In die Mitte des Volkes 1. Lesung: Jer 31,31-34|2. Lesung: Hebr 5,7-9|Evangelium: Joh 12,20-33
An den letzten Sonntagen haben wir Texte über die unterschiedlichen Bünde Gottes gehört, zuerst mit der ganzen Menschheit und dann fokussiert auf das Volk Israel. Der Prophet Jeremia spricht nun von einem neuen Bund mit jedem einzelnen Menschen, der so zum direkten Bundespartner Gottes wird. Gott will mit diesem neuen Bund seine Weisungen in die Mitte des Volkes geben. Es sind die Gebote des Sinai gemeint, die ein ethisches und verantwortliches Leben in Gemeinschaft ermöglichen sollen. Als Mitte des Volkes sieht Gott den einzelnen Menschen. Dessen Handeln und Tun wird nun ausschlaggebend dafür sein, dass der Bund mit Gott und seinem Volk aufrecht bleibt.
Nur wenn ich mitten im Volk lebe, kann ich einen guten Blick auf die ganze Gemeinschaft und ihre Bedürfnisse, Nöte, Sorgen etc. haben und Verantwortung fühlen und übernehmen. Wenn ich mich als verantwortlichen Teil im Zentrum sehe, weiß ich, dass es auf mich ankommt. Derzeit können wir erleben, dass z.B. die Freiwilligen der Sanitätsdienste diese Verantwortung in unserer Mitte leben, wenn sie in ihrer Freizeit für Test- und Impfaktionen zur Verfügung stehen.
Gott schreibt uns seine Weisungen aufs Herz. Damit soll es uns ein inniges Anliegen werden, seiner Ethik zum Durchbruch zu verhelfen.
Der Bund trägt dem Rechnung, dass es keine kollektiven Liebesbeziehungen geben kann. Jede Mutter und jeder Vater liebt jedes Kind auf eine je eigene Weise und umgekehrt. Keine Freundschaft und keine Ehe ist ident. Jede Beziehung will individuell gelebt, gepflegt werden, hat ihre eigenen Rituale und Zeiten. So ist es auch mit der Beziehung zu Gott. Jeder Mensch hat nach diesem Bund das Recht für sich selbst zu entscheiden, wie er diese Beziehung pflegen möchte, je nach seinen Fähigkeiten und Talenten.
Im Anschluss an die Beschreibung dieses neuen Bundes kommt ein ganz beeindruckender Satz: „Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn!, denn sie alle, vom Kleinsten bis zum Größten, werden mich erkennen“. Über wie viele Jahrhunderte meinten Priester, Bischöfe, sogenannte Rechtgläubige u.a. den Menschen vorschreiben zu können, was in der Beziehung eines Gläubigen zu Gott zu tun und zu lassen sei. Bekennt sich ein Mensch zu Gott obliegt es ihm ganz allein, wie er diese Beziehung pflegen möchte. Er allein trägt allerdings dafür auch die Verantwortung. Einem Dritten steht es nicht zu, von außen diese je individuelle Beziehung Gottes zu einem Menschen zu beurteilen oder gar zu maßregeln.
Wir kennen es aus unseren eigenen familiären Beziehungen, dass sie sowohl von Zeiten der Nähe als auch der Distanz geprägt sind. Sie sind nie gleich. Kinder ziehen in jungem Erwachsenenalter von zu Hause aus, sie müssen sich selbst erproben, aus der doch ungleichen Erziehungsbeziehung ausbrechen und ein bisschen auf Distanz zu den Eltern leben können. Jahre später entstehen dann oft ganz innige Beziehungen Erwachsener auf Augenhöhe. Genauso verändert sich auch die Beziehung zu Gott. Aus einem kindlichen Glauben entsteht ein Glaube, der auch keine kritische Auseinandersetzung scheut, Fragen stellt und das eigene Handeln reflektiert.
Ich durfte eine innige Beziehung zu meiner Mutter erleben. Kurz vor ihrem Tod auf der Palliativstation wünschte sie sich noch, zu Hause von mir gebadet zu werden. Fragend formulierte sie damals den Satz: Was ist das für eine Beziehung, die wir haben, dass wir so eine Nähe aushalten können? Diese Nähe war nur möglich, weil wir unsere Beziehung gepflegt hatten, daraus entstand auch die Verantwortung füreinander. Um diese Kernfrage geht es bei der heutigen Stelle des Jeremia – wie kann ich die Beziehung zu Gott pflegen, dass daraus eine initime verantwortliche Beziehung entstehen kann? Nur in so einer intimen Beziehung kann auch eine andere Qualität von Vergeben gelebt werden. Verzeihen wird nicht nur möglich, sie wird zu einem Anliegen.
Es ist dieses tiefe Anliegen nach inniger Beziehung, dass Jesus im Evangelium benennt: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren“. Auch über den Tod hinaus bleibt die Zuwendung Jesu aufrecht: „Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde ich alle zu mir ziehen“. Darauf dürfen wir vertrauen.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “In die Mitte des Volkes 1. Lesung: Jer 31,31-34|2. Lesung: Hebr 5,7-9|Evangelium: Joh 12,20-33”
Danke, liebe Katharina, du hast es wunderbar ausgedrückt! Zwischen Gott und Mensch, zwischen Menschen, immer geht es um eine persönliche, direkte, reife (Liebes)Beziehung, die keines “Vermittlers” bedarf; gebieterisches, einschränkendes Belehren (aus Angst vor Macht/Kontrollverlust) ist das Gegenteil von Liebe und Leben in Fülle.
Hermann Hesse hat es einmal so ausgedrückt: “Liebe muss nicht bitten, auch nicht fordern. Liebe muss die Kraft haben, in sich selbst zur Gewissheit zu kommen. Dann wird sie nicht mehr gezogen, sondern zieht.”