Ruinen der Tradition 1. Lesung: Apg 6,1-7 | 2. Lesung: 1 Petr 2,4-9 | Evangelium: Joh 14,1-12
Am 8. Mai 1945 – vor 75 Jahren – ging der 2. Weltkrieg zu Ende. Halb Europa lag in Trümmern, mindestens 55 Millionen Tote, viele Verwundete, Traumatisierte, Vertriebene, Flüchtlinge und nicht zu vergessen der Holocaust mit der Ermordung von Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderungen, Homosexuellen und Menschen des Widerstandes.
Auch die Theologie der christlichen Kirchen lag zumindest teilweise in Trümmern. War sie mitverantwortlich für den damals herrschenden Antisemitismus. Ein Höhepunkt im Aufarbeiten dieses Desasters war das II. Vatikanische Konzil (1962-1965). Besondere Beachtung verdient das Dokument „Nostra aetate“ (In unserer Zeit …). In ihm definierte die Römisch Katholische Kirche jeweils ihr Verhältnis zu den verschiedenen Religionen, bis hin zu den Naturreligionen. Das Dokument anerkennt die Gewissensfreiheit. Es schließt damit die Anerkennung ein, dass jeder Mensch, der seinem Gewissen folgt, auf dem Weg zum Heil ist. Das Dokument hebt jeweils die Gemeinsamkeiten hervor und spricht auch an, was in der jeweiligen Religionsgemeinschaft Achtung und Respekt verdient.
Die Kirchen waren nach dem 2. Weltkrieg eine wichtige moralische Instanz, sie boten Orientierung und haben viel zum Aufbau einer erneuerten Gesellschaft beigetragen. Hervorzuheben ist ebenso, dass sowohl von der Politik als auch von der Kirche her die Trennung zwischen Staat und Kirche betrieben wurde.
Wir sind jetzt im Mai 2020. Wir haben keine Zerstörungen von Infrastruktur und Häusern und dennoch ahnen wir, dass es auf Grund der Coronakrise einen Wiederaufbau braucht, vermutlich nicht so entbehrungsreich wie damals. Es wird aber Geduld, viel neues, kreatives Denken, eine neue Solidarität u.a.m. brauchen. Der Kampf gegen die Klimaerwärmung behält zudem ihre Dringlichkeit.
Corona verändert auch die Kirche. Auch für sie ist die Welt eine andere geworden. In meinen Gedanken lehne ich mich jetzt an Tomas Halik an. Er ist ein renommierter Theologe aus Prag. Er fragt, ob das schnelle Hochfahren der Kirche in die alten Gottesdienstpraxen und -formen ihr wirklich dienlich ist? Wäre es nicht besser die leeren Kirchen als warnenden Blick durch das Fernrohr in eine verhältnismäßig nahe Zukunft wahr zu nehmen? Vielleicht zeigt diese Zeit der leeren Kirchen den Kirchen symbolisch ihre verborgene Leere und eine mögliche Zukunft auf, die eintreten könnte, wenn die Kirchen nicht ernsthaft versuchen, der Welt eine ganz andere Gestalt des Christentums zu präsentieren.
Er zitiert dann Papst Franziskus, der vor seiner Wahl zum Papst den Kardinälen aus der Geheimen Offenbarung des Johannes das Wort vorlas: Christus steht an der Tür und klopft an. Er fügte hinzu: Heute klopft jedoch Christus aus dem Inneren der Kirche an und will hinaus gehen: Vielleicht hat er das gerade getan.
An Ostern waren heuer die Kirchen leer. Wenn uns die leere Kirche an ein leeres Grab erinnert, dann sollten wir die Stimmen von oben (Engel) nicht überhören: „Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa.“ Halik ist davon überzeugt, dass dieses „Galiläa von heute“, wohin man gehen soll, um Gott zu suchen, der durch den Tod hindurch ging, die Welt der Suchenden ist. Es gibt so viele Menschen, sowohl unter den Gottesdienstbesucherinnen und -besuchern, aber auch unter solchen, denen der Gottesdienst fremd geworden ist, die auf der Suche nach Spiritualität, nach einem verantwortbaren Lebensstil, nach Gemeinschaften mit einem Dialog auf Augenhöhe, nach einem Glaubens- und Bibelverständnis ohne „Moralin“ sind. Im Verständnis der Frommen war damals Galiläa ein Missionsgebiet. Jesus kam in diese Gegend mit der Botschaft: Die Zeit ist erfüllt. Das Reich Gottes ist euch nahe. Es ist diese Stimme von oben, die an Ostern die Jüngerinnen und Jünger wieder nach Galiläa gehen heißt.
Es ist das, was Jesus den Versammelten beim letzten Abendmahl, so ans Herz legt, wir haben es im Evangelium gehört: Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. … Ich komme wieder und werde euch zu mir holen. Jesus hat sich von dieser Welt nicht verabschiedet. Er kommt wieder. Es gilt zu bedenken, dass jene, denen er diese Worte beim letzten Abendmahl sagt, ihn – den Auferstandenen – nicht erkennen. Er ist durch den Tod ein anderer geworden.
Als die junge Kirche im Werden war, wurde in Jerusalem der Tempel zerstört. Es war der Ort, an dem Jesus diskutierte, lehrte und betete. Die Juden haben den Altar des Tempels mit dem Tisch der Familie ausgetauscht. Die Väter und Mütter sind zu ihren „Priestern“ geworden. Die Christen wurden beinahe gleichzeitig aus den Synagogen vertrieben. Sie suchten eine neue Identität. Juden und Christen lernten, auf den Ruinen der Tradition das Gesetz und die Propheten neu zu lesen und auszulegen.
Wir werden in den Kirchen wieder Gottesdienste feiern. Mit dem Hochfahren des Bisherigen wird es nicht getan sein. Manches, was da neu erscheint, wird uns so fremd sein wie den Jüngern der Auferstandene an Ostern. Nochmals das Evangelium: Euer Herz lasse sich nicht verwirren, glaubt an Gott und glaubt an mich.
Es ist Gott und der Auferstandene, der heute neu Menschen zu einer Kirche sammelt. Ihre Identität und Gestalt wird nicht notwendig allein die Eucharistie sein. Der Auferstandene sucht uns in den Verwundeten, in den Notleidenden, in den Suchenden, in den mit Liebe verbundenen Diensten. Er sucht uns auch in dem jetzt noch Fremden.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus der Apostelgeschichte anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem 1. Brief des Apostel Petrus anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Johannes anhören möchten:
Ein Kommentar zu “Ruinen der Tradition 1. Lesung: Apg 6,1-7 | 2. Lesung: 1 Petr 2,4-9 | Evangelium: Joh 14,1-12”
Nix für ungut, zwei Anmerkungen: (1) Beim ‘Pauschalurteil’ zur Kirche nach 1945 kann man erhebliche Zweifel anmelden. Ein wenig mehr an Differenzierung zur “moralischen Instanz” hätte ich mir gewünscht. Der kirchliche (Klerus und Volk)Umgang mit denen, die aus dem Glauben und Gewissen heraus, für ihr NEIN gegen Hitler und die Nazis mit dem Leben bezahlten, spricht da eine andere Sprache. Und (2): Thomas Halik’s Einsichten verdienen hohe Aufmerksamkeit, mindestens soviel wie jene von Christiane Florin (Weiberaufstand) oder von Daniel Bogner (Ihr macht uns die Kirche kaputt…). Aber die kirchliche (auch die diözesankirchliche) “Körpersprache” in den vergangenen 7 Covid-19 Wochen (von der Caritas abgesehen!), lässt wenig bis nichts erkennen, was an “neue Schläuche” oder “neuen Wein” erinnert. Allerdings kann sehe und höre ich nicht alles! Nebenbei: Ob der österreichweite kostenfreie Versand von Holy-Water in parfümartigen Sprühfläschchen zur heilsamen Ent-Wirrung der Herzen führt, bleibt bis zur spirituellen Evaluation wohl offen …