Provozierende Rettung Erich Baldauf über den beispielhaften Umgang mit Schuld in Joh 8
Das Ereignis von der Ehebrecherin, die von Jesus vor dem Schlimmsten bewahrt wird (Joh 8), wirkt bei einem ersten Hinsehen zum Umfeld wie ein Einschub. Voraus geht ein Streitgespräch Jesu mit dem Hohen Rat und anschließend folgt ein solches mit Juden. Johannes folgt aber auch hier der inneren Logik des Evangeliums. Er führt uns Schritt für Schritt immer tiefer in das Geheimnis Gottes und seines Evangeliums hinein. In dieser Perikope wird ein Maßstab für den Umgang mit Menschen gesetzt, die schuldig geworden sind und über die man leicht und gerne in der Öffentlichkeit urteilen kann.
Vorsicht Falle
Es ist fies. Es gibt da Männer, die haben einen ordentlichen Konflikt mit Jesus, die einen halten ihn für einen Propheten, andere für einen, der das Volk in die Irre führt. Sie schaffen es nicht, ihm wirklich beizukommen. Da fällt ihnen eine Frau in die Hände, die zum Spielball dieses Konfliktes wird. Im Grunde wollen sie Jesus treffen, sie wollten einen Grund zur Anklage, das Schicksal der Frau wird so nebenbei in Kauf genommen. Mit der Frau stellen sie Jesus vor die Alternative: Entweder ist er ein Gesetzesbrecher, da die Frau nach dem biblischen Gesetz gesteinigt werden könnte und müsste (Dtn 22,20f), oder er verrät mit der Zulassung der Steinigung seine prophetische Verkündigung, Gott sei barmherzig und Leben rettend. Es ist bezeichnend, dass der beteiligte Mann außen vor bleibt. Für ihn hat dasselbe Vergehen keine Folgen.
Alternative zum Schwarz-Weiß-Denken
Es ist bezeichnend, dass Jesus zunächst einmal schweigt. Kann man mit Worten einer selbstgerechten Meute beikommen? Er bückt sich und beginnt dann auf die Erde zu schreiben. Es steht viel auf dem Spiel. Sie lassen nicht nach. Es heißt, dass die Männer hartnäckig weiterfragen.
Da richtet sich Jesus wieder auf. Er geht nicht auf ihr populistisches Schwarz-Weiß-Denken ein, sondern sucht einen anderen Weg, den Konflikt zu lösen, eine Alternative. Er befasst sie mit sich selbst. Jesus dreht praktisch den Spieß um und fordert sie heraus, ein Urteil über sich selbst zu fällen: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Dann bückt er sich wieder und schreibt weiter. Er gibt ihnen Zeit für die Entscheidung, für ihr Urteil, das sie über sich selbst zu treffen haben. Er fragt sie in ihrer Wahrhaftigkeit an. Und er traut diesen Männern zu, dass sie bei ihrer Wahrhaftigkeit bleiben, sonst könnte sein Vorhaben misslingen. Wir wissen, dass die Männer, der älteste zuerst, der Reihe nach weggehen.
Die Gebote auf Stein, die Verurteilung in den Sand geschrieben
Der Ort, an dem sie sich befinden, ist der Tempelplatz. Hier bückte sich Jesus und begann auf die Erde zu schreiben. Im Tempel selbst, im Allerheiligsten ist die Lade mit den beiden Steintafeln und Geboten aufbewahrt. Die Präambel lautet: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Dtn 5,6) Die Gebote sind in Stein gemeißelt. Sie gilt es zu beachten, damit ein Leben in Freiheit gewahrt bleibt und das Miteinander gut gelingen kann. In Stein gemeißelt bleibt für Jesus die Botschaft, dass Gott jeden Menschen aus jeglicher Sklaverei herausführt, dass das Wegziel Gottes mit einem Menschen das Leben im gelobten Land, in Freiheit und Gerechtigkeit ist. Die Gebote markieren diesen Weg.
Die Verurteilung, so führt es Jesus diesen Umstehenden, Selbstgerechten eindrücklich und zeichenhaft vor Augen, ist in die Erde, in den Sand geschrieben. Zweimal redet Jesus im Johannesevangelium davon, dass er nicht in die Welt gekommen ist um zu richten, sondern zu retten (Joh 3,17; Joh 12,47). Eine Pastoral im Sinne Jesu urteilt und verurteilt nicht. Damit ist auch jeder Ausgrenzung im Namen Gottes eine Absage erteilt.
Erich Baldauf, Pfarrer, Moderator der „Katholischen Kirche in Dornbirn“, Vorarlberg
Dieser Artikel ist erstmals in der Zeitschrift „Dein Wort – Mein Weg“ – Alltägliche Begegnung mit der Bibel in der Ausgabe 3/19 publiziert worden.