Gebetshaus für alle Völker 1. Lesung: Jes 56,1.6-7| 2. Lesung: Röm 11,13-15.29-32| Evangelium: Mt 15,21-28
Der Sabbatbeginn am Freitagabend an der sogenannten Klagemauer in Jerusalem ist ein eindrückliches Ereignis. Aus aller Welt strömen Juden zusammen, um zu beten. Allerdings nicht nur Juden, denn es ist allen Menschen erlaubt und möglich, an dieser ehemaligen Tempelmauer zu beten. Es spiegelt die Vorstellung, die der Prophet Jesaja im Blick auf den Tempel formulierte, nämlich der Tempel als einen Ort, an dem alle Völker, d.h. Menschen mit unterschiedlichen religiösen Vorstellungen gemeinsam beten.
Die Worte, die wir als Lesung von Jesaja gehört haben, fallen in die Zeit am Ende der babylonischen Gefangenschaft. Die Juden dürfen aus der Verbannung zurückkehren. Sie sind aufgefordert die Stadt Jerusalem mit dem Tempel neu aufzubauen. Jesaja bringt sich in die Diskussion ein: „…mein Haus – der Tempel – wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt“ (Jes 56,7). Diesen Gedanken gilt es auf dem Hintergrund zu bedenken, dass es im Judentum keinen Missionsauftrag, wie dies bei Christen oder Muslimen der Fall ist, gibt. Das Missionieren ist ihnen fremd. Sie üben sogar gegenüber Menschen, die übertreten wollen, große Zurückhaltung.
Wenn Jesaja sagt, mein Haus soll ein Gebetshaus für alle Völker sein, bricht er mit der Vorstellung, dass Gott, der Herr, für das Volk Israel allein da sei. Als die Erwählten Gottes hegten sie einen Alleinanspruch. Jesaja stellt ihn in Frage. Der Tempel soll nach seinen Vorstellungen zu einem Ort werden, an dem alle Völker – die Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen von und über Gott – beten können. Der Prophet blieb damals ungehört.
Im Evangelium hörten wir von Jesus, der über die Grenze Israels hinausgeht, ins heidnische Gebiet von Sidon und Tyrus. Er begegnet einer Frau, die ihn bittet, er möge doch ihre Tochter heilen. Jesus ist zunächst dem gut jüdischen Denken verhaftet und lehnt ab. Ich bin nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt. Erst die Beharrlichkeit und das gute Argumentieren der Frau stimmen ihn um. Er heilt die Tochter, einen Menschen außerhalb des Judentums. Die Begegnung mit einem konkreten Menschen, mit einer konkreten Not hat ihn verändert. Wie so oft wird das Umdenken erst durch eine Begegnung mit einer konkreten Person in einer konkreten Notlage veranlasst. Auch Jesus lernt: Gottes Heilshandeln geht über Israel hinaus. Auch die Heiden stehen in Gottes Sorge.
Interessant ist, dass am Ende seines Wirkens Jesus die Gedanken des Jesaja aufgreift, nämlich nach dem Einzug am Palmsonntag bei der Tempelaustreibung. Er treibt die Händler und Geldwechsler hinaus und erklärt: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker sein“ (Mk 11,15ff). Nach dem Markusevangelium zitiert Jesus Jesaja wortwörtlich. Bei Evangelisten Matthäus – das sei zur Ergänzung hinzugefügt – fehlt das „für alle Völker“, da steht nur ein Haus des Gebetes. Er schreibt vorwiegend an Judenchristen und schwächt die Provokation ab.
Jesus sieht den Tempel wie Jesaja als Gebetshaus für alle Völker. Das war die große Provokation: Der Tempel als ein Gebetshaus für alle Völker. Warum? Der Tempel stand in der Mitte der Tempelanlage. Er war umgeben von einer Stiege mit drei Stufen und einer Balustrade, die die mehrmalige Aufschrift trug: Bei Todesstrafe ist es den Heiden verboten hindurchzugehen.
Jesus will den Tempel für alle Völker offen sehen, als einen Ort des gemeinsamen Gebetes. Die Balustrade mit der Aufschrift wird überflüssig. Diese Ansage Jesu führt zum endgültigen Todesbeschluss der Schriftgelehrten, der Priesterschaft und des Hohen Rates. Sie sehen darin einen Verrat am Glauben: der Tempel als Gebetshaus für alle Völker.
Vielleicht ist hier etwas festzuhalten: Die Theologie wird nie die Einheit im Glauben schaffen. Die Diskussionen über Gott werden keinen gemeinsamen Nenner finden. Das war auch Papst Johannes Paul II. bewusst. Er hat deshalb 1986 Vertreter der Weltreligionen zu einem gemeinsamen Friedensgebet nach Assisi eingeladen. Es zählt zu seinen größten historischen Zeichen, das er gesetzt hat und die Kirchengeschichte nachhaltig prägen wird. Ferner besuchte er als erster Papst die Synagoge in Rom, um mit Juden zu beten und eine Moschee in Damaskus, um einige Minuten in Stille zu verharren.
Ökumene zwischen den Religionen kann vermutlich nur im gemeinsamen Gebet gelingen. Wahres Gebet verbindet und ist nicht geeignet, Trennendes zu schaffen. Wir können es nur fördern und begrüßen, wenn es an den Schulen zum Jahresbeginn und -ende gemeinsame, religiöse Feiern, gemeinsame Gebete gibt. Auch das gemeinsame Gebet will gelernt sein.
Es war die Vision des Jesaja, ein Haus des Gebetes für alle Völker zu haben. Jesus griff den Gedanken bei der Tempelaustreibung auf. Ein tragfähiges, friedvolles Miteinander bedarf des gemeinsamen Gebetes und des Dialoges der unterschiedlichen Religionen. Niemand hat die Wahrheit als Besitz. Sie findet sich im Dialog und Gebet.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten: