Mit Gott zwischen Heimat und Exil Der Jakobszyklus ausgelegt von Hans Rapp
Ich persönlich hätte Jakob nicht über den Weg getraut. Jakob, auf den das Buch Genesis die zwölf Stämme Israels zurückführt, wird als beharrlicher, streitbarer und listiger Mann beschrieben, mit einer konfliktreichen Familiengeschichte. Die Jakobserzählung zeigt wie kaum eine andere, dass es in der Beziehung Gottes zu den Menschen nicht um Moral geht. Wie kaum eine andere Erzählung der Bibel wird in den Jakobserzählungen deutlich, dass Gott mit Menschen mit ihren Stärken und Schwächen mitgeht.
Bruderzwist und Flucht
Die Jakobserzählung beginnt schon vor seiner Geburt mit einem Konflikt mit seinem Zwillingsbruder. Bereits im Mutterleib „stößt“ sich das Zwillingspaar. Bei der Bedeutung dieses Stoßens ist durchaus eine gegenseitige Vernichtungsabsicht mitgemeint. Esau kommt als erster zur Welt, Jakob folgt ihm knapp darauf. Er hält sogar die Ferse seines Bruders in der Hand. Daraus leitet die Genesis seinen Namen volksetymologisch ab: „Fersenhalter“. Die ursprüngliche Bedeutung des Namens war jedoch „Gott schützt/Gott möge schützen“. Bereits am Anfang der Geschichte Jakobs wird deutlich, dass es hier nicht nur um eine individuelle Biografie geht. Es geht immer auch um das wechselvolle und konfliktträchtige Verhältnis Israels zu seinen Nachbarn. In diesem Fall zu Edom und den Edomitern, einem semitischen Volk, das im Gebiet im Südosten des Toten Meeres und später auch im Negev siedelt (Gen 25,23).
Der Konflikt mit seinem Bruder bzw. dem Nachbarvolk Edom zieht sich fast durch den gesamten Zyklus der Jakobsgeschichte durch. Er spaltet die Familie: der Vater Isaak bevorzugt den Jäger Esau. Jakob dagegen – „ein Mann ohne Fehl“ (Gen 25,27) – ist der Lieblingssohn seiner Mutter Rebekka. Zweimal wird erzählt, wie Jakob seinem älteren und stärkeren Bruder das Recht der Erstgeburt abnimmt. Das erste Mal durch ein Linsengericht, dem der hungrige Bruder nicht widerstehen kann (Gen 25,29–34), das zweite Mal überlistet Rebekka ihren Mann Isaak. Statt Esau bringt der verkleidete Jakob seinem blinden Vater das Lieblingsgericht und erhält dadurch den Segen des Erstgeborenen und Erben (Gen 27,1–40). Esau geht leer aus und will sich an Jakob rächen. Dieser flieht daher zu seinem Onkel Laban nach Haran im Norden des heutigen Syrien.
Jakob und seine Frauen
Das „Herzstück“ der Jakobsgeschichte spielt im 21-jährigen „Exil“ in Haran (Gen 29–31). Jakob verliebt sich in seine schöne Cousine Rahel. Ihr Vater Laban lässt ihn sieben Jahre für sich arbeiten, gibt ihm aber nach diesen sieben Jahren nicht Rahel, sondern deren ältere Schwester Lea zur Frau. Für Rahel muss er weitere sieben Jahr arbeiten. Jakob ist offensichtlich ein solch erfolgreicher Tierzüchter, dass der Onkel ihn darum bittet, noch weitere sieben Jahre für ihn zu arbeiten und ihm einen Lohn nach seiner Wahl anbietet. In diesen Jahren gelingt es Jakob mit etwas undurchsichtigen Mitteln, auf Kosten seines Schwiegervaters/Onkels als Viehzüchter ein eigenes Vermögen aufzubauen. Kein Wunder, dass Jakob mit seiner Familie nach dem Ablauf seines Dienstverhältnisses zunächst bei Nacht und Nebel das Weite sucht.
Bereits diese kurzen Andeutungen dürften klar machen, dass die Familienbeziehungen Jakobs auch im neuen Umfeld nicht wirklich einfach waren. Die lebenslange Konkurrenz der beiden Schwestern um ihren Mann wächst sich zu einem Wettlauf im Gebären von Kindern aus. Die Schwestern greifen dazu auf ihre Mägde Bilha und Silpa zurück. Rahel, die eigentlich geliebte Frau, bleibt zunächst unfruchtbar. Lea, die Ungeliebte, gebiert ihrem Mann sechs Söhne und eine Tochter. Dennoch muss Lea ihr ganzes Leben um die Gunst ihres Mannes kämpfen. Noch bei der Geburt ihres letzten Sohnes ist diese Hoffnung, aber auch die Verzweiflung hörbar: „Jetzt endlich wird mein Mann mich ehren, da ich ihm doch sechs Söhne geboren habe“ (Gen 30,20). Erst ganz zum Schluss erhört Gott auch Rahel, die ihrem Mann die beiden jüngsten Söhne gebiert – Josef und Benjamin. Bei der Geburt Benjamins im Land Kanaan stirbt sie.
Gottesbegegnungen als roter Faden
Das Buch Genesis bettet diese Konfliktgeschichten in einen roten Faden der Gottesbegegnungen Jakobs und seiner Familie ein. Der Weg zwischen dem Land Kanaan und Haran, zwischen Heimat und Exil, ist für Jakob durch drei Gottesbegegnungen markiert. Auf der Flucht macht Jakob nachts an einem „Ort“ halt, wo ihm in der Vision einer Himmelsleiter Gott erscheint und ihn segnet. Jakob gibt dem Ort den Namen „Bet-El“ und errichtet dort eine Steinmal (Gen 28,10–22). Die zweite Gottesbegegnung steht im Zusammenhang mit der Begegnung und Versöhnung Jakobs mit seinem Bruder Esau auf der Rückreise aus Haran. Bei der Überquerung des Flusses Jabbok begegnet Jakob einem Wesen, das mit ihm ringt (Gen 32,23–33). Jakob wird am Ende des Kampfes erkennen, dass er mit Gott gerungen hat (Gen 32,31). Er verletzt Jakob an der Hüfte. Doch Jakob gewinnt den Kampf und zwingt seinen Gegner dazu, ihn zu segnen. In diesem Segen gibt er Jakob einen neuen Namen: „Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel – Gottesstreiter –; denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und gesiegt“ (Gen 32,29). Damit ist Jakob endgültig zur Person geworden, die für das Volk Israel steht.
Die Rückkehr nach Bet-El, die erneute Segnung durch Gott und die Errichtung eines Altars leiten den Abschluss des Jakobszyklus ein (Gen 35,1–15). Zu einem Volk wird Israel nicht in Kanaan, sondern wieder im Exil in Ägypten, wo Jakob auch stirbt (Gen 49,33). Auch dort wird Gott Jakob/Israel schützend begleiten.
Hans Rapp, Leiter des Kath. Bildungswerks der Diözese Feldkirch
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/19 publiziert worden.