Sehschule der Jünger 1. Lesung: Jer 31,7-9|2. Lesung: Hebr 5,1-6|Evangelium: Mk 10,46b-52
Der Evangelist Markus berichtet von zwei Blindenheilungen, die Jesus auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem wirkt. Am Ende seines Wirkens in Galiläa, bevor er sich auf den Weg begibt, heilt er in Betsaida einen ersten Mann. Seine Lehre müsste den Menschen die Augen bereits geöffnet haben.
Der Blinde von Betsaida wurde von Menschen zu Jesus gebracht, damit dieser ihn sehend mache. Die Heilung geschieht in zwei Schritten. Zuerst sah er nur Schatten, erst danach konnte er richtig sehen, Dinge und Menschen unterscheiden.
Sich auf den Weg machend, lehrt Jesus weiter was die Menschen sehend und ins Reich Gottes führen wird. Er kündet dreimal das Leiden an. Nicht Reichtum, sondern teilen und ihm folgen, nicht herrschen, sondern dienen sind der Weg zum „ewigen“ Leben.
Jesus kommt nach Jericho und begegnet dem blinden Bartimäus. Offensichtlich hatten seine langen Reden und selbst seine Taten die Augen des Verstehens noch nicht geöffnet. Sie – die Jünger und die Umstehenden – wollen den Blinden zum Schweigen bringen. Vom Dienen am Blinden, der in Not ist, findet sich zunächst keine Spur.
Der Blinde Bartimäus ruft nach Jesus und schreit um Erbarmen. Es wirkt wie ein Urschrei des Menschen, ein Urschrei um Erbarmen, der Ureigenschaft Gottes. Dass ein Blinder sehen möchte, ist nur zu verständlich. Aber die Frage ist: Wollen die Menschen sehen? Will ich hin und wieder wirklich sehen? Jesus ruft ihn zu sich und heilt ihn. „Geh“, sagt er zu ihm, „dein Glaube hat dir geholfen“; und Bartimäus folgt dann Jesus auf seinem Weg.
Es sind zwei Wunderheilungen, die den Jüngerinnen und Jüngern die Augen öffnen wollen. Die beiden werden zu Lehrern der Sehenden. Der Blinde von Betsaida gibt zu verstehen: Um sehen oder verstehen zu können, muss man sich helfen lassen. Deutlich sehen beginnt mit der Fähigkeit, unterscheiden zu können. Nicht mehr alles für ‚gleich-gültig’ anzusehen.
Auch Bartimäus wird zu einem Lehrenden für die Jünger. Manche verharren lieber in ihrer Blindheit. Sie wollen nicht sehen, weil es Konsequenzen hätte oder eine Veränderung nach sich zieht. Weiter lehrt sie Bartimäus einen Glauben, der sich nicht den Mund verbieten lässt. Eine erstaunliche Geschichte. Eine Sehschule für die Jünger mit nicht alltäglichen Lehrern.
Die Augen sind Wahrnehmungs- und Kontrollorgan zugleich. Für viele sogar das einzige: Ich glaube nur, was ich sehe. Reicht eine solche Lebenshaltung aus? Würde das mir reichen, nur das glauben zu wollen, was ich mit den Augen sehe?
Mit Blaise Pascal kann man zu Recht fragen: Aber hat nicht auch das Herz Gründe, die der Verstand nicht kennt? Wir kennen den Satz von Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ Liebe, Vertrauen, Freundschaft, Trauer … sind mit den Augen des Herzens zu sehen.
Das biblische Sehen geht noch weiter: Der Glaube macht sehend, sogar hellsichtig; er macht hörend und fühlend, mitfühlend und er schweigt nicht, wenn es um das Leben geht, sei es das eigene oder das der anderen. Jesus glauben heißt, ihm mit offenen Augen nachfolgen, seinen Weg des Erbarmens und Heilens mitzugehen.
Wir hörten heute die Geschichte des Bartimäus. Die Sehschule für die JüngerInnen damals ist auch die Sehschule für die Jüngerinnen und Jünger heute, für uns. In der Bibel sind ‚sehen’ und ‚blind sein’ oft Codewörter für „glauben“ und „ungläubig“ sein. Wenn Jesus von blinden Führern spricht, geht es bei diesen um keine organische Krankheit oder Behinderung, sondern um deren Gefangenschaft in ihren eigenen Vorstellungen über Gottes Willen, Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit u.a. Vor Blindheit ist niemand gefeit. Sie verführt Menschen dazu, sich in virtuellen Welten, in Scheinwelten aufzuhalten. Es sind Welten, die es real nicht gibt, die aber so wirken, als ob es sie gäbe. Offensichtlich lieben wir Menschen immer wieder die Illusion, die Täuschung, denn die bequemste Welt scheint jene zu sein, die wir uns selber machen. Aber wir leben nicht nur in unserer eigenen Welt. Wir leben immer auch in der Welt der anderen, aller anderen – weltweit, global.
Ich möchte die Bitte des Bartimäus für heute wiederholen: „Ich möchte wieder sehen können“, herauskommen aus den unterschiedlichen Scheinwelten, die wir uns zurechtgemacht haben:
Herauskommen aus einer Welt, in der das Leben zukünftiger Generationen gefährdet ist durch die Klimaerwärmung, beziehungsweise das Hinfinden zu einem Lebensstil, der die Ressourcen der Natur und der Menschen achtet.
Herauskommen aus der Welt der Selbstverwöhnung, in der man meint, auch ohne andere ein erfülltes Leben genießen zu können, auch ohne andere bis zuletzt über die Runden zu kommen.
Herauskommen aus einer Welt des Egoismus und hineingehen in eine Welt, in der die Stimme der Schwachen, der Verzweifelten, der auf der Strecke Gebliebenen gehört und gesehen wird.
Als Bartimäus wieder sehen konnte, folgte er Jesus nach. Sein Glaube an den Sohn Davids, ein Glaube, der sich nicht den Mund verbieten ließ, hat ihn sehend gemacht. „Geh“ hatte Jesus zu ihm gesagt. Jesu Wort ist immer ein bewegendes Wort, das Veränderung und Standortwechsel auslöst. Jesus nachfolgen heißt seinen Standort einnehmen, seine Sicht der Wirklichkeit.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch Jeremia anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten: