Selbstwert erlernen 1. Lesung: Jes 55,1-11| 2. Lesung: 1 Joh 5,1-9| Evangelium: Mk 1,7-11
Der emeritierte Dogmatiker von Innsbruck Univ. Prof. Dr. Roman Siebenrock hat in einem Gespräch gemeint: Vermutlich ist die ganze Bibel als mystischer Text zu verstehen, das heißt sie gibt tiefe Erfahrungen von Menschen wieder, in denen ihnen etwas von Gott aufgegangen ist oder sie seine Gegenwart ahnten. Solche Erfahrungen stehen oft in Verbindung mit Bildern, die uns helfen können einen Zugang zu diesen Erfahrungen zu erschließen. Es ist davon auszugehen, dass die Taufe für Jesus eine mystische Erfahrung war. Sie gab seinem Leben eine Wende.
Auf ein Element des Taufgeschehens sei in besonderer Weise aufmerksam gemacht. Es ist davon die Rede, als Jesus aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Wie viele Menschen wünschen sich, dass sich einmal der Himmel über ihnen auftun würde, dass sie in ihrer Not ein Licht sehen könnten, dass sie für einen Augenblick die Bestätigung haben könnten, dass ihr Kampf gegen das Dunkle, gegen eine Feindseligkeit, gegen eine Krankheit, gegen eine Not sich lohnt.
Jesus sieht dann den Heiligen Geist wie eine Taube auf ihn herabkommen. Gleichzeitig hört er die deutende Stimme dazu: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.
Die Taube kommt im Ersten Testament öfters vor. Es seien vor allem zwei Beispiele zum besseren Verständnis des Geschehens bei der Taufe herangezogen. Das erste Mal wird die Taube in der Erzählung bei der Sintflut genannt (Gen 8,8-10). Nachdem die Flut vorbei war und Noah vierzig Tage wartete, ließ er zunächst einen Raben fliegen. Er folg aus und ein bis das Wasser vertrocknete. Dann ließ er eine Taube hinaus. Das erste Mal kam sie zurück. Sie fand keinen trockenen Ort, um abzusitzen. Beim zweiten Mal kam sie am Abend zurück und hatte im Schnabel einen Ölzweig. Jetzt wusste Noah, dass das Wasser abgenommen hatte. Nach sieben Tagen ließ er sie wieder hinaus und sie kehrte nicht mehr zurück.
Die Taube ist dem Noah verlässliche Kundschafterin der Situation. Die Not ist vorbei. Es gibt wieder festen Boden unter den Füssen. Es gibt Leben. Die Sonne scheint wieder. Sie hat die Botschaft: Die Zeit in der beengten Arche ist vorbei.
Wir können davon ausgehen, dass Jesus bereits als junger Mensch, als junger Mann viel Ablehnung und Widerstand erlebte. Es gab Spannungen mit der Familie. Es gab Spannungen mit dem religiösen Establishment, mit der religiösen Führungsschicht. Spannungen und Konflikte gehen einher mit Fragen – vor allem bei sensiblen Menschen und zu denen dürfte Jesus gezählt haben, wie: Bin ich wirklich richtig? Sind meine Überzeugungen wahr?
Wir dürfen die Taufe Jesu als Ereignis verstehen, die ihn auf einen festen Boden stellt, die in ihm eine Not beendet, die ihn in seinen Überzeugungen bestätigt. Er darf hören: Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Diese Erfahrung wird ihm zur Grundbotschaft seines Auftretens. Er geht auf die Menschen zu mit der Botschaft: Ihr seid von Gott geliebt. Du bist von Gott geliebt. Trau IHM.
Er selbst traut dieser Botschaft. Traut ihr bis zum Ende am Kreuz, auch wenn er am Ende ruft: Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen (Mk 15,34)? Es ist der Beginn von Psalm 22. Der Beter findet am Ende des Psalms wieder den Boden des Vertrauens.
Wir haben eine zweite Erzählung, auf die uns die Taube verweist. Taube in Hebräisch heißt „Jona“. Vermutlich kennen viele die Erzählung vom Propheten Jona. Er wird von Gott gerufen, um in die Stadt Ninive zu gehen und dort Umkehr zu predigen. Jona verweigert zunächst und flieht. Er kann sich nicht vorstellen, dass Gott die Menschen von Ninive, seine Feinde liebt und womöglich verschont. Doch Gott ruft ihn ein zweites Mal, damit er nach Ninive gehe. Es wird für ihn zur unerwarteten Überraschung, dass die Menschen dort auf seine Worte hin umkehren. Er macht Gott sogar Vorwürfe, dass er sie verschont.
Der Geist kam wie eine Taube auf Jesus herab. Wenn wir die Taufe Jesu verstehen wollen, dann gilt es auch die Geschichte des Jona einzubeziehen. Er hat einen Geist empfangen, der ihm aufträgt auf Feinde zuzugehen. Diese Feinde befanden sich nicht irgendwo in einer fremden Stadt, sondern sie lebten inmitten des Volkes, in mitten des Landes. Zu diesen erklärten Feinden zählten als eine Gruppe die Besatzer, die römischen Soldaten und jene, die mit ihnen kooperierten. Wir wissen, dass er auch bei diesen zu Gast war, dass er den Knecht eines römischen Hauptmanns heilte, dass er mit Zöllnern und Sündern aß.
Durch die Taufe werden wir zu Schwestern und Brüder Jesu. Mit der Taufe ist uns auch jener Geist mitgegeben, der uns aufträgt auf Fremde, vielleicht sogar feindlich gesinnte Menschen zuzugehen, ihnen Offenheit und Umdenken zuzutrauen. Zumindest gilt auch ihnen das Anliegen Gottes, dass er ihre Rettung und nicht die Vernichtung will.
Jona ist nicht deshalb ein Prophet, weil er viel zu den Menschen gesprochen hätte. In Ninive sagt er einen einzigen Satz:“ Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört“ (Jona 3,4b). Und dieser Satz war falsch. Sein Prophet sein besteht im Lernen, im eigenen, persönlichen Lernen.
Die Taufe hat Jesus nachhaltig geprägt. Das Bild der Taube mit den Erzählungen wollen helfen seine Erfahrungen zu deuten.
Ein Kommentar zu “Selbstwert erlernen 1. Lesung: Jes 55,1-11| 2. Lesung: 1 Joh 5,1-9| Evangelium: Mk 1,7-11”
Lieber Erich,
mit deiner Auslegung der Markusstelle hast du den spirituellen Weg in und durch das neue Jahr gewiesen. Sich selbst als Gottes Sohn oder Gottes Tochter zu wissen, ist der entscheidend erlösende Zugang zum Verständnis des eigenen Lebens. Ein Grund legender Unterschied, eine Erfahrung überheller Gegenwart! Dir und deiner lieben Kollegin Katharina wünsche ich sie bleibend!!!
Roman Siebenrock ist zuzustimmen, ja ich gehe unbedingt weiter: will ich die Tiefe der Texte und damit die Heilsperspektive und -erfahrung gewinnen, dann ist die Sehbedingung eine kontemplative. Außerdem komme ich so aus Aporien und Widersprüchlichkeiten heraus, die der Annahme der biblischen Botschaft für Zeitgenossinnen und – genossen im Wege stehen. Die Bilder können zu allen Zeiten auch das erstarrteste Herz erwecken/erweichen/erwärmen…
Herzliche Grüße
Paul Reiner 🐪