Lasst Vorsicht walten 1.Lesung: Jes 2,1-5| 2.Lesung: Röm 13,11-14a| Evangelium: Mt 24,29-44
Wir stehen offenbar in einem sogenannten „postfaktischen Zeitalter“, in dem das Ringen um die Wahrheit auf dem Spiel steht. Es ist oft leichter einer plausibel klingenden Meinung zu folgen, die womöglich eng mit den eigenen Wünschen verbunden ist, als den Fakten wirklich auf den Grund zu gehen. Festgestellt wurde das Phänomen des „Postfaktischen“ vor neun Jahren. Im November 2016 erklärte die britische Wörterbuchreihe Oxford Dictionaries „postfaktisch“ – im Englischen „post-truth“ – zum internationalen Wort des Jahres. Wenige Tage später schloss sich die Gesellschaft für deutsche Sprache dieser Wahl an. Kriterium um das Wort zu bestimmen, ist Jahr für Jahr: Es muss ein Wort sein, welches das zurückliegende Jahr am besten wiedergibt. Das traf damals auf das Wort „postfaktisch“ zu. Es wurde zeitausendmal häufiger als 2015 verwendet.
Als damaliger Hintergrund für die häufige Verwendung des Wortes „postfaktisch“ bildeten vor allem zwei politische Ereignisse. Es war einmal der erste Wahlkampf Trumps um die Präsidentschaft in Amerika und zum anderen die Propaganda für den Brexit in England, der dann auch vollzogen wurde. Zur Erinnerung: Boris Johnson, ehemaliger Bürgermeister von London und heftiger Brexit-Befürworter behauptete, dass Großbritannien jede Woche 350 Millionen Pfund an die EU zahle. Tatsache war: es waren nicht einmal ein Drittel davon (109 Millionen Pfund). Es wurde als falsche Nachricht – „Fake-News“ – gezielt verbreitet.
Oder: Rudy Giuliani, ehemaliger Bürgermeister von New York und einer der stärksten Unterstützer von Donald Trump, behauptete, vor Präsident Obama hätte es keine nennenswerten Terroranschläge auf amerikanischen Boden gegeben. Dabei fand der 11. September 2001 mit der Zerstörung der Twin-Towers in jener Zeit statt als Giuliani Bürgermeister von New York und der Republikaner Georg W. Busch Präsident von Amerika war.
„Postfaktisch“ beschreibt das Phänomen: Es wird behauptet oder gelogen, um jenseits der Fakten die Gefühle der Menschen zu berühren und damit ihre Meinung und ihr Verhalten zu beeinflussen. Es ist klar, auch Gefühle sind ein Faktum, aber auch sie haben es notwendig mit Verstand betrachtet zu werden. Nicht weniger gilt es auch die Fakten immer wieder auf ihre Richtigkeit hin zu hinterfragen und das ist ebenso nur mit dem Verstand möglich.
Die Folgen einer „postfaktischen“ Argumentationsweise sind vielfältig. Sie sind eine Gefahr für die Demokratien. Sie bauen auf einer Kultur auf, in der man rational, sachlich-vernünftig argumentiert und auseinandersetzt. Diese Basis sich möglichst an den Fakten zu orientieren gerät ins Wanken.
Die „postfaktische“ Argumentationsweise hat auch die Wissenschaft erfasst. Es werden wissenschaftliche Arbeiten gefälscht, um Lobbyarbeit für Produkte zu machen. Es wird zum Beispiel ohne wirkliche Grundlage behauptet, ein Produkt soll besonders gesund sein oder bei anderen wird das gesundheitliche Risiko verharmlost.
Das „postfaktische“ Argumentieren in ihrer Häufigkeit hat ferner das Potential die Gesellschaft zu spalten. Sie untergräbt das Vertrauen, verletzt mit ihren Behauptungen Menschen und macht sie ohnmächtig. All dies trägt zur Verunsicherung bei. An diesem Punkt angelangt, kehre ich zum Evangelium zurück, zu Matthäus.
Matthäus hat eine zutiefst verunsicherte Gemeinde vor sich. Sie leidet unter den Folgen des jüdischen Aufstandes. Existenzen sind zerstört. Viele haben Liebste verloren, andere sind Vertriebene, viele davon traumatisiert. Es fehlte nicht an gegenseitigen Schuldzuweisungen für die Katastrophe und es gab eine Anzahl von Stimmen, die den Untergang ankündigten und kommen sahen.
Matthäus schreibt in diese Zeit hinein. Jesus erhebt seine Stimme und erinnert an einen altbekannten Zeugen, nämlich an Noah. Noah ist jener Mann, der vorausschauend, im Wirrwarr vieler Stimmen die rechten Maßnahmen setzte und eine Arche baute. Der Name Noah bedeutet: Ruhe(bringer), Trost. Menschen, die aus der inneren Ruhe und Mitte heraus leben, vermögen rettende Archen zu bauen. Ebenso Menschen, die Trost in sich tragen und nicht rücksichtslos ihre Eigeninteressen und Ziele verfolgen, schützen und beschützen das Leben anderer.
Wir sind in einer unsicheren Zeit. Die Welt mit den verschiedenen Krisen ist für viele herausfordernd und für manche zu kompliziert geworden. Es gibt die Versuchung nach einfachen Antworten und Lösungen. Sie sind – nochmals – eine Versuchung.
Jesus rief damals den Menschen zu: Seid wachsam! Vielleicht dürfen wir diesen Ruf zur Wachsamkeit im Evangelium aktuell verstehen als Ruf gegen ein „postfaktisches“ Verhalten: Seid wachsam und schaut auf die Fakten. Lasst Vorsicht walten, was Versprechungen und einfache Lösungen betrifft. Befragt kritisch das eigene Gefühl – mit Verstand. Befragt kritisch auch den Verstand – mit dem eigenen Gefühl. Es ist ein Faktum: Beides ist von Gott gegeben, damit der Bau von Archen heute geschieht.
Seid wachsam! Als solche Menschen sind wir als „Pilger der Hoffnung“ unterwegs. Als solche Pilger:innen in diesem Jahr unterwegs zu sein, sind wir noch von Papst Franziskus eingeladen worden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
2 Kommentare zu “Lasst Vorsicht walten 1.Lesung: Jes 2,1-5| 2.Lesung: Röm 13,11-14a| Evangelium: Mt 24,29-44”
Lasst Vorsicht walten. Und schaltet euer Hirn ein.
“Postfaktisch” war 2016, “alternative Fakten” kamen 2017 – und dann erschien die Lüge im Gewand der Wahrheit …
Die Lüge im Gewand der Wahrheit
An einem heißen Sommertag treffen sich die Lüge und die Wahrheit.
„Guten Tag, Frau Wahrheit“, schmeichelt die Lüge, „was für ein herrlicher Tag heute. Es müsste doch wunderbar sein, ein erfrischendes Bad in diesem kühlen See zu nehmen.“
„Das ist wahrhaftig eine gute Idee“, sagte die Wahrheit, von der Freundlichkeit und Ehrlichkeit der Lüge überrascht, und zog sich auch sofort aus. Auch die Lüge tat das gleiche. Arglos sprang die Wahrheit in das Wasser.
Da zog Frau Lüge schnell die Kleider der Wahrheit an, und seitdem geht die Lüge in den Gewändern der Wahrheit spazieren. Und nur, wer ganz genau hinschaut, der sieht unter den Kleidern der Wahrheit die Gestalt der Lüge hervorschauen.
Anonymus (erzählt von Josef Moosbrugger)
Die göttliche Gabe der Unterscheidung der Geister ist heute gefragter denn je.
Lieber Erich,
leider streicht das Programm alle Absätze. Vielleicht kannst du das dann ja sinngemäß richtig korrigieren 🙂 …
Herzliche Grüße
Konrad