„Herr Jesus Christus“ als urchristliches Credo Walter Kirschschläger erläutert die theologischen Aussagen
Die dreigliedrige Wendung „Herr Jesus Christus“ gehört zum Grundbestand unserer liturgischen Sprache. In abgewandelter Form wird sie mehrfach im Gottesdienst gesprochen, gerufen, gebetet – oftmals unbedacht, weil sie uns so geläufig ist. „Und an den Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn“ heißt der zweite Glaubensartikel im großen Glaubensbekenntnis. In diesem Dreiklang ist eine große Fülle theologischer Aussagen enthalten.
Der Name über allen Namen
Ausgangspunkt für eine Rückfrage kann die paulinische Verwendung sein. Paulus stellt der Kirche von Philippi das Christusgeschehen als Vorbild für die eigene Lebensgestaltung „in Demut“ vor Augen: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“, schreibt der Apostel (Phil 2,4.5) und zitiert im Anschluss daran ein sehr altes Christuslied, das in den judenchristlichen Raum schon um das Jahr 40 n. Chr. zurückzuführen ist (vgl. Phil 2,6–11). In diesem Zusammenhang begegnet erstmals dieser einzigartige „Name, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2,9) und der gegenüber allen Menschen proklamiert wird: Herr – Jesus – Christus. Die ursprünglichen Titel für Jesus von Nazaret verdichten sich so sehr, dass sie Namenselemente Jesu werden. Wie das gesamte Lied zeigt, geschieht dies nicht von ungefähr, sondern aufgrund des Lebens- und Todesweges Jesu. Diese Dreigestalt des Namens zeichnet sich vor allem durch dessen Urheber aus, nämlich Gott selbst. Die frühe Kirche erkennt schon wenige Jahre nach Tod und Auferstehung das Einzigartige am Schicksal Jesu und bekennt in hymnischer Sprechweise: Gott antwortet auf die Erniedrigung Jesu mit seiner Erhöhung. Sie kommt in der neuen – besser: in der erweiterten – Benennung Jesu zum Ausdruck. Diese bildet den Kern des urchristlichen Glaubensbekenntnisses. Sie lässt also erkennen, wie in der frühen Kirche über das Christusgeschehen gedacht wurde.
Jesus
Es ist wichtig zu beachten, dass mit Tod und Auferstehung der Mensch Jesus von Nazaret nicht in der Geschichte verschwindet oder aus dem Glaubensbewusstsein zurückgelassen wird. Jesus wird mit seinem ursprünglichen irdischen Namen in den Erhöhungsprozess miteinbezogen. Dieses menschliche Element bleibt also grundlegend. Der Name „Jesus“ wird nicht durch andere ersetzt, sondern dieser Name, nach biblischer Überzeugung ebenfalls von Gott zugewiesen (vgl. Mt 1,21; Lk 1,31; 2,21), wird durch zusätzliche Bezeichnungen ergänzt und erweitert.
Herr Jesus
Jesus als den Herrn, den „kyrios“ zu bekennen, ist nach paulinischem Verständnis Grundlage für die Rettung des Menschen (vgl. z. B. Röm 10,9). Denn ein solches Bekenntnis legt den Zugang zum scheinbaren Widerspruch des Ostergeschehens offen, das eben besagt, dass ein Gekreuzigter neu lebt. Dies kann nur möglich sein, wenn Gott in seiner einzigartigen Vollmacht handelt und den Gestorbenen zu neuem Leben ermächtigt (vgl. Apg 2,32). Für den vierten Evangelisten ist diese Ermächtigung des Sohnes über seinen Tod hinaus Ausdruck von Gottes Liebe (vgl. Joh 10,17–18), einer Beziehung also, die über den Tod hinaus reicht und die (mit Paulus) „nie aufhört“ (1 Kor 13,8).
Wer also Jesus als den Herrn bekennt, stellt sich unter die paradoxe Gegensätzlichkeit von göttlicher Torheit, die gegenüber menschlicher Weisheit die Oberhand behält (vgl. 1 Kor 1,18–25).
Die Erzählung von der Fußwaschung (Joh 13,1–17) vermittelt ein Selbstverständnis Jesu, das ihn gegenüber seiner Nachfolgegemeinschaft durchaus als „Herrn“ ausweist, verbietet aber zugleich, diese Bezeichnung im üblichen irdischen Sinne mit Machtgehabe zu verbinden (siehe auch Mk 10,41–45). Es hat vielmehr den Anschein, dass in diesem zum Namensteil gewordenen Titel die Umkehr des Leitungsmodells im jesuanischen Verständnis zum Ausdruck kommt und proklamiert wird: nicht Unterdrückung, sondern Dienen als Herrschaftsprinzip zur Unterscheidung der Nachfolgegemeinschaft Jesu in dieser Welt.
Schließlich gewinnt der griechische Begriff „kyrios“ (Herr) eine maßgebliche Bedeutungserweiterung. In der damals gebräuchlichen griechischen Übersetzung der Jüdischen Bibel steht „kyrios“ für den hebräischen Gottesnamen. Frau oder man mag sich also fragen, welche weitreichende Aussage die frühe Kirche mit der Übertragung des Kyriostitels auf Jesus von Nazaret vornimmt. Hier werden Spuren für das Bekenntnis „wahrer Gott und wahrer Mensch“ gelegt, welches das Konzil von Chalzedon 451 n. Chr. formulieren wird.
Herr Jesus Christus
Nach der übereinstimmenden Überzeugung der neutestamentlichen Schriften erfüllt sich in Jesus von Nazaret die jüdische Hoffnung auf das Kommen einer endzeitlichen, von Gott bevollmächtigten und gesandten Rettungsgestalt, eines „Gesalbten“ Gottes also. Die griechische Übersetzung „christos“ für die hebräische Bezeichnung „Messias“ entspricht der Verwendung dieses Titels für Jesus von Nazaret bald nach dem Ostergeschehen. Schon für Paulus ist sie selbstverständlich, sie bleibt es bis zu den Spätschriften des Neuen Testaments. In der lukanischen Vorgeschichte wird Jesus angesichts seiner Geburt von einem Engel des Herrn als „Christus, der Herr“ bezeichnet (Lk 2,11). Der Verfasser des Matthäusevangeliums interpretiert auf der Grundlage von Jes 7,14 den Jesusnamen mit dem Ziel der Feststellung: „Gott mit uns“ (Mt 1,21–23) und deutet so die Verbindung mit dem Kyriostitel an.
Damit schließt sich der Kreis. Der dreifache Name „Herr – Jesus – Christus“ enthält die Summe biblischer Christologie – sei es im Lobpreis, im Dank, im Bekenntnis oder in der Bitte – von Gott gegeben, und daher als eine Fülle.
Walter Kirchschläger, Em. Professor für Neues Testament, Luzern
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.