Das Profil eines guten Hirten 1. Lesung: Apg 13,14-43b-52 | 2. Lesung: Off 7,9.14b-17| Evangelium: Joh 10,27-30
Als Jesus in Palästina wirkte, lebten über neunzig Prozent der Bevölkerung am Existenzminimum, entweder knapp darüber oder darunter. Viele litten Not und Hunger. Es durfte nichts passieren, sonst rutschten sie ins völlige Elend ab. Es waren ein bis zwei Prozent, denen es auf Kosten der großen Masse gut ging. Dass es zu sozialen Spannungen und Konflikten führte ist naheliegend. Die politische Situation war hoch explosiv und man wusste nie, wann der nächste Aufstand oder die nächste Revolution ausbrechen würde. 67. n.Chr. war es dann soweit.
Solche ähnlichen Umstände herrschten bereits in der früheren Geschichte Israels. Es war dann jeweils Anlass für den Auftritt von Propheten, wie in Ezechiel 34 oder Jeremia 23 zu lesen ist. Sie halten den Hirten – den weltlichen und religiösen Führern des Volkes – den Spiegel vor: Sie würden sich selbst weiden und es sich gut gehen lassen. Die Schwachen aber nicht stärken, Kranke nicht heilen, Verletzte nicht verbinden, Vertriebene nicht zurückholen, Verlorene nicht suchen. Eine weitere Kritik lautet, dass sie die Schafe, die Notleidenden mit Härte niedertreten und mit Gewalt gegen sie vorgehen.
Die Propheten künden an, dass Gott selbst zum Hirten wird und ER das Schicksal des Volkes in die Hand nimmt. Gott ist der „gute“ Hirte des Volkes – bis heute, d.h. Gewalt und Unmenschlichkeit haben keine langfristige Zukunft. In der Kirche ist es beinahe eine Versuchung, die Amtsträger sofort in der Rolle des Hirten, sogar des guten Hirten zu sehen. In der prophetischen Tradition ist zu beachten, dass es zunächst als Anfrage und Kritik auch an die „religiösen“ Amtspersonen zu sehen ist. Man darf fragen: Sind die Hirten und Hirtinnen vertraut mit der Stimme der Verarmten, der Notleidenden, der Ausgegrenzten und Verachteten, oder tragen sie möglicherweise zu ihrem Elend noch das Ihre bei?
Zu Recht wehren wir uns gegen das Bild von Schafen als Herdentier, das man für dumm hält und die schweigen sollen. In diesen prophetischen Texten ist allerdings das Schaf Bild für jene, die machtlos dem Treiben der Reichen und Mächtigen ausgeliefert sind und ihrer Gewalt nichts als ihr Leben entgegen zu setzen haben.
Beim Lesen der Prophetenkritik bin ich z.B. an jene frevlerische Politik erinnert, die die Lösung der Frage der Migration und Flüchtlinge in Gebiete verlagert, die von der Bevölkerung Europas nicht mehr eingesehen werden können, wie die Wüste Sahara mit ihren unendlichen Weiten oder die Lager in Libyen. Wie es diesen Menschen dort geht, bleibt verborgen. Man will es unsichtbar machen. Dieser Versuch mag bei der Bevölkerung Europas gelingen, nicht aber beim „guten Hirten“. Ferner wird den Hilfsorganisationen und NGO’s im Mittelmeer die Arbeit erschwert bis verunmöglicht und es gibt politische Versuche, sie zu kriminalisieren.
Es sind die Propheten, die daran erinnern, dass Gott selbst zum Anwalt dieser Menschen in Not wird. Er tritt gegen Unmenschlichkeit und Menschenverachtung an. Das Sonntagsevangelium ist ein Auszug aus einer längeren Rede über den guten Hirten. Jesus sieht sich in der Tradition der „prophetischen“ Hirten. Er ist es, der den Ausgegrenzten, Vergessenen, Namenlosen und Verachteten „ewiges Leben“ zuspricht. Sie werden nicht zugrunde gehen.
Der gute Hirt führt die Schafe auf die Weide. Es ist die Sorge um das Leben, um ein freies und gesundes Leben. Auf Weide führen heißt: es ist Arbeit vorhanden, es gibt ausreichend zu essen, es gibt Kleidung, es gibt Zeit für menschliche Muse und die Zeit, Beziehungen zu leben.
Jede und jeder ist gerufen, dem Nächsten gute Hirtin, guter Hirt zu sein! Die Amtsvollmacht an sich hat noch nichts mit einem „guten Hirten“ zu tun. Das Profil eines guten Hirten wird allein in der Lebensweise und in den Lebenshaltungen sichtbar.
Ein Kommentar zu “Das Profil eines guten Hirten 1. Lesung: Apg 13,14-43b-52 | 2. Lesung: Off 7,9.14b-17| Evangelium: Joh 10,27-30”
Sehr inspirierend!!