
Mitgehen mit den Anfordernissen des Lebens, 1.Lesung: Jes 43,16-21| 2.Lesung: Phil 3,8-14| Evangelium: Joh 8,1-11
Die Bücher Mose bauen auf der Schilderung auf, wie es den Stammvätern erging, wie das Volk Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit wurde und dann den mühsamen 40jährigen Weg ins gelobte Land auf sich nahm. Zur Mahnung und Erinnerung werden Feiertage gestiftet, die die Erfahrungen des Volkes Israel mit seinem Gott präsent halten sollen.
Dann tritt aber plötzlich ein Prophet auf, der verkündet: „Der Herr spricht: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes, 43,18-19). Das wirkt vermeintlich wie ein Widerspruch, wenn man nicht auch die Zeilen davor liest, in denen sich der Prophet auf das Wirken Gottes an seinem Volk beruft. In diesem Zusammenhang betrachtet kommt man zum Ergebnis, dass es um die Erneuerung des Sichtbaren geht und nicht um die Überarbeitung von Inhalt bzw. Botschaft.
Der Apostel Paulus beschreibt im Brief an die Philipper eine derartige Differenz von Form und Inhalt. Er schildert sein Ringen zwischen dem, was er aufgeben möchte und dem, was er anstreben will. Paulus hat Erfahrungen gemacht, die nicht mehr zu seiner bisherigen Glaubensbiografie passen. Wir kennen dieses Ringen z.B. auch dann, wenn wir spüren, dass der kindliche Glaube eines weißhaarigen, lieben Opas im Himmel nicht mehr zu unserer Lebensrealität passt. Natürlich kommen im heutigen Text auch einige Polemiken zum Ausdruck, die dem damaligen Auseinanderbrechen von Juden- und Christentum zuzuschreiben sind. Wenn wir diese aber ausblenden, bleibt die Erfahrung von Paulus, dass er die Gesetzesgläubigkeit – die er sogar als Unrat bezeichnet – hinter sich lassen muss, um frei glauben zu können: „um Christus zu gewinnen und in ihm erfunden zu werden“ (Phil 3,8-9). Er kommt zu dem Ergebnis, dass die „Rechtsgesetze“, also die Beurteilung dessen – in Vorarlberg würde man sagen „was körig isch“ – dem Wirken Gottes im Wege steht. Ja sogar, dass die „Rechtsgesetze“ nicht nur den Menschen, sondern auch Gottes Wirken in Ketten legen.
Paulus war mit seinen Briefen die Grundlage für die Abfassung der späteren Evangelien und diese wiederum der Baustein für die Entwicklung der Kirche, der Ämterstruktur und jener Gestalt, die sie heute hat. Sie ist allerdings nicht nur Form, sondern auch Inhalt. Man muss sich fast etwas die Augen reiben, wenn man nach diesen Worten des Paulus auf die heutige Form von Kirche blickt. Wir sprechen hier nicht zuletzt von einer Kirche, die mittlerweile nicht nur über ein eigenes Kirchenrecht verfügt, sondern auch über zahlreiche staatsrechtliche Verträge zwischen Vatikan und Einzelstaaten. Das Kirchenrecht ist zu einer dankbaren Begründung wider jede Reforminitiative geworden – leider nicht nur das, sondern auch hinsichtlich jeglicher Veränderungsnotwendigkeit von Kirche.
Vereinbarungen, Gesetze, Bestimmungen sind notwendig, sie schaffen einen sicheren Rahmen und Klarheit. Allerdings – und das spüren wir im Moment nicht nur in der Kirche – kommt es immer wieder zu Veränderungen, die eigentlich Gesetzesanpassungen notwendig machen würden, aber die Schere der Gegensätze von Ansichten scheint zu groß, um Kompromisse für eine Überarbeitung finden zu können.
Paulus war in jungem Lebensalter Pharisäer und damit ein Verfechter des Gesetzes bis ins kleinste Detail. Es ist höchst interessant, dass er nach seiner „Christuserfahrung“ die Einhaltung des Gesetzes als anzustrebendes Ziel als Stillstand erfährt und die Entwicklung von Gerechtigkeit mit dem Glauben an Christus in Verbindung bringt.
Von Jesus, seinem Glauben und Tun ergriffen zu werden ist nicht Stillstand, sondern kontinuierliche Entwicklung, ein Mitgehen mit den Anfordernissen des Lebens, der Gesellschaft und der Menschen. Von Christus Jesus ergriffen zu sein, bedeutet – wie es Paulus beschreibt – sich nicht auszuruhen, strebsam und immer auf Pilgerschaft zu bleiben.
Weder Jesaja noch Paulus plädieren dafür, die Erfahrungen des Volkes Israel mit seinem Gott – also die eigene Geschichte und die darin verborgenen Erfahrungen – hinter sich zu lassen, sondern das entwickelte Vorschriften-Korsett, das davon ausgeht, abzulegen. Paulus plädiert für die Gestaltung einer guten Zukunft: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist“ (Phil 3,13).
Das heutige Evangelium scheint eine Erfahrungsbeschreibung dessen zu sein, was Paulus vermitteln will. Den Schriftgelehrten und Pharisäern waren die lebensangepassten Auslegungen der Gesetze durch Jesus ein Dorn im Auge und sie wollten ihn zwingen, das Gesetz anwenden zu müssen. Dazu führten sie ihm eine Frau vor, die beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt wurde. Das Gesetz lässt keinen Zweifel: eine solche Frau muss gesteinigt werden. Eigentlich hat Jesus keine Wahl, genauso zu entscheiden, wie es das Gesetz vorsieht. Worte und Argumente kann er gegen das Gesetz keine vorbringen. Und dennoch schafft er es zu zeigen, dass man in der Anwendung der Weisungen immer eine Wahl hat. Es geht nicht um Misstrauen, sondern um Zutrauen. Nicht um Sanktion, sondern Barmherzigkeit. Wichtig ist der Weg, der vor einem liegt und nicht die Verfehlung in der Vergangenheit.
Das, was der Prophet Jesaja wiedergab: „Der Herr spricht: Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr! Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ (Jes, 43,18-19) übersetzte Jesus in das damalige Alltagsverständnis: „Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 1,11).
Gott geht es nicht um Sanktionen, sondern darum, Chancen und Möglichkeiten zu bieten, dass selbst auf schwierigem Boden Neues sprießen kann. Mit Paulus Worten ist es jene „Gerechtigkeit, die Gott schenkt aufgrund des Glaubens“ (Phil 3,9).
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jesája anhören möchten:
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Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philíppi anhören möchten:
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Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
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In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
Ein Kommentar zu “Mitgehen mit den Anfordernissen des Lebens, 1.Lesung: Jes 43,16-21| 2.Lesung: Phil 3,8-14| Evangelium: Joh 8,1-11”
Warum die Vergebung den Menschen am Leben erhält?
Die Wahrheit ist, dass jeder Mensch Sünden begeht. Damit meine Fehler nicht meinen täglichen Alltag bestimmen, ist es für mich hilfreich, mir selber und meinen Mitmenschen die Verfehlungen zu vergeben -mit viel Bewusstsein-.
Dadurch ist es für mich möglich, wieder in der Gegenwart zu sein, die Vergangenheit loszulassen und Gott zu begegnen. Ich spüre, wie ich wieder am Leben teilnehmen kann.
Ich wünsche mir, dass es der Menschheit gelingen möge, mit Gottes Kraft, Weisheit und vergebender LIebe, die Weltpolitik in eine lebenserhaltende und friedliche Richtung zu lenken. Gesegnete Grüße