Führe uns nicht in Versuchung 1. Lesung: Gen 9,8-15 | 2. Lesung: 1 Petr 3,18-22 | Evangelium: Mk 1,18-22
Der Geist führte Jesus in die Wüste. Es gab vor wenigen Wochen eine öffentlich geführte Diskussion über die Vaterunser-Bitte: Führe uns nicht in Versuchung. Ich darf diese Bibelstelle als Anlass nehmen, auch darauf einzugehen.
Zunächst zum Verständnis der Bibelstelle selbst: Dieser Versuchungserzählung unmittelbar voraushaben wir bei Markus die Taufe Jesu. Da hört er die Stimme: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich gefallen gefunden.
Unmittelbar darauf folgt die Feststellung: Der Geist treibt Jesus in die Wüste. Und: Er wurde vom Satan in Versuchung geführt. Markus hat dann keine weitere Beschreibung der Versuchung, etwa aus Steinen Brot zu machen, alle Reiche der Welt zu erhalten, sollte er den Versucher anbeten oder geschützt zu bleiben, wenn er von der Zinne des Tempels springt. Markus zielt auf ein anderes Thema ab: Mit Satan ist jene Stimme gemeint, jener Ankläger, die einem Menschen zu verstehen gibt oder geben will, dass er vor Gott nicht genüge, dass er vor Gott nicht bestehen kann. Es ist jene Stimme, die einem Menschen vorhält, dass das, was du tust, zu wenig, zu gering ist. Du taugst nicht.
Es ist praktisch jene Stimme, die in Frage stellt, was Jesus bei der Taufe zugesagt wurde: Geliebter Sohn zu sein, an dem Gott Gefallen gefunden hat. Der Satan arbeitet daran, das Vertrauen zu zerstören, ein von Gott Geliebter zu sein.
Vielleicht kennen wir ähnliche Situationen. Wie sehr kann es zu schaffen geben, wenn jemand das Gefühl hat, niemand versteht mich, niemand mag mich wirklich. Niemand ist da, der zu mir steht. Es sind „Wüstenzeiten“, in denen unterschiedlichste Fragen bohren. Gerne mischen sich Fragen hinzu: Soll ich nicht alles hinschmeißen? Soll ich überhaupt etwas tun oder weitermachen?
Markus beschreibt es so: Jesus lebte unter wilden Tieren. Es sind damit nicht so sehr die Wölfe, Schakale, Füchse, Schlangen, Hyänen, Skorpione u.a. Tiere der Wüste gemeint, sondern mit diesem Bild sind angesprochen alle feindlichen Stimmen, Vorhaltungen, Verdächtigungen, Unterstellungen, Klagen, Anklagen …, die Menschen widerfahren, die in und aus der Gottes- und Nächstenliebe leben.
Und zugleich heißt es: Engel dienten ihm. D.h. Jesus erlebt zugleich, dass in den ganzen Auseinandersetzungen, die ihm da begegnen, es die anderen Kräfte gibt, die anderen Stimmen und Menschen, die ihm Mut machen, die ihm beistehen, die ihn mit Kräften unterstützen, die einfach da sind, wenn es notwendig ist.
Es ist die Erfahrung Jesu von Anfang an: Wer sich im Namen Gottes auf den Weg macht, wird in die Wüste geführt, erlebt Widerstand und Anfeindungen, erlebt aber ebenso Engel, das Dasein von unterstützenden Menschen, Kräften und Mächten.
Gestärkt durch diese Wüstenerfahrung geht Jesus nach Galiläa, nachdem man seinen Freund Johannes ins Gefängnis geworfen hat. Er geht dahin mit der kraftvollen Botschaft: Das Reich Gottes ist nahe. Glaubt dem Evangelium. Glaubt der guten Botschaft.
Nun zurück zur Vaterunser-Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung.“ Der Evangelist Mk hält zunächst fest: Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt und versucht. Er lässt Gott nicht einfach aus der Verantwortung.
Man hört immer wieder, dass es doch nicht sein kann, dass Gott Menschen versucht, ihnen Böses will? Dazu eine Bemerkung: Es ist nicht ganz einfach im Ein-Gott-Glauben das Böse zu erklären. Wenn man das Böse personifiziert mit Vorstellungen von einem Teufel als Gegenspieler Gottes, dann befinden wir uns in einem Zwei-Gott-Glauben, im Dualismus. Die Bibel hat als Bild für das Böse – und das seit Gen 1 – das Chaos, das Tohuwabohu. Der Schöpfungshymnus in Gen 1 entsteht in der babylonischen Gefangenschaft. Israel erlebt eine sogenannte „böse“, chaotische Situation: der Verlust des Tempels, der Priesterschaft, der Zerstörung Jerusalems und der Deportation nach Babylon. Sie sind als Gefangene, als Sklaven in einem fremden Land. Es ist für Israel das Chaos. Aus dieser Welt schafft Gott eine neue. Der Schöpfungshymnus stellt Bilder der Hoffnung auf: Gott ordnet das Chaos, gibt allem seinen bestimmt Ort, ordnet die Zeit, ordnet das Leben. Und schließlich: Es wird der Tag kommen, wo alles zur Ruhe, zum friedvollen Dasein kommt.
Der biblische Mensch kann die Versuchung und das Böse nicht so ohne weiteres einem Teufel oder Gegenspieler Gottes zuschreiben, weil damit der Ein-Gott-Glaube auf dem Spiel stände. Noch ein weiteres Anliegen steht dahinter: Wenn Gott es ist, der in die Versuchung führt, dann muss ich auch sehr vorsichtig sein, überhaupt Schuldige fürs Böse zu suchen.
Der biblische Mensch ist gehalten, nicht so sehr gegen sogenannte böse Menschen vorzugehen, Schuldige zu suchen, sondern mit Gott zu hadern, ihn in die Verantwortung zu nehmen. Er ist es, der uns solche Menschen, solche Situationen zumutet. Er möge uns den Geist und die Kraft geben, mit solchen Menschen und Situationen umzugehen, bzw. fertig zu werden.
Das Vaterunser ist sehr vielschichtig, in seinem Gehalt sehr tief und weit. Bei dieser Bitte darf ich auf einen weiteren Aspekt aufmerksam machen: Nicht nur der einzelne Menschen, sondern ganze Gruppen, bzw. eine ganze Gesellschaft kann versucht werden, wie es z.B. vor dem 2. Weltkrieg mit dem Aufkommen der Nazi-Bewegung passiert ist. Keine Gesellschaft ist vor solchen Versuchungen gefeit. Diese Vaterunser-Bitte bedenkt auch diesen Aspekt, bzw. enthält die gemeinsame Bitte, als ganzes Volk nicht auf einen solchen abartigen Weg zu gelangen.
Jesus hat in der Wüste Glauben gelernt, Vertrauen in und auf Gott zu haben. Vielleicht steht uns als Kirche auch eine solche Wüstenzeit bevor oder sind schon mitten drin. Es sind uns von Gott zugemutete Umstände. Schuldige und Verantwortliche für dieses Chaos zu suchen, wird uns nicht weiterführen. Vielleicht gilt es die dienenden Engel unserer Zeit sehen zu lernen und vor allem dem Evangelium zu trauen.
Ein Kommentar zu “Führe uns nicht in Versuchung 1. Lesung: Gen 9,8-15 | 2. Lesung: 1 Petr 3,18-22 | Evangelium: Mk 1,18-22”
Im Evangelium des letzten Sonntags wurde uns berichtet wie Jesus betete: „In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging an einen einsamen Ort, um zu beten“. Diese Vorgang des Gebetes war damals im Judentum typisch. Man betete in der Stille zu Gott und brachte mit eigenen Worten Sorgen, Nöte und Dank vor Gott. Standardisierte Gemeinschaftsgebete – mit Ausnahme der Psalmen – kannte man damals noch nicht. Wenn in der Predigt dieses Sonntags auf das Vaterunser Bezug genommen wird, muss man sich vor Augen halten, dass nicht nur der Inhalt beachtenswert ist, sondern auch der Umstand, dass es eines der ersten – wenn nicht überhaupt – der erste gemeinsame Gebetstext einer jüdischen Gemeinde war.