Verkündigung manchmal sehr idealisiert gezeichnet. Es ist für die Anschlussfähigkeit hinderlich. Ich meine damit, dass es Menschen schwerfällt, die Heilige Familie inspirierend für ihre Familie, ihr Familienleben zu sehen. Ich versuche einige Anregungen zu formulieren:
Es wird schlicht festgehalten: Maria und Josef bringen das Kind in den Tempel, um ihr Opfer darzubringen. Sie gehen in den Tempel, um ihren Dank auszudrücken. Es ist eine Gabe Gottes, nicht einfach „gemacht“. Es ist letztlich ein Geschenk Gottes. Kinder sind ferner nicht einfach ein Besitz der Eltern. Man kann über sie nicht wie einen Gegenstand verfügen. Kinder sind Eltern anvertraut, um sie zu begleiten, mit ihnen zu wachsen und zu reifen.
Maria und Josef bringen das Kind in den Tempel, um die Zukunft des Kindes Gott anzuvertrauen. Die Zukunft eines Kindes ist offen. Wir können über sie nicht verfügen. Wir sind eingeladen, sie mit dem Segen zu begleiten, das heißt alles zu tun, um ihnen bestmögliche Voraussetzungen mitzugeben, damit sie das Leben bestehen. Kinder segnen: Vertrauen haben, sie vertrauend begleiten, helfen, ihre Berufung – ihren Beruf – zu finden, ihnen Kraft zur Resilienz – Spiritualität – mitgeben, ihnen Mutter und Vater sein. Eltern sind oft Reibebaum, aber damit auch Halt und Rückhalt.
Es gibt ein afrikanisches Sprichwort: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf. Als Jesus zwölf Jahre alt ist, nehmen ihn die Eltern mit nach Jerusalem. Auf dem Rückweg ist es für die Eltern eine Selbstverständlichkeit, dass Jesus mit anderen auf dem Weg sein wird (Lk 3,44). Eine Familie genügt sich nicht. Sie bedarf der Beziehungen nach außen. Es macht eine Familie stark, wenn sie in andere Beziehungen eingebettet ist.
Wir wissen auch von Jesus, dass er Schwestern und Brüder hatte. Er sprengt allerdings diese Banden der Familie, wenn er sagt: Wer den Willen des Vaters tut, ist mir Mutter, Schwester und Bruder (Mt 12,50). Es wird zu einem Wesensmerkmal seiner Botschaft und in der Folge in der jungen Kirche, dass sich die Mitglieder – Frauen und Männer – als Schwestern und Brüder begegnen. Ob Frei oder Sklave, beziehungsweise Magd, ob Frau oder Mann, ob Jude oder Grieche – alle sind sie in Christus eins, bringt es Paulus auf den Punkt (Gal 3,28). Eine Herkunftsfamilie kann für ein Kind nicht alles leisten und sie muss auch nicht alles leisten.
Maria, Josef und Jesus wird von der Kirche als heilige Familie gezeichnet. Heilig ist die Familie nicht deswegen, weil alles glatt, klar und eindeutig gewesen wäre. Sie erlebt Brüche, Verwundungen, Verletzungen und kennt auch das Leben mit offenen Fragen. Es ist Gott – das Wirken des Heiligen Geistes –, der der Familie Bestand gibt und der dafür Sorge trägt, dass die Wunden und Verletzungen heilen können. Als Josef erfährt, dass Maria schwanger ist, will er sie zunächst verlassen. Er ist irritiert, wohl auch Maria. Beim weiteren Nachdenken erscheint ihm im Traum ein Engel, der ihm Mut zuspricht, Maria und das Kind anzunehmen. Es ist ein Impuls von außen, woher dieser immer auch kam.
Als die Hirten auf Besuch kommen und erzählen, was ihnen die Engel gesagt haben, heißt es von Maria, dass sie über das Gehörte nachdachte und fragte, was es zu bedeuten habe. Anschließend wird gesagt: Sie bewahrte es in ihrem Herzen. Etwas salopp formuliert kann gesagt werden: Sie versteht nicht. Sie kann es im Moment nur mitnehmen – im Herzen. Sie will es nicht zerreden, auch keine Gerüchte streuen. Sie lebt mit einer offenen Frage.
Auf der Hochzeit zu Kana hören wir Jesus zur Mutter sagen: Was willst du von mir Frau? (Joh 2,4). Die Worte klingen hart, distanziert, forsch. Wir können nur ahnen, dass das Verhältnis Mutter-Sohn oder Sohn-Mutter nicht fiktionsfrei war. Es ist ein weiter Weg für beide, als Maria neben dem Jünger, den er liebte, unter dem Kreuz stehen und von Jesus die Worte kommen: Frau, siehe da, dein Sohn. Siehe, deine Mutter (Joh 19,26f). Diese heilsamen Worte sind möglich, weil sie eine Verbundenheit weit über die Herkunftsfamilie hinaus erschließen.
Zum Schluss möchte ich ein Thema zur weiteren Überlegung mitgeben: In Todesanzeigen lesen wir oft: Wir haben im Familienkreis von einem Verstorbenen, einer Verstorbenen Abschied genommen. Es mag Gründe für einen solchen Abschied geben. Es ist allerdings auch hier zu überlegen, ob die Familie nicht weiterzudenken ist. Jede Person hat Beziehungen über die Familie hinaus. Es gibt daher über die Familie hinaus das Bedürfnis des Abschieds nehmen Könnens.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Genesis anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Familienbande 1. Lesung: Gen 15,1-6;21,1-3| 2. Lesung: Hebr 11,8.11-12.17-19| Evangelium: Lk 2,20-40”
Lieber Erich,
ja es mag Gründe geben, Abschied im engsten Familienkreis zu nehmen. Als aber meine Frau kürzlich verstarb, hatten wir in der Familie schon im Vorfeld diesen Gedanken “im engsten Familienkreis” beizusetzen, nicht für gut empfunden. So planten wir die Urnenbeisetzung (neben Totenwache und Auferstehungsgottesdienst) in derselben Woche an einem dritten Tag ein. Die hohe Anteilnahme und vor allem die dankbaren Rückmeldungen von jenen, welche die ersten Tage des Abschiednehmens nicht wahrnehmen konnten, war für uns eine Genugtuung und ganz im Sinne der Verstorbenen.