Jesus, der Herabgekommene 1. Lesung: Jes 53,10-11| 2. Lesung: Hebr 4,14-16| Evangelium: Mk 10,35-45
Zum dritten Mal erklärt Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem den Jüngern, dass er leiden wird müssen; er den Hohepriestern und Schriftgelehrten ausgeliefert und sie ihn zum Tod verurteilen lassen. … Und nach drei Tagen wird er auferstehen.
Zwei der Jünger reagieren auf diese Ankündigung mit der Bitte: Lass uns in deiner Herrlichkeit links und rechts von dir sitzen! Ihre Frage wirkt als wären sie schlechte Schüler und hätten nichts von dem begriffen, was er ihnen bisher auf dem Weg über Nachfolge erzählt und erklärt hat. Sie wollen sich Plätze sichern. Dass es in seiner Nachfolge nicht um erste oder vorderste Plätze, sondern ums Dienen – oder besser: Dien-Mut, Mut zum Dienen – geht, ist nicht angekommen.
Es dürfte kein Zufall sein, dass unmittelbar im Anschluss eine Blindenheilung folgt, nämlich in Jericho die Heilung des blinden Bartimäus – das Evangelium am kommenden Sonntag. Jesus verschafft „Durchblick“. Er öffnet die Augen für diese andere Welt, in der Jesus lebt und in der die Menschen heil werden. Der geheilte Bartimäus folgt anschließend Jesus auf dem weiteren Weg. Er folgt ihm nach.
Zurück zum Evangelium und zum Anliegen Jesu: Jesus kündet das Reich Gottes und er lebt das Reich Gottes. Wenn wir von Reich reden, dann ist dieser Begriff so leicht missverständlich, weil er in Verbindung mit Hierarchie, Macht und Reichtum gebracht wird. Doch dem Reich Gottes legt Jesus ein anderes Verständnis zu Grunde. Es ist eine Welt, in der Gott Herr ist. Kein Lebensbereich, keine Themen, keine Absichten und Neigungen werden ausgenommen, auch jene nicht, um die allein das Gewissen weiß. Es ist eine Welt, in der die Menschen sich als Brüder und Schwestern begegnen, in der sie sich nicht von Abhängigkeiten, Begünstigungen, persönlichen Vorteilen korrumpieren lassen; eine Welt, die nicht vom Konkurrenzdenken, vom Recht des Stärkeren und der Erfolgreichen, sondern in der die Beziehungen vom Gedanken des einander Dienens, des einer trage des anderen Last bestimmt sind. Im Vater unser beten wir: Dein Reich komme. Es ist die Bitte am Anfang des Gebetes und bringt zum Ausdruck, dass es Kern der Verkündigung Jesu ist. Sie dürfte ebenso am Anfang stehen, weil dieses „Reich“ oft Not leidet oder gerade auch von denen verraten wird, die Jesus nachfolgen. Es gilt nicht auf andere zu zeigen, sondern der Blick ins eigene Leben, ins eigene Herz mag genügen. Wir beten um das Reich Gottes, weil es nicht machbar ist, schon gar nicht von anderen erzwungen werden kann, sondern letztlich das Geschenk (Gottes) ist.
Reich Gottes als ein neues Verständnis von gelebten Beziehungen. Wir wissen, wie sehr Menschen verwundet werden, die Ablehnung, Ausgrenzung, Missbrauch, Abwertung, Ohnmacht u.ä. erfahren. Bei euch aber soll es nicht so sein, sagt Jesus zu seinem engsten Kreis und fügt an: Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Und nochmals weiter: Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld.
Wir wissen, dass Jesus das Dienen nicht aus Schwäche oder Duckmäusertum versteht oder es für ihn kein Ja und Amen zu allen Wünschen wäre. Sein Dienen bringt ihn in Konflikte mit religiösen Autoritäten, hier sind die Gruppen Schriftgelehrte und Hohepriester genannt. D.h. Jesus wehrt sich dagegen, dass mit Religion, bzw. mit vermeintlichem Glauben verletzende Macht über Menschen ausgeübt wird. Es bringt ihn ebenso in einen tödlichen Konflikt mit der weltlichen Autorität, mit Pilatus. Die vermeintliche Macht dessen, der meint, er könne über das Leben verfügen, zerbricht an der Liebe, die ein anderes Reich begründet. Jesus geht diesen Weg nach unten, diesen Weg der Entäußerung. Paulus hat es im Brief an die Philipper in ein Lied verpackt: Er, der in der Gestalt Gottes war, hat an seinem Gott-Sein nicht festgehalten, sondern kam herunter zu den Menschen. Seine Liebe war so groß – sein Mut zum dienen -, dass er den Tod am Kreuz auf sich nahm. (Phil 2) Wenn jemand heilsam auf dem Weg bleiben will, gilt es der Gewalt oder dem Zwang abzusagen.
Jesus hat neben sich keine Plätze zu vergeben, weil es schlicht in diesem Reich auch nicht zählen wird. Man beachte, wie es formuliert ist: Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Steigt nicht in den Konkurrenzkampf um „hohe“ Ämter ein, sondern lernt andere groß zu halten, und zwar jene, die euch dienen und setzt jene an die erste Stelle, denen die Sklavenarbeit bleibt. Dieses Gerangel um vorderste oder erste Plätze taugt nicht für das Reich Gottes.
Zwei Konsequenzen daraus:
Eine Erste: Es ist wahrnehmbar, dass die Kirche gegenwärtig viel an Macht und Einfluss verliert. Vielleicht kommt sie gerade in dieser Entwicklung ihrem Ursprung nahe, dem, was Jesus für die Jünger und Jüngerinnen angedacht hat. Zumindest hindert uns die Entwicklung nicht, im Geiste Jesu Reich Gottes zu leben.
Eine Zweite: Manchen mag es aufgefallen sein, dass Papst Franziskus sich schon öfters gegen den Klerikalismus ausgesprochen hat, zuletzt am 19. September auf einer Pastoraltagung im Vatikan vor rund 2000 Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien. Er sagte: Die Seelsorger dürfen sich nicht vor den vielfältigen pastoralen Herausforderungen der Gegenwart hinter Glaubensregeln verstecken und aus Angst in einen „Klerikalismus“ verfallen. Denn wer sich nur auf die Regeln und Instruktionen konzentriere, ähnele den Pharisäern und Schriftgelehrten der Zeit Jesu. Der Klerikalismus betrifft in erster Linie geweihte Personen. Er kann ebenso Hauptamtliche betreffen, wenn sie ihre Aufgabe nicht als Dienst verstehen. Er kann die Laien (schlechtes Wort) – das Volk – betreffen, wenn sie etwa meinen, ein Gottesdienst oder ein kirchliches Treffen sei nur dann gut, wenn eine geweihte Person dabei sei. Die Diözese Trier hat in ihrer pastoralen Handreichung formuliert: Wir verabschieden uns von der Vorstellung, dass Gottesdienste nur dann ordnungsgemäß und gute Gottesdienste wären, wenn ihnen ein Priester oder Diakon vorsteht. (Abschlussdokument der Synode, S 19)
Wer bei euch groß sein will, der soll der Diener aller sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein. Es ist ein Wort, das sich an alle richtet, die Jesus nachfolgen und den Geschmack von Reich erfahren und weitergeben wollen.
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