Geliebte Söhne 1. Lesung: Gen 22,1-18 | 2. Lesung: Röm 8,1b-34 | Evangelium: Mk 9,2-10
Es sind zwei Erzählungen, die nicht ganz leicht zu verstehen und zu deuten sind, die aber enge Bezüge haben und große Glaubens- und Lebensweisheiten erahnen lassen. Bezüge sind: jeweils geliebte Söhne: Isaak und Jesus. Es wird auf einen Berg gegangen, ein Hinweis für besondere Ereignisse. Beide tragen Holz auf dem Rücken. Es ist jeweils von einer Wolke die Rede, Zeichen für die Gegenwart Gottes, die erahnt, vielleicht sogar gesehen, aber niemals greifbar wird.
Ich gehe zunächst auf die erste Erzählung ein: das Isaakopfer. Die Erzählung entstand in einer Zeit, in der Israel im Umfeld Menschen- bzw. Kinderopfer erlebt. Es gab sie in Jerusalem im Hinnomtal bis ins 6. Jht. v. Chr. Wir erleben hier religionsgeschichtlich einen riesen Schritt. Die Erzählung stellt sich mit aller Kraft gegen diese Praxis der Menschen- bzw. Kinderopfer. Sie demonstriert, dass Gott solche nicht will. Es treten die Tieropfer an dessen Stelle. Es ist dann der Prophet Jesaia (Jes 1), der auch die Tieropfer in Frage stellt und dagegen hält, dass die Sorge um Recht und Gerechtigkeit, das Gott loben und danken als gottgefälliges Tun gilt. Gott bedarf keiner Opfer. Diese Entwicklung bedürfte einer eigenen, längeren Erläuterung.
Es wäre verfrüht und vermessen, wollten wir mit dieser Erkenntnis die Erzählung bereits beiseite legen. Sie ist weit vielschichtiger und berührt mehrere Themen. Welcher Vater oder welche Mutter hat nicht schon einmal bei einem Kind in einem Wutanfall gedacht, am liebsten würde ich die Tochter/ den Sohn an eine Wand „klepfen“? Da ist man bereits mitten in dieser biblischen Erzählung. Natürlich: das will Gott nicht. Kinder können die Eltern bis an die Grenzen fordern oder herausfordern. Natürlich halten sich normalerweise die Eltern zurück, vielleicht besteht die Gefahr der Gewalt am Kind. Die Erzählung beschreibt aber auf eindrückliche Weise z.B. den Loslösungsprozess eines Vaters von seinem Sohn. Abraham muss lernen, dass Isaak, sein einziger Sohn, den er so sehr liebt, nicht sein Besitz ist. Sie spricht von einem weiten Weg, den die beiden gehen. Ja, die Loslösung von einem Kind ist ein weiter Weg, ein Weg auf einen hohen Berg. Es ist anstrengend, herausfordernd, mit den unterschiedlichsten Gefühlswelten bepackt.
Kinderopfer – es gibt sie heute noch: Wenn Kinder als Kindersoldaten rekrutiert werden. Kinder, denen die Organe entnommen werden und mit denen weltweit gehandelt wird. Jede Sekunde stirbt ein Kind an den Folgen des Hungers.
Kinderopfer – es gibt sie auch bei uns: Kinder, die nicht erleben dürfen, dass sie geliebt sind. Kinder, die die Wünsche der Eltern zu erfüllen haben, die nicht ihren Weg gehen dürfen, sondern in Schulen und Berufe hineingedrängt werden, die sie überfordern. Kinderopfer – Kinder, die bemuttert und überbehütet werden und dadurch keine gesunde Selbständigkeit entwickeln können. So sehr das Handy ein Segen sein kann, so sehr kann es in der Eltern-Kind-Beziehung zum Fluch werden. Abraham muss das Loslassen seines einzigen und geliebten Sohnes lernen, nämlich jenes Loslassen, damit der Sohn Isaak sein Leben leben kann. Am Ende der Erzählung gehen beide zurück, Abraham lässt sich in Beerscheba nieder, so wird erzählt. Wo sich Isaak niederlässt, wird nicht angesprochen. Der Wohnort des Isaak bleibt offen. Es wird der Eindruck erweckt als wäre er nicht mehr bei Abraham. Er wohnt für sich.
Der letzte Schritt des Loslassens eines Kindes kann sehr schmerzlich sein, kann Eltern sogar erscheinen als würde ein Kind für sie sterben. Für die gesunde Entwicklung eines Kindes, braucht es vermutlich diesen Punkt. Schon öfter haben mir Eltern erzählt, dass sie einen solchen Punkt erlebten und es zugleich zu einer großen Wende in ihrer Eltern-Kind-Beziehung wurde. Durch diese Erfahrung hat die Beziehung zum Kind eine neue Qualität erhalten. Seit damals begegnen wir einander anders. Wir haben eine neue Gesprächsbasis gewonnen.
Es gibt heute Menschen, wenn sie diese Erzählung lesen oder hören, die große Mühe haben. Gott kann doch nicht so grausam sein und ein solches Opfer vom Vater, von Abraham fordern. Ich darf da eine Zwischenbemerkung machen: Um eine tiefe menschliche Einsicht niederzuschreiben, war es damals nicht möglich eine Abhandlung in der Länge eines Buches zu schreiben. Sie wurden in kurzen, ja in kürzesten, komprimierten Geschichten zusammengefasst. Das Grundanliegen der Erzählung ist: Gott will das Leben für den Sohn Isaak. Wie viel Unheil geschieht Kindern gegenüber, weil man es gut mit ihnen meint, weil man sie doch so sehr liebt, u.ä. Gott will das Loslassen. Gott schenkt ein Kind als Gabe und Aufgabe, aber nicht zum Besitz.
Am Beginn habe ich gemeinsame Elemente der beiden Erzählungen erwähnt. Der Tabor ist für Jesus eine Vergewisserung, dass er in dieser Freiheit „seines Vaters“ seinen Weg weiter gehen kann. Er, der für viele eigenwillig den Glauben lebt und bei vielen anstößt, bleibt von seinem Vater geliebt und dazu das Wort an die Mithörenden: Auf ihn sollt ihr hören.
Der Engel wendet sich nach der dramatischen Szene ein zweites Mal an Abraham und verheißt ihm Nachkommenschaft so zahlreich wie die Sterne am Himmel, bzw. so zahlreich wie der Sand am Meeresstrand. Dem aufmerksamen Leser oder Hörer fällt auf, dass sich die Verheißung an Abraham gesteigert hat. Vielleicht kann man die Sterne am Himmel noch zählen – es ist die ursprüngliche Verheißung -, aber den Sand am Meer ist wohl nicht mehr zu zählen. Mit anderen Worten: Das Loslassen wird Abraham zum Segen, zur Fülle. Das gilt nicht nur Abraham, sondern allen Eltern.
Loslassen, damit das Kind leben kann. Loslassen, um selbst Segen und Fülle zu erfahren, die von Gott kommen. Loslassen – wir haben das heute auch als Kirche notwendig. Die Bilder von Kirche und Pfarre, wie wir sie bisher hatten, gilt es loszulassen, damit eine junge Kirche wächst, die Zukunft hat, die zum Segen ist und in der neue Fülle geschenkt wird.
Ein Kommentar zu “Geliebte Söhne 1. Lesung: Gen 22,1-18 | 2. Lesung: Röm 8,1b-34 | Evangelium: Mk 9,2-10”
Abraham trifft nach dieser Aktion offensichtlich nicht mehr auf seine Frau Sara. Er blieb in Beerscheba wohnen. Einige Zeilen später wird vom Tod Saras in Hebron berichtet. Abraham kam nach Hebron um die Totenklage für Sara zu halten. Ob Isaak nach Hause zu seiner Mutter gegangen ist und ihr von dem traumatischen Ereignis erzählt hat, wissen wir nicht. Gott hat die Mutterschaft Sara’s ein zweites Mal gerettet. Wie jede andere Mutter in so einer Situation war sie vermutlich stink sauer auf Abraham.
Noch etwas fällt auf: Abraham hat offenbar bei beiden Söhnen eine etwas ungewöhnliche Vorgehensweisen. Isaak wollte er bereitwillig opfern und Hagar schickt er mit Ismael lediglich mit Brot und einem Schlauch Wasser auf den Weg. Eine Verpflegung, die nicht weit reichen wird. Gott hörte Ismael schreien und half. Von den Schreien Isaaks lesen wird nichts. Wir wissen nur, dass es ihm verständlicherweise eigentümlich vorkam, ohne Opfertier Brennholz tragen zu müssen. Nachdem Abraham den Sohn binden musste, wird sich Isaak wohl gewehrt haben. Vielleicht wurde Gott ja auch in diesem Fall von den Schreien des Sohnes zur Hilfe alarmiert.