Maria Magdalena Eine Beschreibung der Apostelin der Apostel und ersten Botin des Evangeliums von Helga Kohler-Spiegel
Papst Franziskus gab ihr diesen Ehrennamen „Apostola Apostolorum“. Der Gedenktag, der 22. Juli, wurde von Papst Franziskus zum Fest erhoben, als Zeichen besonderer Wertschätzung für sie. Vielleicht auch ein bisschen Wiedergutmachung. Denn: Maria Magdalena ist eine starke Frau. Und zugleich wurde sie immer wieder kleingemacht. Seit dem 6. Jahrhundert wurde sie in der Tradition mit der sogenannten „Sünderin“ in Lk 7,36ff, mit Maria von Bethanien (Joh 12,1ff) und mit der Ehebrecherin (Joh 8,1ff) verknüpft – es ist eine alte Form, Frauen abzuwerten, indem ihnen „unmoralisches“ Verhalten zugeschrieben wird. Diese Zuschreibungen an Maria von Magdala entsprechen nicht dem Neuen Testament.
Maria von Magdala im Neuen Testament
Gemäß der Bibel stammt Maria aus dem galiläischen Ort Magdala am Westufer des Sees Gennesaret, sie war Jüdin, Anhängerin Jesu und die wohl engste Weggefährtin Jesu, seine Vertraute. Im Neuen Testament begegnet sie zunächst als Nachfolgerin Jesu, sie wird mit anderen Frauen zusammen genannt (Lk 8,1–3). Sie wurde von Jesus geheilt und folgte ihm seitdem nach. Sie bleibt beim Leiden, bei der Kreuzigung und Grablegung bei Jesus, und ihr zeigt sich der Auferstandene als Erste. Deshalb ist sie die erste Verkünderin der Osterbotschaft, sie steht im Mittelpunkt, die Jünger hören ihr fasziniert und ungläubig zu. Maria Magdalena ist Erstzeugin der Auferstehung, des größten „Geheimnisses des Glaubens“, sie wird „Apostolin der Apostel“ und „erste Botin des Evangeliums“ genannt. Bereits aber in den ersten Generationen nach Jesus wurde sie zurückgedrängt zugunsten einer „männlichen Kirche“, die durch Petrus repräsentiert wird. Schade.
Die erste Begegnung mit dem Auferstandenen
Maria Magdalena erlebt die Erstbegegnung mit dem Auferstandenen, diese Szene ist berührend – bis heute. Ich lade Sie ein, die entsprechende Passage im Johannesevangelium (Joh 20,11–18) zu lesen.
Berührt werden, nicht festhalten
Maria sieht zwei Engel im Grab, die sie fragen, warum sie weine. Im Anschluss an Marias Antwort verkünden nun aber nicht die Engel die Auferstehungsbotschaft, sondern Jesus selbst tritt auf, zunächst, ohne dass Maria ihn erkennt – sie hält ihn für den Gärtner. Maria erkennt Jesus erst, als er sie bei ihrem Namen ruft, und antwortet ihm mit „Rabbuni!“ („mein Rabbi“). Überliefert ist die Antwort Jesu: „Noli me tangere!“, übersetzt: „Rühre mich nicht an!“, „Halte mich nicht fest!“ oder „Halte mich nicht auf!“
Festhalten, auch aufhalten ist nicht möglich, Maria muss – wie Trauernde so oft – loslassen, damit eine neue, innere Beziehung zur verstorbenen Person entstehen und wachsen kann. Es ist herausfordernd, nicht stehenzubleiben und nicht zu erstarren, sondern weiterzugehen – in der Zuversicht, dass Begegnung und Berührung mit dem verstorbenen Menschen auf ganz andere Art möglich sein werden.
„Magdalenensekunde“
Es ist ein berührender Moment der Begegnung zwischen Jesus und Maria – „Maria!“ und „Rabbuni!“ Diesen Moment, der alles verändert, diesen Moment des Erkennens und der Begegnung hat der Schriftsteller Patrick Roth „Magdalenensekunde“ genannt (Patrick Roth, Magdalena am Grab, Frankfurt/Leipzig 2003, 49).
In den Auslegungen wird Marias Bereitschaft betont, sich umzudrehen, die Richtung, die Perspektive zu ändern. Immer wieder wird gerätselt, wie sich das zweimalige Umdrehen in die Szene fügen könnte. Es wird betont, dass sie lernt, Jesus nicht in der Vergangenheit, nicht bei den Toten zu suchen. Und und und. Das alles sagt sich so leicht. Wer jemals ein Liebstes verloren hat, wer jemals erlebt hat, wie verzweifelt und wie einsam das Verlieren machen kann und meistens auch macht, wer jemals verstanden hat, dass der Verlust endgültig ist, kann ein wenig ahnen, was Maria erlebt. Und dann diese „Magdalenensekunde“. Und die Zuversicht, dass Erkennen, Begegnen und Berühren weiterhin möglich sein können.
Momente von Begegnung
Biblische Texte machen Erfahrungen sichtbar, die im Hier und Heute erfahrbar bleiben wollen. Es ist eine – finde ich – berührende Szene: Im Schmerz, in der Verzweiflung hört Maria den eigenen Namen. In Kindertagen und in der Schule wurde unser Name oft genannt, um uns zur Ordnung zu rufen, um anzuweisen, was wir tun müssen oder tun sollten. Manchmal wurde unser Name vielleicht auch in Koseform genannt, liebevoll, tröstend, und erfreut, dass es uns gibt.
Die weinende Maria hört ihren Namen in einem so schmerzhaften Abschied. Wir sind eingeladen, uns einzufädeln in diesen Text: Beim Namen gerufen, mit dem Namen angesprochen zu sein, das kann stärkend und heilend sein. Und es kann zu einer Begegnung werden, die verändert. Dies kann in schönen und in schweren Situationen geschehen, in Veränderungen, die wir selbst gewählt haben oder die uns das Leben zumutet – meinen Namen hören: „Maria“, oder wie immer Sie heißen.
Als Psychotherapeutin kenne ich das: Das eine Wort, das die Seele gesund machen kann. Wunderbar, wenn mir jemand begegnet in einem besonderen Moment, wenn ich meinen Namen höre in schwerer Krankheit, in einem Schicksalsschlag, in einer Enttäuschung, aber auch in Momenten von Glück und Dankbarkeit. Und wunderbar, wenn es uns gelingt zu antworten, ebenso intensiv, ebenso berührt: „Rabbuni“, oder wie immer Ihr Gegenüber heißt.
Das Geschenk der „Magdalenensekunde“ – solche „Sekunden“ wünsche ich Ihnen.
Helga Kohler-Spiegel, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg und Psychotherapeutin, Feldkirch
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 2/20 publiziert worden.