Im Auferstandenen dem Leben begegnen Josef Pichler erläutert Passagen des Lukasevangeliums
Blickt man mit dem Lukasevangelium auf das Wirken Jesu, so zeigt sich in seinem Leben und Handeln ein Grundzug, der für christliches Leben von entscheidender Bedeutung ist. Ostern bringt diesen auf den Punkt: Wer an den Auferstandenen glaubt, dessen Leben wird verwandelt, und diese Verwandlung zeigt sich nicht nur im Bekenntnis zum Auferstandenen, sondern auch in der eigenen Lebenspraxis. Davon erzählen Anfang und Ende des Lukasevangeliums:
Für Lukas findet die Geburt Jesu nicht im Zentrum des Römischen Reiches statt, sondern – im Gegenteil – am äußersten Rand der östlichen Provinzen Roms. Und dieses Zeichen, dieses Manifest der Zuwendung Gottes zu den Menschen, die am Rande stehen, prägt dann auch durchgängig das Wirken und die Botschaft Jesu: Sein Zugehen auf gerade jene, die vermeintlich die Heiligkeit Israels gefährdeten oder mit den römischen Machthabern kollaborierten, bildet die zuvorkommende, niemanden ausschließende Liebe Gottes ab. So demonstrativ daher die Hinwendung Jesu zu Sünderinnen und Sündern sowie zu Zöllnern bzw. Zollpächtern ist, so programmatisch ist sie zugleich. Dabei wurden besonders die Gastmähler Jesu mit religiös stigmatisierten Menschen von jesuanischen Zeitgenossen hart kritisiert. Jesus selbst aber sah in seiner bedingungslosen Liebe zu den Menschen eine Chance auf deren Veränderung und – letztlich – für Heilung. Und auch zu Ostern wird deutlich, dass sich das Jesusereignis von der Grenze her erschließt, weil an der Peripherie etwas erklärt werden kann, was auch für die Mitte des Glaubens von fundamentaler Bedeutung ist: Jesus stirbt einen gewaltsamen Tod, doch dieser Tod macht die göttliche Sendung Jesu nicht – wie auf den ersten Blick angenommen werden könnte – ungültig, sondern gerade in diesem tiefsten menschlichen Abgrund wird das Schicksal Jesu vom Heilsplan Gottes umfangen. Diese Einsicht soll im Folgenden an der Erzählung von den Emmausjüngern (Lk 24,13–53) expliziert werden. In dieser Erzählung erfahren zwei Personen, die tief um Jesus trauern und daher nur eine eingeschränkte Sicht auf die Lebenswirklichkeit haben, Trost und Zuwendung. Das geschieht in einer großartigen Erzählung, die für die lukanische Erzählkunst besonders aufschlussreich ist.
Da sind die beiden Jünger, einer davon heißt Kleopas, die sich auf den Weg machen und dabei über ihre zerstörten Lebenshoffnungen sprechen. An Jesus hatten sie sich ausgerichtet, und dann durchkreuzte sein schändlicher Tod all ihre Pläne. Sie sind zutiefst betrübt; immer wieder stellen sie die eine große Frage: Warum? In dieser Frage sind sie gefangen, ihr Hin- und Herüberlegen dreht sich im Kreis.
In dieses trost- und hoffnungslose Gespräch hinein gesellt sich der Auferstandene selbst. Doch sie können ihn zunächst nicht erkennen – „ihre Augen sind gehalten“, so wird ihre verengte Wahrnehmung bei Lukas beschrieben. Ihr Schmerz lässt es nicht zu, dass sie ihre Perspektive weiten. Aber der neue Gefährte tut ihnen gut, denn er fragt nach, was sie in ihren Gedanken verfolgt.
Und gerne, wenn auch nur bruchstückhaft, geben sie Auskunft. Mehr ist für sie nicht möglich. In dieser Situation erweist sich der Auferstandene als feinfühliger Therapeut. Er weiß mit Menschen in Leidenssituationen umzugehen und sie zu befähigen.
Und dann ein Wendepunkt: Der Auferstandene selbst legt die gesamte Schrift auf ihn hin aus. Der tragische Tod des Jesus von Nazaret, an dem laut Erzählung einige aus der jüdischen Elite, aber ganz wesentlich die Repräsentanten der römischen Herrschaft mitgewirkt haben, hat die Pläne Gottes nicht vereitelt. Gott treibt auch mit einem leidenden Messias seine Pläne voran. Sein Konzept ist nicht gescheitert. Die Hoffnung auf Heil muss nicht begraben werden. Diese Interpretation entspricht keineswegs dem damaligen Mainstream, aber es gibt einige, wenn auch wenige Schriftstellen, welche sie begründen können. In diesem Prozess der Schriftauslegung wird den Wandernden wohl ums Herz. Sie beginnen zu verstehen …
Der Verständnisprozess entzündet sich aber nicht nur an der Auslegung der Schrift, sondern auch an einer zentralen Geste des Auferstandenen, die tief zurückweist in das Leben des irdischen Jesus. Nachdem der Auferstandene von den beiden Jüngern eingeladen wurde, bei ihnen zu bleiben, nimmt er das Brot, spricht den Lobpreis, bricht das Brot und reicht es den Jüngern. Diese Gesten sind durch und durch eucharistisch geprägt, doch sie verweisen auch auf die Gastmähler Jesu, in denen er sich demonstrativ den Sünderinnen und Sündern zuwandte, um ihnen die barmherzige Liebe Gottes anschaulich zu machen. Und diese Einsicht wollen die beiden Jünger nun mit allen Jüngerinnen und Jüngern Jesu teilen. Daher laufen sie zurück nach Jerusalem.
In Jerusalem wird dann deutlich werden, dass das gesamte Leben Jesu Heilsbedeutung hat, und das hat Bedeutung für alle, die sich Jesus zugehörig fühlen. Alle, die sich an Jesus orientieren, sind nach dem Lukasevangelium nicht nur auf sein Kreuz fixiert, sondern auch auf seine Lebenspraxis hin ausgerichtet, denn in diese werden zu Ostern alle, die Jesus nachfolgen wollen, eingebunden. Von Erlösung Zeugnis zu geben, heißt daher nicht nur, Jesus als den Auferstandenen zu verkünden und zu bekennen, sondern wie Jesus fürsorgend, helfend, uneigennützig und heilend zu leben. Darin liegt das hohe Potential der Christusbeziehung. Sie hat Kraft, das gesamte Leben von Menschen zu verändern und zu verwandeln. Ostern ist daher nicht nur die Begegnung mit dem lebenden Christus, sondern auch die Begegnung mit dem Leben selbst.
Josef Pichler, Ao. Professor für Neues Testament, Universität Graz
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/19 publiziert worden.