Freundschaftsbesuch bei Ijob: Ein kleines Lehrstück des Versagens Erläutert von Klaudia Engljähringer
Ein bisschen Glück in seinem Unglück hat Ijob doch: seine Freunde aus guten Zeiten sind nicht von der Sorte, die den Weg ans Krankenlager scheuen. Elifas, Bildad und Zofar tun sich zusammen und kommen von weit, um Ijob „ihre Teilnahme zu bekunden und ihn zu trösten“ (2,11), und sie setzen einen starken Beginn. Ihr Freund ist kaum wiederzuerkennen, da trauern sie. Sie verstehen sich aufs Bleiben, sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie bei Ijob auf der Erde. Dabei erfassen sie den sehr großen Schmerz und versagen sich jedes Wort (2,11–13).
Dann beginnt Ijob zu reden (Ijob 3), nicht übers Wetter. Er verflucht die Nacht, in der er gezeugt, den Tag, an dem er geboren wurde, und wünscht sich mehr als alles den Tod, der Ruhe brächte vor der Mühsal des Lebens. Er fragt, warum Gott einem wie ihm weiterhin „Licht und Leben“ (3,20) gebe und ihn so zum Ausharren zwinge.
„Wenn man ein Wort an dich versucht, wird es dich kränken? Doch Worte zurückhalten, wer könnte das?“ (4,2). So beginnt Elifas seine erste Entgegnung, Auftakt dreier Zyklen von Rede und Widerrede zwischen Ijob und jedem einzelnen seiner drei Freunde (Ijob 4–31).
Wie Ijob sind seine Besucher theologisch bewandert. Sie berufen sich öfter darauf und spannen einen Schirm auf gegen das Chaos, von dem Ijobs Reden kündet, und in dem vertraute und Vertrauen gebende religiöse Vorstellungen verschlungen werden. Elifas, Wortführer der Gruppe, zieht ihn gleich in seiner ersten Rede hervor: „So wie ich es gesehen habe: Die Unheil pflügen und Mühsal säen, die ernten es“ (4,8). Dahinter steht die im Lauf der Auseinandersetzung immer deutlicher und direkter gegen Ijob verwendete umfassendere Theorie, dass ein Gott wohlgefälliges Leben immer und ausschließlich Segen zeitige in der harten Währung von Reichtum, Kindersegen und Gesundheit; und dass umgekehrt der Verlust oder das Ausbleiben dieser Prämien den sicheren Schluss zulasse, dass persönliches Vergehen und Schuld vorliege.
Im Sinn dieser Logik bemühen sich die drei Freunde, Ijob dazu zu bewegen, von seinen für sie unerträglichen, umstürzlerischen Reden abzulassen und zum Gott ihrer Vorstellung hin umzukehren, um dafür mit der Rückkehr in sein einstiges Leben belohnt zu werden (etwa Zofar in 11,13–20).
Ijob ist keinen Moment versucht, den vermeintlichen Rettungsschirm zur Hand zu nehmen. Ihn trägt (zurecht) das ganze Buch lang die Gewissheit, dass sein Geschick nicht in einem Schuldzusammenhang zu sehen sei. Doch er kaut an der Frage, wie es sein könne, dass Gott „umsonst“ (etwa 9,17), also ohne einen Anlass seinerseits, wie ein Feind gegen ihn vorgehe.
Darüber hinaus haben die drei Freunde aber nichts anzubieten. Mit Beginn der Auseinandersetzung verlassen sie die Unmittelbarkeit freundschaftlicher Begegnung und ziehen sich zurück in die Rolle der mehr Wissenden und Belehrenden: „Siehe, dies haben wir erforscht, so ist es. Höre es doch, und merke du es dir!“, beendet etwa Elifas seine erste Rede (5,27). Ijob weist ihren Anspruch zurück, etwa 13,2: „Soviel ihr erkannt habt, habe ich auch erkannt, ich stehe nicht hinter euch zurück.“ Seine Appelle, zu ihm umzukehren (6,28f; 21,5), Erbarmen zu haben (19,21), ihn zu hören und zu ertragen (21,2f), verhallen unerhört.
Immer schärfer drängen die drei Ijob in die Rolle eines Schuldigen. Heißt es anfangs etwa noch: „wenn Böses in deiner Hand ist, so entferne es und lass in deinen Zelten kein Unrecht wohnen“ (11,14 in Zofars erster Rede), saust gegen Ende und wider besseres Wissen (s. Elifas in 4,2–3) in Elifas dritter Rede gleichsam der Knüppel aus dem Sack: „Ist nicht deine Bosheit vielfältig und ohne Ende deine Schuld? Denn du pflegtest deinen Bruder ohne Grund zu pfänden, und die Kleider zogest du den Nackten aus. …“ (22,4–11).
Physisch gezeichnet durch seine Krankheit und die Schicksalsschläge davor, war Ijob für seine Besucher beim anfänglichen Näherkommen schwer zu erkennen gewesen. Jetzt sind sie es, die ihn bis zur Unkenntlichkeit entstellen, in seiner Persönlichkeit, durch ihre Verdächtigungen und Unterstellungen. Aus Freunden werden Verfolger („Warum jagt ihr mir nach wie Gott und könnt von meinem Fleisch nicht satt werden?“, 19,22), die einer dürftigen Theorie mit allen Mitteln Geltung verschaffen wollen, um so zu verhindern, dass die Welt aus den Fugen gerate, in die sie aber noch nie gepasst hat: Ijob spricht mehrmals (etwa Kapitel 21 und 24) von denen, die sich um Gott und seine Wege nicht scheren, und es doch weit bringen, Glück erfahren, Nachkommen sehen, in Ehren sterben; von jenen, die rücksichtslos und unbehelligt das Recht des Stärkeren ausleben. Und er warnt, Gott habe keine Freude mit Zeugenaussagen, die ihn um den Preis verfälschter Wirklichkeit begünstigten (13,7–10); damit behält er recht (42,7f).
Als sie von „all diesem Unheil, das über ihn gekommen war,“ (2,11) gehört hatten, waren die Freunde zu Ijob aufgebrochen; am Ende haben sie es vermehrt. Sie hatten die Absicht zu trösten und seinen sehr großen Schmerz erkannt. Jetzt wehrt sich Ijob gegen die „Tröster der Mühsal“ (16,2), deren Angriffe auf seine Integrität den Schmerz vergrößern (etwa 19,2: „Wie lange wollt ihr meine Seele plagen und mich mit Worten zerschlagen?“).
Im dunklen Zuschauerraum vor der Lehrbühne, auf der die vier streiten, sitzt derweil die Leserschaft und weiß von Anfang an ein entscheidendes bisschen mehr als die Akteure: Ijobs Leidensgeschichte hat mit Schuld nichts zu tun (1,6–12; 2,1–7). Die Frage, wer recht hat, fesselt keinen. Lesende, die vom Beginn des Ijobbuches herkommen, bleiben frei zu verfolgen, wie die Figuren sich entwickeln und ihr Streit, wie sich die eingebrachten theologischen Sätze und Lehren machen, ob sich in ihnen selbst dabei etwas bewegt.
Klaudia Engljähringer
Bibeltheologin und Krankenschwester, Innsbruck
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/18 publiziert worden.