Sich von Gott beschenken lassen 1.Lesung: Weish 7,7-11| 2.Lesung: Hebr 4,12-13| Evangelium: Mk 10,17-30
Kürzlich wurde in einem Medienbeitrag von einem Experiment berichtet, das vor einigen Jahren in Kalifornien durchgeführt wurde. Eine Testgruppe befand sich in der Stadtmitte von San Francisco im Menschengetümmel, eine andere im Yosemite Nationalpark in einem entlegenen Gebiet. Die ProbandInnen beider Gruppen bekamen den Auftrag, von sich ein Selbstporträt in der aktuellen Umgebung zu zeichnen. Die Menschen jener Gruppe im Großstadtgetümmel positionierten sich selbst im Zentrum des Bildes, mitten im Trubel. Die TeilnehmerInnen in der abgeschiedenen Natur zeichneten sich selbst deutlich kleiner und eher am Rand des Bildes. Dieses Phänomen wird in der Wissenschaft als „verkleinertes Ich“ bezeichnet.
Die Wahrnehmung von Ehrfurcht, Demut oder Staunen angesichts der beeindruckenden Naturkulisse macht laut Studienergebnissen bescheidener. Die Aufmerksamkeit für andere, etwa für Menschen in Not verändert sich. Wir nehmen uns weniger wichtig gegenüber anderen Menschen. Ein „verkleinertes Ich“ bringt Menschen also dazu, sich sozialer, weniger egoistisch und selbstbezogen zu verhalten.
Wir alle kennen Momente des Staunens, beim Blick über das Meer bei tosendem Wellengang, auf das Panorama der Berge oder in den offenen Sternenhimmel. In solchen Momenten empfinden viele Ehrfurcht und fühlen uns gleichzeitig ganz klein. Menschen meinen auch in solchen Situationen Gott wahrnehmen zu können – seine Größe, Macht und Weisheit.
Seit Menschengedenken werden solche Situationen erlebt, aber erst vor wenigen Jahren haben Hirnforscher begonnen, sie zu erforschen. Ehrfurchtserfahrungen und Begeisterungsmomente lassen uns erleben, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind und können in einer Gesellschaft den Gemeinsinn und die Rücksichtnahme stärken.
Unserem heutigen Evangelium geht die Erzählung voraus, dass Kinder auf Jesus zugehen wollten und von den Jüngern ausgebremst wurden. Jesus antwortet: „Lass doch die Kinder, zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn für Menschen wie sie ist Reich Gottes da. Wer sich das Reich Gottes nicht, wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen“ (Mk 10,14-15). Man kann diese Zeilen als Einleitung zum heutigen Evangelium lesen.
Kinder haben noch dieses „verkleinerte Ich“, das Bewusstsein, dass sie auf Hilfe und Zuwendung angewiesen sind. Kinder können eine übergroße Freude empfinden und erfahren Ehrfurcht bei allen Entdeckungen. Sie können Geschenke annehmen, ohne darin eine Verbindlichkeit zu sehen.
Dem Empfinden von Kindern wird nun ein Mann gegenübergestellt, der es ganz genau wissen möchte, wie man durch Eigenleistung „das ewige Leben bekommen“ kann. Jesus verweist auf die Einhaltung der sogenannten zehn Gebote. Sehr von sich überzeugt meint der Mann, dass er diese seit Jugend an befolge. Wer kann das aber wirklich von sich behaupten?
In Zusammenfassung der heutigen Erzählung meinte Jesus zu seinen Jüngern: „Ja, Kinder, wie schwer ist es doch, in das Reich Gottes hineinzukommen“ (Mk 10,24). Natürlich sieht Jesus die Einhaltung der Gebote als Grundlage, aber im Endeffekt sind wir eben strauchelnde Menschen, und die Latte, auf Grund von Eigenleistungen das ewige Leben zu erlangen, liegt sehr hoch. Als Kinder Gottes dürfen und können wir uns aber das Reich Gottes schenken lassen, wenn wir dazu bereit sind. Dafür gilt es aber zu erkennen, dass wir nicht die absoluten Macher sind, keine Halbgötter, sondern wie beim „verkleinerten Ich“, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind. Das zeichnet Glauben an Gott aus. Nicht ich bin der Mittelpunkt der Welt. Meine Erlösung finde ich auch nicht in einer Selbsttranszendenz, sondern ich bin Teil einer Schöpfung. Für diese Welt haben wir eine Verantwortung, dürfen uns aber auch von der Natur beschenken lassen.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx meinte in einem Interview über die verborgenen Botschaften einer Krise: „Wir sollten uns auch auf den Weg vom Mehr zum Besser machen“. Die Antwort von Jesus auf die Frage der Jünger, wer denn nun in das Reich Gottes kommen könne, lautet: „Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (MK 10,29-30). Für das Reich Gottes geht es nicht darum, dass einem Menschen etwas genommen wird. Für das Reich Gottes geht es um Veränderung – im Umgang mit anvertrauen Menschen und Dingen.
Mich erinnert dieser reiche Mann etwas an die Situation, in der wir uns gerade befinden. Wir wissen, dass wir uns in vielen unterschiedlichen Zusammenhängen verändern müssen. Wir machen uns Sorgen um den Klimaschutz, den Weltfrieden, die Demokratie, unseren Lebensstandard usw., aber unsere Kraft und unser Wille reichen noch nicht aus, die Veränderungen in Angriff zu nehmen.
Der Zukunftsforscher meint dazu: „dass wir uns immer wieder neu auf Veränderung einlassen sollten … Wir können die Welt immer wieder neu entdecken … Im gewissen Sinne müssen wir vielleicht auch wieder naiv werden“. Jesus sagte damals: „Wer sich das Reich Gottes nicht, wie ein Kind schenken lässt, wird nie hineinkommen“ – als Kinder Gottes dürfen wir Gott vertrauen und mutig sein.
Wenn Sie den Text der 1. Lesung aus dem Buch der Weisheit anhören möchten:
Wenn Sie den Text der 2. Lesung aus dem Hebräerbrief anhören möchten:
Wenn Sie den Text aus dem heiligen Evangelium nach Markus anhören möchten:
In unseren Gedanken zu den Texten der Sonntage haben wir schon öfter auf die Problematik von Textauslassungen hingewiesen. Wir wollen einen Versuch starten und werden ab dem Beginn des neuen Lesejahres die Texte in der Länge der biblischen Verfasser lesen.
Seit Jahrhunderten beeindruckt die Bibel Menschen mit ihren Formulierungen. In der Zeit ihrer Entstehung für jeden verständlich brauchen Leserinnen und Leser von heute eine Übersetzung dieser Texte. Jede Übersetzung ist in gewisser Weise auch eine Deutung der Schrift. Die Einheitsübersetzung ist uns bereits vertraut. Wir wollen bewusst mit Beginn des neuen Kirchenjahres eine andere Übersetzung verwenden, um uns neu von den Texten überraschen zu lassen. Wir haben uns für die Übersetzung der BasisBibel entschieden, die seit Januar 2021 vollständig vorliegt. Die BasisBibel ist die Bibelübersetzung für das 21. Jahrhundert: klare Sprache, kurze Sätze und verständliche Sprache.
3 Kommentare zu “Sich von Gott beschenken lassen 1.Lesung: Weish 7,7-11| 2.Lesung: Hebr 4,12-13| Evangelium: Mk 10,17-30”
Um meine Rückenbeschwerden besser in den Griff zu bekommen, bin ich gezwungen jeden Morgen nach dem Aufstehen meine Übungen zu machen, um einigermaßen Beschwerdearm durch den Tag zu kommen.
Dabei stell ich mir auch vor, dass ich auf dem Rücken liegend, ein winziger Teil auf dieser Erdenkugel bin, der in das Universum blickt. Dabei dreht sich die Erde naturgemäß mit mir und es wird dabei auch Tag und Nacht, hell und dunkel. Dann kehrt sich mein Blick und ich betrachte mein Tun von oben, d.h. von einer Höhe wie sie ggf. die Astronauten haben, wenn sie von dort auf “unsere Erde” blicken. Die Kleinheit meines ich’s wird mir dabei vermehrt bewusst und auch die Liebe eines Gottes, der sich um diesen “Winzling” mit all seinen Fehlern und Gegebenheiten annimmt. Dann kehrt sich mein Blick wieder und ich bin zutiefst dankbar darüber, dass ER mir jene Bewegungen offenbart, welche den körperlichen “Wehwehchjen” dann auch meist Einhalt gebieten.
Hans
Vielen Dank für die guten Gedanken zu den Texten des Sonntags. Ich schenke sie an Freunde weiter.
Und schicke Ihnen meinen allerherzlichsten Dank.
Franz Lummer
Der einfache beschenkte Tag durch den Herrn!
Vor ca, 30 Jahren bin ich in Südtirol, im Pfossental, auf eine Berghütte gewandert. Als ich dort ankam, wurde ich von der Wirtin zum Tanzen aufgefordert, wie jeder ankommende Gast. Der Wirt begleitete die Tanzenden mit Musik. Als meine Tanzpartnerin merkte, dass ich gerne tanzte, verlängerte sie die Tanzzeit mit mir. Es kamen immer mehr Gäste und manche waren schon ungeduldig, weil sie keine Getränke bekamen. Der Wirt sagte zu den Unruhigen: Bist Du im Urlaub oder auf der Flucht. Durch seine Gelassenheit löste sich das Problem von selbst. Andere Gäste brachten Speisen und Getränke auf den Tisch. Ich merkte, wie bei den Leuten die Anspannung weniger wurde und die kindliche Freude zunahm, es führte zu einen vertrauten
Miteinander. Bevor wir wieder den Rückweg antraten, stellten wir uns im Kreis auf, Hände auf den Schultern der Nachbarn, und sangen das Beckenbauerlied
“Gute Freunde kann niemand trennen”. Dieser erfüllte Tag bleibt bei mir nachhaltig in Erinnerung. Er hilft mir manchmal bei einem seelischen Tief wieder in eine freudigere Stimmung zu kommen.