Menschen begegenen und annehmen 1. Lesung: Jes 43,16-21 | 2. Lesung: Phil 3,8-14| Evangelium: Joh 8,1-11
Der Evangelist Johannes hat in seiner Vielschichtigkeit immer wieder Überraschendes zu bieten. Auf zwei Themen dieses Sonntagsevangeliums darf ich näher eingehen:
Jesus lehrt im Tempel, so heißt es. Als Ansprechpartner werden Schriftgelehrte und Pharisäer erwähnt. Sie werden im Gespräch von einem akuten Vorfall unterbrochen: Eine Frau wird von Männern vorgeführt, beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Die Frau wird von der Meute verwendet – um nicht zu sagen: missbraucht -, um Jesus in die Enge zu treiben. Ihr Leben wird auf’s Spiel gesetzt, um seine Rechtgläubigkeit zu testen.
Vielleicht verschafft sich Jesus zunächst Zeit, wenn er sich bückt, um nachdenkend auf die Erde zu schreiben. Er formuliert den Gedanken: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Dann beginnt er von neuem in den Sand zu schreiben. Was schreibt Jesus denn in den Sand?
Pharisäer und Schriftgelehrte wissen um das Allerheiligste im Tempel. Sie sind nahe dran. Es ist der Ort mit der Lade und den Steintafeln mit den Geboten des Sinai. Diese Gebote sind in Stein gemeißelt. Diese zehn Gebote haben einen Vorspann, der in der christlichen Katechetik mehr oder weniger völlig unterschlagen wird: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat“ (Dtn 5).
Er beschreibt das Uranliegen Gottes, nämlich den Menschen aus jeglicher Knechtschaft und Enge – auch aus der der Sünde – heraus in die Freiheit, ins Leben zu führen. Vermutlich haben wir schon öfters gehört, dass Jesus Gebote wie z.B. das Sabbatgebot übertreten hat. Sein Umgang mit den Geboten ist alles andere als willkürlich. Für ihn werden sie obsolet (überflüssig), wenn sie nicht mehr dem Anliegen des Lebens und der Freiheit dienen. In solchen Fällen erlaubt er sich und anderen die Übertretung.
Die Gebote sind in Stein gemeißelt. In den Sand ist für Jesus das Urteil und die Verurteilung geschrieben. Nachdem sämtliche Männer erkannt haben, dass sie keinen Grund haben, einen Stein zu werfen und weggegangen sind, richtet sich Jesus erneut auf und sagt zu der Frau: Auch ich verurteile dich nicht!
Das Urteilen und Verurteilen sein zu lassen, das ist Kern einer Lebenshaltung Jesu und erlebt hier einen besonderen Höhepunkt. Den Menschen begegnen und sie annehmen, ohne über sie zu urteilen oder sie zu verurteilen, ist Nachfolge Jesu und dies gerade auch bei Menschen, über die es sich leicht herfallen lässt.
Ein Mensch, auf frischer Tat ertappt. Man kann sich das Gerede und Getuschel der Selbstgerechten vorstellen. Jesus bringt es schlicht zum Verstummen. Für ihn gilt nicht einfach Gesetz und Gebot, sondern das Leben des Menschen, das Leben in Freiheit. Einer Kirche Jesu Christi im 21. Jht. ist aufgetragen, in dieser Spur zu gehen und zu wandeln.
Jesus hat Pharisäer und Schriftgelehrte vor sich. Ein weiterer Aspekt sei erzählt: Schriftgelehrte und Pharisäer wissen um die Prophetenstelle Ezechiel, Kap. 23. Es ist dort von zwei Frauen die Rede, Ohola und Oholiba. Diese beiden Frauen verkörpern zugleich die Städte Samaria und Jerusalem. In der Bibel begegnet uns öfter dieses Bild: Gott als Mann. Die Frau, die für das Volk, für Israel oder später auch für die Kirche steht. Die Frau als Bild der schützenden und nährenden Mutter.
Diese Erzählung steht bei Ezechiel im Zusammenhang mit der Frage: Was war und ist der Grund für das Exil in der babylonischen Gefangenschaft. Was hat dazu geführt? Was soll das Volk aus der Geschichte lernen?
Diese beiden Frauen – gemeint die Städte -, prostituieren sich, so schildert es Ezechiel. Sie haben ihren Gott des Bundes vergessen. In den Beziehungen und im Alltagsleben spielt er keine Rolle mehr. Sie lehnen sich an die Großmächte und die Großen in der Nachbarschaft an. Sie führen ein zügelloses Leben, berauschen sich. Die Oberschicht lässt es sich gut gehen. An ihren Händen klebt Blut. Sie opfern sogar ihre Kinder.
Bei Ezechiel heißt es dann: Es soll eine Volksversammlung einberufen und die Frauen sollen gesteinigt werden; auch zur Warnung. Der Unzucht im Land soll damit ein Ende gesetzt sein. Sie sollen sie büßen. Letztlich werdet ihr erkennen, dass ich Gott, der Herr bin (Ez 23,46-49).
Mit Unzucht beschreibt die Bibel – ins besonders das Erste Testament – das Verhalten des Volkes zu ihrem Gott. Unzucht meint das Liebäugeln mit anderen Göttern, das Verlassen des lebendigen, Freiheit und Leben schützenden Herrn, das Verleugnen jenes Gottes, dem die Sorge um die Ärmsten ein Herzensanliegen ist. Das sich Arrangieren mit den Mächtigen und Reichen ist seit jeher eine latente Versuchung von Religionen. In der Bibel hat es die Bezeichnung: Prostitution oder Unzucht treiben.
Es sind zwei Akzente, die Jesus hier setzt:
Die Schriftgelehrten und im Besonderen die Pharisäer zählen zu denen, die möglichst wenig mit der Macht anstoßen wollen. Sie schließen mit den Besatzern Kompromisse und arrangieren sich so gut es geht. Die Frau, die sie steinigen wollen, wird auf dem Hintergrund des Ezechiel zur Frage an sie, ob sie mit ihrem „politischen“ Agieren der Kritik des Propheten standhalten? Ob sie nicht gerade jene sind, die Unzucht leben, die die Liebe Gottes und seine Botschaft verraten? Vor allem zusätzlich dann, wenn sie bereit sind, ihre Hände mit Blut zu beflecken?
Und es ist nochmals der Hinweis: Das Richten mögen wir Gott überlassen. Jede und jeder Mensch hat die Gewissenserforschung notwendig: Dient mein Handeln dem Leben? Hilft es, dass Menschen – Kinder, PartnerIn, MitarbeiterInnen, Anvertraute … in eine größere Freiheit hinein wachsen können? Lasse ich mich von der Macht, vom Reichtum korrumpieren, bestechen oder betäuben? Töten oder Abtöten löst keine Probleme. Jesus steht für die Botschaft: Du sollst leben! In Freiheit leben!
Ein Kommentar zu “Menschen begegenen und annehmen 1. Lesung: Jes 43,16-21 | 2. Lesung: Phil 3,8-14| Evangelium: Joh 8,1-11”
Sehr aufschlussreich die Verbindung mit dem ersten Testament- Ezechael. Vielen Dank dafür!