Gelobtes Land 2019 1. Lesung: Num 6,22-27| 2. Lesung: Gal 4,4-7| Evangelium: Lk 2,16-21
Es ist fester Brauch, dass wir uns in diesen Tagen für das kommende Jahr alles Gute und Gottes Segen wünschen. Es sind zwei Aspekte, die diese Wünsche begleiten. Mit meinen Wünschen bringe ich einerseits einem Menschen gegenüber zum Ausdruck, dass ich ihm oder ihr gut sein will und andererseits, dass vieles im Leben nicht machbar ist. Vor allem die wichtigsten Dinge des Lebens brauchen zwar unser Zutun, sie sind aber letztlich Geschenk: Freundschaft, Frieden, Vertrauen, Liebe, Geborgenheit, ja in besonderer Weise das Leben selbst. Glaubenden ist zugleich bewusst, dass wir nicht einfach auf ein dunkles Schicksal zugehen, sondern es ist die Zukunft, in der uns Gott entgegen kommt. Die Bibel beschreibt es mit Bildern. Vor uns liegt das Reich Gottes. Vor uns liegt das gelobte Land. Die Frage ist: Ob wir in dieses gelobte Land des kommenden Jahres einziehen (wollen) oder nicht?
Wir haben im I. Testament zwei Erzählungen über Kundschafter, die das gelobte Land mit der Frage erkunden, ob das Volk einziehen kann oder nicht? Bei der ersten Erzählung aus dem Buch Numeri (Num 13,1-33) wird berichtet, dass die Kundschafter das Land von Süden bis Norden durchschreiten. Sie schauen es genau an, ob es gut oder schlecht ist. Sie bringen sogar Früchte mit. Vielleicht erinnern sie sich an die Bilder, auf denen Männer mit großen Weintrauben zu sehen sind. Sie erzählen, es ist wirklich ein Land in dem Milch und Honig fließen. Dann folgen Diskussionen über Gefahren und es entstehen Gerüchte, dass das Land von übergroßen Riesen bewohnt sei, sie dagegen wären so klein wie Heuschrecken. Ein Einzug wäre zu gefährlich. Das Volk bricht nicht auf.
Wir haben eine zweite Erzählung in Buch Josua (Jos 2,1-24). Da kommen die Kundschafter nach Jericho zur Dirne Rahab. Als die Bewohner Jerichos die Eindringliche bemerken und sie zu verfolgen beginnen, werden sie von Rahab versteckt und geschützt. Als diese Kundschafter zurückkehren und erzählen, was ihnen widerfahren ist, bricht das Volk am nächsten Morgen auf, durchschreitet den Jordan und nimmt das gelobte Land in Besitz.
Die Frage, die sich stellt: Was macht den Unterschied aus? Was lässt die einen aufbrechen und die anderen nicht? Was macht es möglich, dass das kommende Jahr zu einem Einzug ins gelobte Land wird oder nicht?
Die Erzählungen von den Kundschaftern weisen drei Unterschiede auf:
Ein erster: Bei der Erzählung der Kundschafter bei der Dirne Rahab kommt es zu einer Begegnung, zu einem Gespräch, in dem es zur Vergewisserung kommt, dass es das verheißene Land sei, das Gott ihnen zugesagt hat. In der anderen Erzählung kundschaften sie das Land und ihre Menschen genau aus, sie bringen sogar Früchte mit, aber diese Rückbindung, dass es sich um das verheißene Land Gottes handelt, dass es ein Land ist, dass Gott ihnen geben wird, bleibt aus: das Vertrauen in das Wort Gottes, in die Verheißungen Gottes.
Wir sind am Anfang eines Jahres und es liegt das gelobte Land vor uns. Es ist die Frage, mit welcher Haltung wir in das „Land des kommenden Jahres“ hinein gehen? Wir stehen vor einer Wahl. Aufbrechen heißt immer, dass wir ein „Land“ zurück lassen, dass wir Vertrautes und Gewohntes zurück lassen müssen als Einzelperson, als Familie, als Gesellschaft, als Pfarrgemeinde, als Kirche. Wir tun Schritte ins gelobte Land, wenn wir sie im Vertrauen tun, dass in dem, was uns an Aufgaben und Herausforderungen begegnen wird, wir Gott begegnen, er uns sein Angesicht zuwendet und er uns beschenken will. Für Glaubende liegt ein Jahr vor uns, in dem Milch und Honig fließen, ein Jahr, das uns gute Überraschungen, Freude und Erfüllung bereit hält. Ins gelobte Land geht, wer im Vertrauen geht, wir werden auch im kommenden Jahr aus der Zuwendung Gottes leben.
Ein zweiter Unterschied: In der Erzählung aus dem Buch Numeri mit den Früchten wird erzählt, dass sie das Land genau auskundschaften. Allerdings findet keine wirkliche Begegnung mit den Menschen des Landes statt. In der zweiten Erzählung kommt es zu einer ausführlichen Begegnung und tiefen Gespräch zwischen den Kundschaftern und der Rahab. Es werden bisherige Erfahrungen, sowie Ängste und Befürchtungen ausgetauscht. Schließlich wird darauf geachtet, dass beide – Rahab als Gastgeberin und die Männer als Kundschafter – eine gesicherte Zukunft haben. In der ersten Erzählung ist Folge der Beziehungslosigkeit, dass das Misstrauen ins Unermessliche wächst und die Menschen zu gefährlichen Riesen werden.
Ins gelobte Land kann einziehen, wer sich auf Begegnungen einlässt und diese gelingen. Wie oft habe ich schon gehört, meine Haltung gegenüber Menschen, die bei uns Zuflucht und Hilfe suchen, hat sich total verändert, seit ich ihnen begegnet bin, sie von ihren Erfahrungen erzählten. Das Land wird zu einem gelobten Land, wenn Menschen ihre Erfahrungen erzählen können, wenn Menschen einander nicht von oben herab, sondern auf Augenhöhe begegnen – seien es Kranke, Arbeitssuchende, bettelnde oder andere Menschen. Durch das Begegnen schwinden Ängste und wächst Verständnis füreinander. Man muss dabei nicht alles tolerieren, im Gegenteil, wenn man sich einander die Zukunft sichern hilft, dann dürfen auch Erwartungen formuliert werden, dann gilt es Grenzen zu definieren, dann braucht es Absprachen und Regeln. Im Begegnen, im sich füreinander interessieren eröffnet sich der Weg ins gelobte Land.
Schließlich ein drittes Element: Die Einziehenden überqueren den Jordan. Hinter dem Jordan liegt das gelobte Land. Jordan heißt auf Deutsch: „Von Dan herab“. Dan ist die Heimat des Stammes der Richter und liegt im Norden Israels mit den Jordanquellen. Jordan steht für den Fluss des Rechts und der Gerechtigkeit. Das gelobte Land als Land, in dem Recht und Gerechtigkeit gelebt und erfahren werden. Es ist ein Land der Solidarität, in dem geteilt wird, damit jede und jeder leben kann. Reichtum absichern – und mag er noch so wohl erworben sein – oder Privilegien erhalten wollen, hat schon gar nichts mit gelobtem Land zu tun.
Die Bibel schildert uns das heutige Palästina sowohl als gelobtes Land, in dem Milch und Honig fließen, aber auch als Kanaan, als Land der Demütigung und Unterdrückung. Es ist ein Land in dem beide Erfahrungen möglich sind.
Das kommende Jahr liegt als gelobtes Land vor uns. Die Erzählungen von den Kundschaftern führen uns vor Augen, welche Haltungen, Entscheidungen und welche Schritte es braucht, um gelobtes Land zu betreten.